Leukel, Sandra, Strafanstalt und Geschlecht. Geschichte des Frauenstrafvollzugs im 19. Jahrhundert  (Baden und Preußen) (= Geschlossene Häuser - Historische Studien zu Institutionen und Orten der Separierung, Verwahrung und Bestrafung 2). Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2010. 349 S. Besprochen von Thomas Krause.

 

Auf Grund seiner geringen quantitativen Bedeutung (lediglich etwa fünf Prozent der Inhaftierten in Deutschland sind weiblichen Geschlechts) führt der Frauenstrafvollzug innerhalb der deutschen Strafvollzugswissenschaft traditionell ein Schattendasein. Dies gilt erst recht für seine Geschichte, die in einschlägigen neueren Studien meist nur in den einleitenden Kapiteln auf wenigen Seiten abgehandelt wird. Namentlich über die Anfänge und die Entwicklung im 19. Jahrhundert erfährt man indessen auch dort so gut wie gar nichts, da dieser Zeitraum bisher kaum näher untersucht wurde. Insoweit besteht daher eine echte Forschungslücke, zu deren Füllung Sandra Leukel mit ihrer Arbeit, einer überarbeiteten und gekürzten Fassung ihrer im Wintersemester 2004/2005 angenommenen Bielefelder geschichtswissenschaftlichen Dissertation, einen Beitrag leisten möchte. Da der Strafvollzug nicht nur vor der Reichsgründung, sondern auch nach 1871 Ländersache war (und noch immer ist), wählt sie dabei zu Recht einen territorialen Zugang. Das daraus resultierende Erfordernis einer thematischen Beschränkung ihrer Arbeit auf einzelne deutsche Staaten muss man akzeptieren, da eine flächendeckende Untersuchung der Materie für ganz Deutschland im Rahmen einer Dissertation nicht zu leisten wäre. Die von der Verfasserin gewählte Konzentration auf Baden und Preußen, „die Vorzeige- und Vorreiterländer für Reformen“ des Strafvollzuges, „in denen erstmals das Einzelhaftsystem in panoptischen Zweckbauten umgesetzt wurde“ (S. 26), erscheint dabei plausibel und sachgerecht.

 

In der Einleitung ihrer Studie (S. 15ff.) gibt Sandra Leukel zunächst einen ausführlichen Überblick über den bisherigen Forschungsstand zur Historie des Frauenstrafvollzugs sowie zur Geschichte des Strafvollzugs im Allgemeinen, aus deren Erforschung sich die Rechtsgeschichte leider mittlerweile weitgehend zurückgezogen hat. Stattdessen hat die seit gut 20 Jahren auch in Deutschland florierende historische Kriminalitätsforschung in neuerer Zeit begonnen, sich für die Materie zu interessieren. Dieser Teildisziplin der Geschichtswissenschaft fühlt auch die Verfasserin sich verpflichtet und möchte ihre Arbeit „gleichermaßen als Geschichte des Frauenstrafvollzugs und als Geschlechtergeschichte des modernen Strafvollzugs seit 1800“ verstanden wissen (S. 15f.).

 

Im ersten Hauptteil der Studie (S. 28ff.) geht es um die „Entstehung der ersten Frauenstrafanstalten (1800-1838)“. Sie wird zu Recht als eine Folge der Gefängnisreformbewegung des ausgehenden 18. Jahrhunderts sowie der sich nach dem Ende der napoleonischen Kriege ab den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts etablierenden interdisziplinären neuen Wissenschaftsdisziplin der Gefängniskunde gesehen. Beide drangen u. a. auf eine stärkere Trennung und Klassifizierung der Anstaltsinsassen, um den Strafvollzug insgesamt zu optimieren. Das „Anliegen, die Situation von inhaftierten Frauen zu verbessern“, stand dabei interessanterweise nicht im Vordergrund (S. 71). Etwa zeitgleich wurden dann als Resultate dieser Bemühungen im Jahre 1838 im schlesischen Sagan und in Wartenburg in der Provinz Preußen sowie im badischen Bruchsal die ersten reinen Frauenstrafanstalten in Deutschland eingerichtet.

 

Wie diese im einzelnen ausgestaltet waren, ist sodann Thema des zweiten Hauptabschnitts der Leukelschen Arbeit („Haftsystem und Geschlecht - die innere Gestaltung der Strafanstalten (1838-1868)“: S. 74ff.). Im wesentlichen ging es dabei um die Frage des Haftsystems, wobei das Auburnsche oder Schweigesystem (Gemeinschaftshaft mit Schweigegebot für die Gefangenen) und das pennsylvanische System der  Einzelhaft miteinander konkurrierten. Obwohl Baden deutscher Vorreiter im Bezug auf das  Einzelhaftsystem in Gestalt des 1845 eingeweihten neuen Männerzuchthauses in Bruchsal war, führte man diese dort im Bereich des Frauenstrafvollzugs erst mehr als zwanzig Jahre später ein. In Preußen wurde sie sogar lediglich in der Männern vorbehaltenen Musteranstalt Moabit angewandt, während es in den übrigen Männer- sowie in allen Frauenstrafanstalten, die in den 60er Jahren durch neue Einrichtungen vermehrt wurden, im wesentlichen bei der Gemeinschaftshaft blieb.

 

Der „Frauenstrafvollzug im Kaiserreich“, der den dritten Hauptteil der Studie Sandra Leukels ausmacht (S. 130ff.), brachte dann, wie die Verfasserin im einzelnen ausführt, sowohl in Reformdebatten als auch in der praktischen Umsetzung erstmals eine stärkere Betonung der Weiblichkeit u. a. bei den Resozialisierungskonzepten sowie durch verstärkte Beschäftigung weiblichen Personals in den entsprechenden Anstalten. Wie deren Innenleben in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Praxis tatsächlich aussah, wird schließlich in einem eigenen Unterabschnitt (S. 197ff.) am Beispiel Bruchsals auf Grund der einschlägigen Akten von der Autorin minutiös geschildert.

 

In der Zusammenfassung ihrer Studie (S. 267ff.) hält sie als wesentliches Ergebnis fest, dass „eigenständige Strafanstalten für die Geschlechter“ zunächst in erster Linie eingerichtet wurden, „um das Strafanstaltswesen insgesamt effektiver und kostengünstiger zu gestalten“ (S. 269). Darum, den „Strafvollzug an Frauen spezifisch zu gestalten“, ging es dagegen erst ab den 1860er Jahren und dann vor allem in der Zeit des Kaiserreichs (S. 271).

 

Die solide und gründliche Arbeit Sandra Leukels (das Quellen- und Literaturverzeichnis umfasst allein 20 Seiten !), die nur gelegentlich bei der Darstellung allgemeiner Entwicklungen etwas zu breit angelegt ist, kann für sich in Anspruch nehmen, einen bisher weitgehend weißen Fleck der Strafvollzugsgeschichte zumindest teilweise getilgt zu haben. Insofern hat sie echten Pioniercharakter und führt im besten Sinne einer Dissertation zu wirklich neuen Erkenntnissen. Abschließend bleibt deshalb lediglich der Wunsch, dass ihr ähnlich gute Arbeiten über die Materie  für andere Territorien möglichst bald folgen mögen.

 

Kiel                                                                                                                           Thomas Krause