Karstens, Simon, Lehrer - Schriftsteller - Staatsreformer. Die Karriere des Joseph von Sonnenfels (1733-1817) (= Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 106). Böhlau, Wien 2011. XII, 508 S. Besprochen von Stephan Wagner.

 

Die von Helga Schnabel-Schüle betreute historische Dissertation widmet sich dem Leben und Wirken von Joseph von Sonnenfels, einem der bedeutendsten Vertreter der österreichischen Aufklärung. Die Arbeit erhielt im September 2009 vom Freundeskreis der Trierer Universität einen Förderpreis für den wissenschaftlichen Nachwuchs sowie im Jahr 2010 vom Institut für Personengeschichte den erstmals verliehenen Forschungspreis.

 

I. Eine quellenbasierte Darstellung des Lebenslaufes von Sonnenfels stellt auch nach über 150 Jahren Sonnenfelsforschung immer noch ein Desiderat dar, wie Karstens nach einer instruktiven Zusammenfassung der Forschungsgeschichte zu Recht betont (Kap. 1.2, S. 12-19). Ebenso eingängig und übersichtlich ist der Überblick über die archivarische Überlieferung (Kap. 1.1, S. 7-12): Angesichts der vielfältigen Tätigkeiten Sonnenfels’ auf unterschiedlichsten Gebieten stand der Autor dabei vor der Herausforderung, einen über verschiedene Archive und Bestände verteilten, überaus heterogenen Korpus von Quellen zu bearbeiten. Ähnliches gilt für die zahlreiche und spezialisierte Sekundärliteratur aus den verschiedenen Fachdisziplinen, die bis Herbst 2007 ausgewertet wurde (S. 12 Fn. 32).

 

Ausgangspunkt und zentrale Fragestellung ist für Karstens, auf welche Weise Sonnenfels als Reformer aus der zweiten Reihe „seine Ziele erreichte, wie er seine Karriere voranbrachte und wie er seine Ansichten durchsetzte, wenn er auf Widerstand traf“ (S. 2). Methodisch strebt die Untersuchung keine „narrative Biographie“ an, die einfach den Werdegang Sonnenfels’ „von der Wiege bis zur Bahre“ wiedergibt, sondern eine quellenbasierte „biographische Studie“, die seinen Lebenslauf „als Summe seiner sozialen Interaktionen“ begreift (S. 2-6). Entsprechend ist auch der Aufbau der Arbeit ausgerichtet: Die chronologisch gereihten Kapitel sollen jeweils „verschiedene voneinander abgegrenzte Bündel sozialer Beziehungen, die als Netzwerke oder auch Wirkungsbereiche bezeichnet werden können“, analysieren. Der Gegenstand des einzelnen Kapitels ergibt sich mithin „aus der zeitgenössischen Wahrnehmung der strukturellen Bedingungen, wie beispielsweise Zugangsregeln oder Umgangsformen, sowie räumlichen, zeitlichen und personellen Kriterien“ (S. 6-7). Im Ergebnis vermögen Aufbau und Struktur der Kapitel jedenfalls zu überzeugen.

 

Die Studie beginnt mit der Herkunft und dem familiären Umfeld Sonnenfels’ (Kap. 2, S. 25-38), um sich dann seinen „ersten eigenen Schritten“ zuzuwenden insbesondere seiner Dienstzeit bei den Hoch- und Deutschmeistern und dem anschließenden Studium der Rechte (Kap. 3, S. 39-67). Eingehend wird sein akademisches Wirken gewürdigt, sowohl an der Universität Wien, wo er 1763 auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für Polizey- und Cameral-Wissenschaft berufen wurde, als auch an verschiedenen Akademien (Kap. 4, S. 69-175). Zudem wird Sonnenfels’ Bedeutung für die Sprachreform in seinen verschiedenen Funktionen als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor dargestellt (Kap. 5, S. 177-231): Als „Staatsstilist“ hatte Sonnenfels auf Weisung Kaiser Josephs II. dabei jeden neuen Legislativakt sprachlich zu begutachten, seine Stilrevision war also Bestandteil jedes Gesetzgebungsverfahrens (Kap. 5.5, S. 227ff.). Weiterhin wird auch die Rolle Sonnenfels’ im gesellschaftlichen Leben Wiens ausführlich behandelt (Kap. 6, S. 233-280).

