Kraushaar, Wolfgang, Verena Becker und der Verfassungsschutz. Hamburger Edition, Hamburg 2010. 202 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Verena Becker wurde in West-Berlin am 31. Juli 1952 als eines von zehn Kindern des 1961 gestorbenen Bergbautechnikers Ewald Becker geboren, 1970 aus einer Realschule in Spandau ohne Erreichen der mittleren Reife entlassen, war seit Dezember 1971 polizeilich nicht mehr gemeldet und galt seit Januar 1972 als erwerbslos. 1972 verübte sie einen Bombenanschlag auf den Berlin British Yacht Club in Berlin-Gatow, bei dem ein Bootsmann ums Leben kam. Aus der deswegen verhängten Jugendstrafe von sechs Jahren wurde sie nach der Entführung des Berliner Vorsitzenden der CDU durch Mitglieder der Bewegung 2. Juni am 27. Februar 1975 zusammen mit Gabriele Kröcher-Tiedemann, Ingrid Siepmann, Rolf Heißler und Rolf Pohle freigepresst und in die Demokratische Volksrepublik Jemen ausgeflogen, in Singen am 3. Mai 1977 im Zuge einer Polizeikontrolle, bei der ihr Begleiter Günter Sonnenberg durch neun Schüsse zwei Polizisten schwer verletzte und die Waffe sichergestellt wurde, die bei dem Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback benutzt worden war, festgenommen und später zu lebenslanger Haft verurteilt, jedoch nach zwölf Jahren Haft von Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1989 begnadigt.
Der 1948 geborene, seit 1987 am Hamburger Institut für Sozialforschung tätige Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar befasst sich seit langem mit der Untersuchung von Protestbewegungen, insbesondere der 68-er Bewegung. Dabei stellte er fest, dass keine andere Frage die deutsche Öffentlichkeit im Zusammenhang mit der Roten Armee Fraktion in der Vergangenheit stärker interessiert hat als die Frage, wer erschoss Siegfried Buback? Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar und Knut Folkerts wurden für die Morde an Buback und seinen Begleitern verurteilt, Verena Becker und Günter Sonnenberg trotz schwerwiegender Verdachtsmomente nicht angeklagt.
Da Verena Becker nachweislich zu Beginn der achtziger Jahre mit dem Verfassungsschutz kooperierte und nach Behauptungen des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik dies auch bereits vor dem Mord an Buback tat, fragt der Verfasser, ob ein Geheimdienst, dem die Aufgabe obliegt, die Verfassung zu schützen, tatsächlich eine Frau in ihren (!) Diensten geführt haben sollte, die von dem Mord entweder informiert war oder gar daran mitgewirkt hat. Nach sorgfältiger Untersuchung unterschiedlichster Verdachtsmomente einer Deckung Verena Beckers durch staatliche Stellen gelangt er freilich zu keinem Beweis, sondern nur zu einer begründeten Vermutung, nicht mehr, aber auch nicht weniger, doch ist vielleicht das letzte Wort in dieser durch gerichtlich ausgetragene Streitigkeiten um die Aktenherausgabe gekennzeichneten Angelegenheit noch nicht gesprochen.
Innsbruck Gerhard Köbler