Ludwig[Z1] [Z2]
Thoma für Juristen, hg. v. Seul, Jürgen. Verlag Medien und Recht,
München 2010. 330 S., 4 Zeichnungen.
Old
Shatterhand vor Gericht. Die 100 Prozesse
des Schriftstellers Karl May, hg. v. Seul, Jürgen. Karl-May-Verlag, Bamberg-Radebeul 2009,
623 S. Besprochen von Wilhelm Brauneder.
Es mag verwundern, diese beiden Titel in einer
rechtshistorischen Fachzeitschrift besprochen zu sehen, vor allem den zweiten,
zumal er vom Titel her und in seiner äußeren Erscheinung den klassischen grünen
Karl-May-Bänden des gleichnamigen Verlages entspricht. Dennoch handelt es sich
um kein Versehen. Beiden Titeln ist gemeinsam, dass sie wesentliches Material
und höchst aufschlussreiche Schilderungen zur historischen
Rechtstatsachenforschung liefern. Was Ludwig Thoma, den fast promovierten
Juristen, betrifft, kommt dieser selbst zu Wort, über die May betreffenden
Prozesse berichtet Seul, allerdings unter Aufnahme auch längerer Quellenpassagen.
Zu bzw. von Thoma erhalten wir die vielfältigsten Einblicke in das Rechtsleben.
Dies betrifft einmal das Jurastudium: Warum Thoma trotz einer Dissertation den
Doktortitel nicht verliehen bekam (12f.); wie das Studium so im weitesten Sinne
ablief und insbesondere „der gefürchtete Staatskonkurs“ (58ff., 68, ersteres
auch in Versen: 213). Weiters lernen wir Beispielhaftes kennen über die Praxis
am Landgericht und beim Bezirksamt (650ff.), die Eröffnung der Rechtsanwaltskanzlei
in Dachau (99ff.). Formal blieb Thoma Rechtsanwalt bis zur Löschung seiner
Zulassung aus der Liste des Landgerichts München II im Jahre 1919 (29). Als er
1899 Redakteur des „Simplicissimus“ geworden war, verkaufte er im gleichen Jahr
seine Rechtsanwaltskanzlei (28). Vielschichtig und bunt schlägt sich die
erlebte Juristerei in Anekdoten, Erzählungen, Gedichten nieder. In ihnen
spiegelt sich manch Rechtshistorisches wider: die Rechtseinheit für „das große,
neue Deutsche Reich“ (265), ihre Verwirklichung auch in „dem preußischen
G’setz, wo’s jetzt ei’g’führt ham“, nämlich im BGB (160), dem eine
Juristenrunde schon vor seinem Inkrafttreten Artikel widmet wie „Gilt das
Trinkgeld als zum schändlichen Zwecke gegeben? Ein Beitrag zum Verständnisse
des Bürgerlichen Gesetzbuches“ (18 f.). Auch die Begriffsjurisprudenz bekommt
ihren Spott mit dem Landgerichtsrat ab, dem es nicht ging „um das Wesen der
Dinge, sondern ausschließlich darum, unter welchen rechtlichen Begriff
dieselben zu subsumieren waren“ (198). Staunenswert zu lesen ist Thomas Tagebuch
über seine Strafverbüßung in Stadelheim: „Ich trank eine Tasse Kaffee und las“
(289), es bringt „der Verwalter meine Bücher und legt sichtlich vergnügt vier
Zigarren dazu“ (290), und schließlich zur Entlassung: „Die Einsamkeit war mir
eine liebe Freundin und Helferin bei der Arbeit“ (311)!
Die Berichte über Prozesse aufgrund literarischer
Tätigkeiten (87f.) leiten über zu dem ebenso interessanten, wenngleich weniger
amüsanten Band über Karl May. In seinem Vorwort stellt Claus Roxin fest, es
habe May „außer mit seinem literarischen Werk den größten Teil seiner
Lebenszeit mit Prozessen verbracht“ (7). Die gegen und auch von May geführten
Prozesse reichen von zahlreichen, aber stets kleineren strafrechtlichen
Vergehen wie sie damals in Tageszeitungen recht häufig berichtet wurden – etwa
Diebstahl von Billardkugeln, eines Pferdes – über Prozesse betreffend Mietschulden
und offene Weinrechnungen des noch unbekannten Schriftstellers, seinen
angemaßten Doktortitel, den Scheidungsprozess mit wahrlich makaberen Begleitumständen
bis hin zu den gewichtigen Prozessen vor allem um seine Kolportageromane, in
denen es um Auflagenhöhen, Honorarforderungen und Textveränderungen geht. Nun bricht
auch mit weiteren Prozessen wegen Verleumdung und Unterstellungen eine Prozessflut
herein, nahezu jeder Prozess entwickelt sich vom Schneeball zur Lawine. Mays
Jugendverfehlungen kommen gerade am Höhepunkt seines Schriftstellerruhms in
Prozessen an die Öffentlichkeit und führen zu dem fatalen Fehlurteil, May sei
im Sinne Lombrosos ein „geborener Verbrecher“. In verschiedenen Rollen führen
diese Prozesse May durch nahezu alle Himmelsrichtungen des deutschen
Sprachraums, sein Prozessitinerar reicht von Leoben/Steiermark bis Stettin/Ostsee.
Quantitativ hemmt dies seine Schaffenskraft, kommt ihm aber qualitativ auch
zugute, nämlich als Inspiration zum allegorischen Spätwerk und führt
beispielsweise zur Abfassung seiner Autobiographie.
Für den historisch interessierten Juristen und zumal für
den an Rechtstatsachen orientierten Rechtshistoriker bietet das Buch eine
gewaltige Fülle an Material, und zwar für Prozesse höchst unterschiedlicher Art.
Überdies ließe es sich auch als Arbeitsbuch für prozessrechtliche oder
rechtshistorische Seminare verwenden, zumal Seul vielfältigst Hintergründe mitbehandelt
wie etwa „Karl Mays Kriminalität“. Hierher zählt übrigens auch die – Seul nicht
anzulastende Bemerkung -, das Gerichtsgebäude in Moabit sei „wilhelminische
Einschüchterungsarchitektur“ (557). Dies vermag nur jemand zu behaupten, der
die Justizpaläste beispielsweise von Paris, Brüssel und Wien nicht kennt.
Roxins Feststellung (10), „Herrn Seul gebührt für seine enorme Arbeitsleistung
… großer Dank“ ist nichts hinzuzufügen.
Wien Wilhelm
Brauneder