 

Breiten Raum nimmt zu Recht Sonnenfels’ Tätigkeit als Staatsreformer auf den verschiedensten Gebieten ein (Kap. 7, S. 281-461). Neben den Theater- (Kap. 7.1, S. 281-310) und Bildungsreformen (Kap. 7.4, S. 369-408) sind – aus rechtshistorischer Sicht – vor allem der Beitrag Sonnenfels’ bei der Aufhebung von Folter und Todesstrafe (Kap. 7.2, S. 310-344), der Reform des Polizeiwesens (Kap. 7.3, S. 345-369) und der Judengesetzgebung (Kap. 7.5, S. 408-419) hervorzuheben. Ambivalent erscheint freilich der für Sonnenfels’ kodifikatorische Tätigkeiten gewählte Titel „Die Kodifikation des Rechts – Reform durch Gesetzessammlung“ (Kap. 7.6, S. 419-461), handelt es sich doch bei den betreffenden Gesetzesvorhaben der Zeit um Kodifikationen im eigentlichen Sinne und nicht etwa um bloße Gesetzessammlungen. Nach einem Überblick über die verschiedenen Hofkommissionen, in denen Sonnenfels Mitglied war (Kap. 7.6.1, S. 419-425), werden sein Einfluss auf den zweiten Teil des Allgemeinen Gesetzes über Verbrechen und derselben Bestrafung von 1787 (über politische Verbrechen) sowie der von ihm selbst entworfene zweite Teil des Gesetzbuches über Verbrechen und schwere Polizey-Übertretungen von 1803 (über schwere Polizeiübertretungen) analysiert (Kap. 7.6.2, S. 425-438). Daneben werden Sonnenfels’ Tätigkeit in der Revisionshofkommission 1794-1796 und seine Beiträge zur endgültigen Abfassung des ABGB in den Jahren 1801ff. skizziert (Kap. 7.6.3, S. 438-445). Abschließend wendet sich Karstens den Arbeiten am politischen Kodex zu, den er völlig zu Recht als Sonnenfels’ „ehrgeizigstes Projekt“ (S. 445) und „unvollendetes Lebenswerk“ ansieht (Kap. 7.6.4, S. 446-461). Hierauf soll im Folgenden daher näher eingegangen werden.

 

II. Dieser politische Kodex war als öffentlich-rechtliches Gegenstück zu den Kodifikationen des Privat- und Strafrechts geplant. Die Arbeiten begannen um 1780 und dauerten mit kürzeren und längeren Unterbrechungen bis 1818, dem Jahr nach Sonnenfels’ Tod, der über all die Jahre die treibende Kraft dieses Vorhabens gewesen war.[1]

 

Leider haben sich bei der Behandlung des politischen Kodex aber einige bedauerliche Unrichtigkeiten eingeschlichen, auf die angesichts der grundlegenden Bedeutung der Arbeit für die weitere Sonnenfelsforschung hingewiesen werden muss. Das von Karstens eingangs zitierte Handschreiben, mit dem Kaiser Franz II. im Jahre 1801 die Bildung einer eigenen Kommission zur Bearbeitung des politischen Kodex anordnet, wird zwar zutreffend interpretiert, aber es datiert nicht etwa vom „8. Mai 1801“ (S. 446 Fn. 2304) sondern vom 3. November 1801.[2]

 

1. Das öffentliche Recht war 1753 bewusst von der Tätigkeit der Kompilationskommission ausgenommen worden, die mit der Abfassung des Codex Theresianus betraut war. Dies muss aber nicht notwendigerweise ein Hinweis darauf sein, dass „von vornherein“ geplant war, diesbezüglich eine „eigenständige Bearbeitung“ zu unternehmen, wie Karstens annimmt (S. 447). Es kann zu diesem Zeitpunkt auch opportun erschienen sein, von einer Bearbeitung des öffentlichen Rechts völlig abzusehen, etwa im Hinblick auf die damit einhergehende Beteiligung der Stände.

