Krupar, Monika, Tschechische juristische Zeitschriften des 19. und 20. Jahrhunderts (= Schriften zur Rechtsgeschichte 152). Duncker & Humblot, Berlin 2011. 328 S. Besprochen von Werner Schubert.
Nach dem Überblicksaufsatz von Krupar (in: Michael Stolleis/Thomas Simon [Hg.], Juristische Zeitschriften in Europa, Frankfurt am Main 2006, S. 309-342) liegt nunmehr deren Monographie über die tschechischen juristischen Zeitschriften von 1861 bis 1948 vor. Ehe Krupar auf die juristische Fachpresse im Einzelnen eingeht, befasst sie sich mit den politischen, kulturellen und sprachlichen Voraussetzungen Böhmens einschließlich der staatlichen Organe und der gesellschaftlichen Entwicklung (S. 20-148). Die Arbeit geht aus von dem von Miroslav Hroch entwickelten „Drei-Phasen-Modell“ (1968; S. 15f.). In der ersten Phase (1790-1820) der tschechischen Nationsbildung ging es unter dem Einfluss von Herder um das intellektuelle Interesse einiger weniger Gelehrter an tschechischer Sprache, Kultur und Geschichte. In der zweiten Phase (1820-1860; sog. Agitationsphase) bildeten sich die Grundlagen einer gemeinsamen tschechischen Interessen- und Wertegemeinschaft heraus. In der dritten Phase (1860-1918) kann man von der Epoche der tschechischen Nationsbildung sprechen. Die Entwicklung der tschechischen Wissens- und Sprachkultur war bestimmt durch die Gründung von Gelehrtengesellschaften sowie die Entwicklung einer modernen tschechischen Hochsprache und Rechtsterminologie (S. 73ff.), die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bereits einen hohen Reifegrad erreichte. Erste Rechtsvorlesungen in tschechischer Sprache erfolgten 1848/49 (S. 97); 1861 wurden zwei Extraordinariate für Tschechisch an der Universität Prag eingerichtet; eine Professur erhielt der wohl herausragendste tschechische Rechtswissenschafter des 19. Jahrhunderts, Antonin (Anton) Randa, der gleichzeitig auch deutsch schrieb (S. 173ff.). Der erste tschechische Juristenverein Právnická Jednota wurde 1864 begründet; 1868 folgte der Verband der tschechischen Juristen Všehrd (S. 87ff.). Tschechische Juristen waren in den 1848 geschaffenen parlamentarischen Vertretungskörperschaften, in der Anwaltschaft und in der Justiz vertreten; von den 1356 im Jahre 1808 in Böhmen tätigen Richtern betrug der Anteil der Tschechen bereits 74,5% (S. 95). Einen breiten Raum nimmt das Sprachenproblem unter dem Gesichtspunkt der Gleichberechtigung der tschechischen mit der deutschen Sprache in der Verwaltung und bei Gericht ein (S. 106-147). Der Sprachenstreit führte 1882 zur Teilung der Prager Universität in eine tschechische und eine deutsche Hochschule (fünf Ordinarien, fünf außerordentliche Professoren und zwei Dozenten bildeten zunächst die tschechische Juristenfakultät; zehn Ordinarien, zwei außerordentliche Professoren und drei Privatdozenten verblieben an der deutschen Universität; S. 104f.). Bis 1918 war jedoch eine allgemein anerkannte Entwicklung des Gebrauchs der tschechischen und deutschen Sprache durch die Parteien vor Gericht nicht zu erreichen (S. 136ff.).
Im Abschnitt über die tschechische juristische Fachpresse werden beschrieben der Právník (1861/62, 1864 bis heute), die Samosprávný Obzor (1879-1908), die Sborník vĕd právnich a státních (1901-1943) und die Správní Obzor (1909-1919; S. 148ff.). Der von dem deutschen Adligen Adolf Thurn-Taxis 1861 begründete und 1864 wieder begründete Právník (Jurist) ist bis heute die wichtigste juristische Zeitschrift Tschechiens. Krupar bringt 159f. die Biographien der Zeitschriftengründer, der weiteren Herausgeber sowie einiger Autoren der Právník. Weitere Teile der Darstellung befassen sich mit wichtigen Aufsätzen zur Rechtsphilosophie, Rechtsgeschichte, zum Zivilrecht und Strafrecht sowie zum öffentlichen Recht (S. 179ff., 282ff.). Auch die anderen bereits erwähnten Zeitschriften werden beschrieben, u. a. die rechtstheoretisch ausgerichtete „Sborník“ (Archiv für Rechts- und Staatswissenschaft; S. 201ff.). Deutschsprachige Zeitschriften dürften, von den Prager „Mitteilungen des deutschen Juristenvereins“ (1869-1881) abgesehen, in Tschechien nicht erschienen sein (vgl. W. Brauneder, in: Stolleis/Simon, aaO., S. 305-308).
