Kleineberg, Andreas/Marx, Christian/Knobloch, Eberhard/Lelgemann, Dieter, Germania und die Insel Thule. Die Entschlüsselung von Ptolemaios’ „Atlas der Oikumene“. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2010. 176 S., 4 farbige Kart. Besprochen von Gerhard Köbler.
Die wichtigste Quelle für die Geographie Germaniens im Altertum ist die Geographike Hyphegesis des um 100 n. Chr. geborenen und um 170 n. Chr. gestorbenen griechischen Gelehrten Klaudios Ptolemaios, der sein Werk in Alexandria in Ägypten um 150 n. Chr. verfasste, wo ihm die bedeutendste Bibliothek des Altertums zur Verfügung stand. Er beschreibt in seinem Buch zunächst die theoretischen Grundlagen für seine maßstabgetreue kartographische Darstellung der Welt. Danach bietet er eine Überblickskarte und 10 Karten für Europa, vier für Afrika und zwölf für Asien mit rund 6300 koordinierten Ortsangaben sowie weiteren unkoordinierten Namen von Völkern und Landschaften in 84 Ländern bzw. Regionen.
Grundlage dieser Geographie ist das Werk des nicht weiter bekannten etwqas älteren Marinos von Tyros, das Ptolemaios durch Itinerare, Seeroutenbeschreibungen, Einzelkarten, Reiseberichte und astronomisch-geographische Fachliteratur ergänzt. Das ursprüngliche Ergebnis dieser Arbeit ist im Original verloren, so dass an seine Stellen 53 (bisher bekannte) griechische Handschriften bzw. Handschriftenfragmente treten müssen, die mit Ausnahme eines Papyrusfragments aus dem Anfang des dritten Jahrhunderts frühestens um 1300 entstanden sind. Auf dieser unsicheren Grundlage versuchen die Verfasser mit Hilfe moderner technischer Überlegungen eine neue Entschlüsselung der 137 Ortsangaben für die Germania magna, der 53 Orte und Geländemarken der Gallia Belgica, Germania Inferior und Germania Superior, der 23 Namen für Raetia und Vindelicia sowie der 18 Angaben für Noricum und außerdem eine Zuordnung des Namens Thule.
Dies beginnt mit der Mündung des Rhenus fluvius, in der die Verfasser Ijssel wiedererkennen und endet mit der Entscheidung für die norwegische Insel Smøla als dem ehemaligen Thule. Dazwischen begegnen etwa Hedemünden, Naunheim, Friedberg, Lohr, Wimpfen, Rottweil, Donauwörth, Treuchtlingen, Bregenz oder Nauders sowie viele ungefähre Bezüge. Trotz aller damit verbundenen Unsicherheiten dürfte das Werk der Verfasser die derzeit beste, frühere Schlüsse vielfach in Frage stellende Auswertung der wichtigen antiken Quelle für Germanien sein, für deren mühevolle Erarbeitung den Verfassern trotz mancher verbleibenden Ungewissheit sehr zu danken ist.
Innsbruck Gerhard Köbler