Koop,
Volker, In Hitlers Hand - die Sonder- und
Ehrenhäftlinge der SS. Böhlau, Köln 2010. 295 S., 20 Abb. Besprochen von Martin
Moll.
Volker Koop hat bereits mehrere Bücher zu exotischen Themen aus der Geschichte des
„Dritten Reiches“ vorgelegt. Nach Studien über den „Werwolf“ und die
SS-Organisation „Lebensborn“ befasst sich seine neueste Veröffentlichung mit
dem Schicksal jener prominenten Persönlichkeiten aus ganz Europa, die als
Sonder- oder Ehrenhäftlinge von der SS gefangen gehalten wurden. Im Vordergrund
stehen die Haftbedingungen an häufig wechselnden Orten sowie die Motive, aus
denen heraus das NS-Regime diese Personen beiderlei Geschlechts zwar ihrer
Freiheit beraubte, sie jedoch verglichen mit der Masse sonstiger KZ-Häftlinge
weitaus besser behandelte, weshalb die meisten dieser Gefangenen die Haft
überlebten.
Der Reigen der Prominenten
spannt sich vom gescheiterten Hitler-Attentäter Georg Elser, einem Schreiner,
bis zu gekrönten Häuptern (König Leopold III. von Belgien) und deren
Familienangehörigen. Zum einen ging es dem NS-Regime darum, prominenter Gegner
und/oder deren Verwandtschaft habhaft zu werden, um sie als Faustpfänder für
erhoffte Verhandlungen mit den Alliierten verwenden zu können. Teils durch
Zufälle, teils durch gezielte Fahndung waren so selbst engste Verwandte des
englischen und italienischen Königs, Churchills, de Gaulles und Stalins in
deutsche Hand gelangt. Deren pflegliche Behandlung wurde bis Kriegsende
fortgesetzt, obwohl der erhoffte Nutzen nicht einmal ansatzweise eintrat. Eine
zweite Gruppe bildeten einstige, dann abgefallene Verbündete wie der ungarische
Reichsverweser Horthy, die für ihren „Verrat“ zwar durch Haft bestraft, mit
Rücksicht auf ihre Bekanntheit im Ausland aber geschont werden sollten. Einst
führende Politiker der von Deutschland annektierten bzw. besetzten Länder,
darunter der österreichische Bundeskanzler Kurt Schuschnigg sowie zahlreiche
Franzosen, bildeten eine weitere Gruppe von Sonderhäftlingen. Zu diesen
zählten, viertens, auch einige hochrangige Militärs feindlicher Staaten, bei
denen Koop jedoch nicht darlegt, warum diese nicht als Kriegsgefangene
galten.
Einen zweiten Schwerpunkt des
Buches bilden die über das gesamte Reichsgebiet verstreuten Haftorte der
Prominenz. Von einer eigenen kleinen Baracke am Rande eines
Konzentrationslagers bis zu teilweise aufwändig adaptierten Schlössern wurden
die unterschiedlichsten Lösungen gefunden. Auffällig ist das intensive
Interesse, das die höchsten NS-Führer, von Hitler und SS-Chef Heinrich Himmler
abwärts, vergleichsweise drittrangigen Fragen der Unterbringung ihrer
Ehrenhäftlinge entgegenbrachten. Fallweise konnte diese Aufmerksamkeit tödliche
Konsequenzen haben, wurden doch zumindest einige prominente Gefangene, darunter
Elser, noch kurz vor der Kapitulation ermordet. Ob es einen generellen
Tötungsbefehl gab, wird nicht recht klar, und wenn scheiterte er an den
chaotischen Umständen der ständigen Verlegung der Sondergefangenen in der
Kriegsendphase. Im April/Mai 1945 in Süddeutschland, Westösterreich sowie in
Südtirol konzentriert, erlebten die Allermeisten dort ihre Befreiung.
Das in 13 Abschnitte
gegliederte Buch ist im Wesentlichen eine Aneinanderreihung von
Fallgeschichten, gruppiert entweder nach der Herkunft der Protagonisten oder
nach den Motiven für ihre privilegierte Internierung. Den unterschiedlichen
Stationen der Leidenswege dieser Personen ist mangels Landkarten nicht immer
leicht zu folgen, manche Details hätten weggelassen werden können. Umgekehrt
sind die Angaben zu den Personen manchmal unzureichend, sind doch nicht wenige
damals Prominente heute weitgehend vergessen. Die knappen Angaben im Register
hätten besser in einen Anhang mit biographischen Notizen gepasst und die oft
verwirrenden Verwandtschaftsverhältnisse der inhaftierten Angehörigen regierender
Dynastien und Adelsgeschlechter könnten Stammbäume besser verdeutlichen.
Ärgerlich sind etliche Fehler bei Datierungen, Diensträngen, Amtsbezeichnungen
usw. – so wird Himmler etwa als „Volkskommissar“ bezeichnet (S. 216).
In Summe hat Koop
jedoch in zahlreichen Archiven ein erstaunlich umfangreiches Material zu Tage
gefördert, das er im Wesentlichen gut lesbar, ja spannend ausbreitet. Berührend
sind die zahlreich zitierten Erlebnisberichte der Opfer, die deren
Lebensumstände plastisch hervortreten lassen, während systematische Analysen
der NS-Politik gegenüber diesen Personengruppen knapp ausfallen. Vermutlich gab
es keine allgemeingültige Linie, sondern eine auf den Einzelfall abgestimmte,
nicht selten auch sprunghaft wechselnde Behandlung der Sonderhäftlinge. Da
deren Status niemals verbindlich definiert und geregelt wurde, belegt Koops
Buch weniger die Brutalität, wohl aber die Willkür, mit der das NS-Regime mit
Menschen verfuhr, die nur teilweise seine Gegner gewesen waren, während ein
anderer Teil ohne eigenes Zutun, vornehmlich aus familiären Gründen
(Sippenhaft), seine Freiheit verlor. Die privilegierte Behandlung der
Sonderhäftlinge ändert nichts daran, dass die SS, aber auch das Auswärtige Amt
und Hitler selbst, in ihnen lediglich ein Mittel zum Zweck sahen, sei es zur
Herbeiführung von Verhandlungen oder für simple Erpressung.
Graz Martin
Moll