Köckritz, Moritz von, Die deutschen Oberlandesgerichtspräsidenten im Nationalsozialismus (1933-1945) (= Rechtshistorische Reihe 413). Lang, Frankfurt am Main 2011. XII, 556 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Im Hauptteil (S. 31-468) bringt das Werk von Moritz von Köckritz – eine von Gerhard Köbler betreute Innsbrucker Dissertation – die Biographien der 65 OLG-Präsidenten Deutschlands aus der Zeit von 1933 bis 1945 sowie für die Zeit ab 1938 auch in den österreichischen und sudetendeutschen Gebieten. Grundlage der Biographien sind in erster Linie die meist erhalten gebliebenen, oft umfangreichen Personalakten. Mit ihrer Auswertung leistet die Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der Justiz unter dem Nationalsozialismus, wie er bisher für die Leiter der Oberlandesgerichte, welche die „vordere Linie“ der Justiz – abgesehen vom Reichsgericht und dem Volksgerichtshof – bildeten, fehlte. In den allgemeinen Vorbemerkungen geht von Köckritz auf die rechtlichen Grundlagen der personellen Maßnahmen des Nationalsozialismus (Berufsbeamtengesetz, Reichsbürgergesetz und Deutsches Beamtengesetz), auf die Einflüsse der NSDAP auf die Personalpolitik und auf strukturelle Maßnahmen ein (S. 7ff.). Hierzu gehören insbesondere die Verreichlichung der Justiz und die veränderte Funktion der OLG-Präsidenten auch als Leiter der Justizverwaltung ihrer Bezirke. Es folgen kurze Abschnitte über die Einwirkung des Reichsjustizministeriums auf die richterliche Gewalt, über die sogenannte Euthanasiekonferenz in Berlin am 23./24. 4. 1941, an der alle OLG-Präsidenten und Generalstaatsanwälte teilnahmen, sowie über die Entnazifizierung. Nach dem biographischen Teil erstellt von Köckritz auf der Basis der Biographien ein „Profil“ der Präsidenten (u. a. durchschnittliches Alter, soziale und regionale Herkunft, Konfessionszugehörigkeit, Personenstand, Kriegsteilnahme, Noten der Staatsexamina, politische Einstellung sowie Entnazifizierung und Betätigung nach dem Krieg, wozu von Köckritz die Spruchakten herangezogen hat). In einem knappen „Schluss“ fasst von Köckritz die wichtigsten Ergebnisse seiner Untersuchungen zusammen (S. 520f.). Danach hatten die meisten OLG-Präsidenten ihre Ausbildung noch vor dem Ende des Ersten Weltkriegs abgeschlossen; etwas mehr als die Hälfte von ihnen hatte promoviert. 32% von ihnen waren bereits vor 1933 der NSDAP beigetreten (gegenüber nur 5% der Justizangehörigen in Hessen und Hamburg). Ein Drittel der OLG-Präsidenten trat aus der Kirche aus (Reichsdurchschnitt: 5%). Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten blieben nur sieben OLG-Präsidenten im Amt (Zusammenstellung der ausgeschiedenen OLG-Präsidenten S. 471ff.). Nach 1945 wurden vier der 29 OLG-Präsidenten als Richter verwendet. S. 515 stellt von Köckritz das Ergebnis der Entnazifizierung zusammen, wonach nur zwei ehemalige Präsidenten in die Stufe II (Belastete) kamen, während zwölf Präsidenten (34%) in die Gruppe V (Entlastete) gelangen. Hierzu bringt von Köckritz am Ende der jeweiligen Biographie eine eigene Einschätzung des „politischen“ Standorts der jeweiligen Person (S. 1). Hiernach hätten 32% der Präsidenten den Personengruppen I und II (Hauptschuldige und Belastete) zugeordnet werden müssen. Während unter dem Reichsjustizminister Gürtner die fachliche Kompetenz immer noch die Hauptrolle spielte, waren für Thierack (ab 1942) für die Besetzung der OLG-Präsidentenstellen Fronterfahrung sowie politische Betätigung und Zuverlässigkeit die wichtigsten Kriterien für die Eignung zum Präsidentenamt.

 

Die insgesamt sehr aufschlussreichen, oft sechs bis acht Druckseiten umfassenden Kurzbiographien vermitteln ein anschauliches Bild über die Justizkarriere der einzelnen OLG-Präsidenten. Nicht selten bringt von Köckritz Zitate aus den Lageberichten der Präsidenten an das Reichsjustizministerium. Hingewiesen sei auf die Biographien von Dürr (OLG-Präsident von München 1937-1943), des Schwagers Gürtners, über den Kammergerichtspräsidenten Hölscher, der 1933 von seinem Posten als Staatssekretär des preußischen Justizministeriums an das Kammergericht „strafversetzt“ wurde, von Sattelmacher (Präsident des OLG Naumburg von 1933 bis 1945) und insbesondere von Schwister (bis 1933 Präsident des preußischen Landesprüfungsamtes, OLG-Präsident von 1933-1943 in Düsseldorf), der „politisch ungebunden“ die „Einflussnahme der Gauleitung auf seine Personalpolitik“ kritisierte (S. 353). Das Werk wird abgeschlossen mit der Wiedergabe von Lichtbildern von 52 der 65 OLG-Präsidenten, einer Aufstellung der OLG-Präsidenten, die vor dem 30. 1 .1933 im Amt waren, und der Präsidenten von 1923-1945, geordnet nach der NSDAP-Mitgliedschaft und nach Mitgliedschaften in Gliederungen der NSDAP und den angeschlossenen Verbänden. Insgesamt hat von Köckritz die sich insbesondere aus den Personalakten ergebende Materialfülle in interessant geschriebenen Kurzbiographien zusammengefasst. Seine Darstellung lässt nur wenige Wünsche offen. Mitunter wäre es aufschlussreich gewesen, wenn von Köckritz auch inhaltlich auf Beiträge von OLG-Präsidenten in Gesetzgebungskommissionen und Ausschüssen der Akademie für Deutsches Recht (vgl. dazu auch die Stellungnahmen von OLG-Präsidenten von 1943 zu Reformfragen der Gerichts- und Justizverfassung im BA Berlin, R 22/216 und 239) eingegangen wäre.

 

Mit der Arbeit von Moritz von Köckritz liegt ein wichtiges Werk zur deutschen Justizgeschichte im Nationalsozialismus und hinsichtlich der Entnazifizierung der OLG-Präsidenten auch zur Nachkriegsgeschichte vor, auf dem insbesondere weitere Arbeiten über einzelne Oberlandesgerichte aufbauen können. Vor allem fehlen noch immer detailliertere Untersuchungen über die östlichen OLG-Bezirke (Breslau, Königsberg, Stettin, Danzig, Marienwerder und Kattowitz) und über die Gesamtheit der Generalstaatsanwälte.

 

Kiel

Werner Schubert