Im zweiten Teil ihres Werkes behandelt Krupar die nach 1918 neu begründeten tschechischen und deutschen Zeitschriften auf dem Gebiet der Tschechoslowakei (S. 211-308). Zunächst werden untersucht die Staatsgründungsprobleme (Verfassung; Staatsgrenzen; Trennung von Staat und Kirche; Vereinheitlichung der Gesetzgebung; Neuaufbau der Verwaltung; Errichtung zweier Oberster Gerichte; S. 213ff.) und die Nationalitätenprobleme (Staatsangehörigkeits- und Minderheitenrecht sowie Sprache und Sprachenpolitik in der Tschechoslowakei; S. 223ff.). sowie die politischen Ereignisse nach 1948 (S. 235f.). Der tschechischen Regierung gelang es, so Krupar, S. 313, nicht, durch ihre Sprachen- und Staatsangehörigkeitspolitik „ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Deutschen und Tschechen herzustellen und damit eine nationale Übereinstimmung zu erreichen“. Von den neuen Fachzeitschriften war die vom Juristenverein herausgegebene, nach dem tschechischen Juristen Viktorin Kornel von Všehrd (1460-1520) benannte Zeitschrift „Všehrd“ wissenschaftlich am bedeutendsten, zu wichtigen Aufsätzen S. 245ff.). Weitere neue Zeitschriften waren: České Právo (Tschechisches Recht), Soudcovské Listy (Richterblätter), Česká Advokacie (Tschechische Advokatur), Veřejná Správa (Die öffentliche Verwaltung) und Právní Praske (Rechtspraxis). Der Abschnitt über deutschsprachige Juristenzeitschriften umfasst die „Juristenzeitung für das Gebiet der Tschechoslowakischen Republik (1920-1938), das Prager Archiv für Gesetzgebung und Rechtsprechung (1919ff; mit der Beilage „Wissenschaftliche Vierteljahresschrift“), die Prager Juristische Zeitschrift und das Deutsche Anwaltsblatt für das Gebiet der Tschechoslowakischen Republik (S. 270ff.). Das Werk wird abgeschlossen mit einem Abschnitt über die „Einstellung und Lebensdauer der tschechischen und deutschen juristischen Zeitschriften“ (1938-1948) und mit einer Schlussbetrachtung (S. 311-313) mit dem Hinweis darauf, dass man „mit Bedauern“ bei der Auswertung der Zeitschriften feststelle, „dass das Zusammenleben beider Nationen, gleich unter welchem Vorzeichen, auf politischer Ebene in der Epoche des Nationalismus nie richtig funktionierte“. Zugleich weist Krupar darauf hin, dass gleichwohl „auch zwischen den deutschen und tschechischen Juristen Kontakte menschlicher und wissenschaftlicher Natur bestanden, wie die Freundschaft zwischen Kelsen und Weyr bezeugt“ (S. 313). Auch gab es zwischen 1908 und 1938 mehrere Autoren, die regelmäßig in deutschen und tschechischen Zeitschriften publizierten. Nicht zu vergessen sind auch die zahlreichen, von der Zielsetzung des Werkes nicht erfassten Beiträge der deutschen, in Böhmen ansässigen Juristen in der Wiener juristischen Fachpresse bis 1918; dies gilt in gleicher Weise auch für die tschechischen Juristen deutscher Sprache in der Zeit der Tschechischen Republik. Das Werk wird abgeschlossen mit einem Stichwortverzeichnis; leider fehlt ein Personenverzeichnis, das zur Erschließung der zahlreichen behandelten Autoren dringend erforderlich gewesen wäre. Zur inhaltlichen Kennzeichnung der herangezogenen Aufsätze bringt Krupar im Wesentlichen gut ausgewählte charakteristische Zitate, die sich u. a. beschäftigen mit staats- und verfassungsrechtlichen Fragen, der Sprachenfrage, dem Verwaltungsrecht, der tschechischen Rechtsgeschichte, dem Minderheitenrecht und mit dem Frauenstimmrecht (vgl. auch die Auseinandersetzung mit Kelsen, S. 184, 249f., 273). Weitere Informationen zu wichtigen rechtsdogmatischen Fragen des Zivil- und Strafrechts sowie zu den zivilrechtlichen Kodifikationsarbeiten von 1924, 1931 und 1937 (hierzu W. Schubert, ZRG Germ. Abt. 112 [1995], 271ff.) wären zur Kennzeichnung der juristischen Fachpresse insbesondere für die Zeit der Republik aufschlussreich gewesen. Die wissenschaftlichen Werke der tschechischen Juristen insbesondere zum Zivilrecht aus der Zeit vor und nach 1918 (zu Letzteren J. Pokorna/J. Fiala, in: Österreichs Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch [ABGB]. Eine europäische Privatrechtskodifikation, Bd. III, Berlin 2010, S. 260ff.) bedürften noch einer detaillierten Darstellung. Zusammenfassend belegen bereits die von Krupar erschlossenen Zeitschriftenbeiträge, dass die tschechischen Juristen bereits vor 1918 eigenständige Beiträge zum österreichischen Recht entwickelten. Insgesamt liegt mit dem Werk Krupars ein wichtiger, sehr informativer Beitrag zur tschechischen Rechtsgeschichte vor, wobei sie für die Republikzeit mit Recht auch die deutschen Beiträge mit einbezieht. Weitere Untersuchungen sollten verstärkt der wechselseitigen Interdependenz und Beeinflussung der tschechischen und deutschsprachigen Juristen Böhmens nachgehen.
Kiel |
Werner Schubert |