 

Erst 1768, also 15 Jahre später, erteilte Maria Theresia der Hofkanzlei den Auftrag, von den Länderstellen Auszüge aller geltenden Verordnungen in Publicis et Politicis zu sammeln, um diese nach Möglichkeit zu vereinheitlichen und dann für jedes Land zu publizieren. Das entsprechende kaiserliche Handschreiben war allerdings nicht an Staatskanzler Kaunitz gerichtet, wie Karstens ausführt (S. 447), sondern an den Obersten Kanzler der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei Graf Rudolph Chotek.[3]

 

Das Ergebnis wurde später rückblickend als „blosse mechanische Sammlung“ charakterisiert: „Die ganze Frucht einer durch zwölf Jahre fortgesetzten Arbeit war ein unförmliches Gehäufe von Bänden, welches von Seite der Wahl und Zusammenstellung der darin enthaltenen Verordnungen sich auch nicht durch das geringste Verdienst auszeichnet“. Diese Einschätzung findet sich jedoch nicht schon in Sonnenfels’ Promemoria vom 7. April 1790,[4] wie Karstens annimmt (S. 447 Fn. 2310), sondern erst im Sitzungsprotokoll vom 26. März 1791.[5]

 

Hoch anzurechnen ist Karstens dagegen die Entdeckung je einer Abschrift von Sonnenfels’ erstem Vorschlag für einen politischen Kodex und einer weiteren Eingabe Sonnenfels’ hierzu (S. 447). Zwar werden bei beiden Abschriften das Datum und der Verfasser des jeweiligen Originals nicht angegeben. Aus dem Inhalt schließt Karstens jedoch mit überzeugenden Gründen darauf, dass Sonnenfels die beiden Denkschriften 1780 verfasst hat (Fn. 2311). In der ersten verweist der Verfasser nämlich auf das von ihm „seit 17 Jahren bekleidete politische Lehramt“: Dies kann nur Sonnenfels selbst im Jahre 1780 gewesen sein, da er 1763 den entsprechenden neu geschaffenen Lehrstuhl erhalten und seither innegehabt hatte (s. o.). In der zweiten wird anfangs auf die noch nicht erfolgte Entscheidung über die erste Denkschrift Bezug genommen und zudem der politische Kodex als ein Werk bezeichnet, das „durch den vorgesetzten glorwürdigen Namen der besten Monarchinn verherrlicht zu werden würdig ist“: Folglich muss die zweite Denkschrift nach der ersten, aber noch zu Lebzeiten von Maria Theresia (die am 29. November 1780 stirbt) abgefasst worden sein. Dieses Ergebnis wird außerdem dadurch bestätigt, dass die erste Abschrift eine Passage enthält,[6] die später mehrfach jeweils mit nahezu wortwörtlicher Übereinstimmung als Zitat aus Sonnenfels’ erstem Vorschlag von 1780 wiedergegeben wird.[7]

 

2. Was den weiteren Fortgang der Arbeiten unter Kaiser Joseph II. angeht, fallen zunächst einige Flüchtigkeitsfehler bei der Datierung auf (S. 448): So stammt nicht das von Karstens zitierte Votum Kaunitz’ vom 20. April 1781, sondern der zugrunde liegende Vortrag der Hofkanzlei;[8] ähnlich datiert im Jahr darauf nicht die Äußerung Sonnenfels’ vom 8. November 1782 (S. 448), sondern wiederum der entsprechende Vortrag der Hofkanzlei.[9] Weil Joseph II. hierauf (am 16. November 1782) von einem politischen Kodex, wie ihn Sonnenfels geplant hatte, abrückte und zunächst ein bloßes Register in Auftrag gab, nimmt Karstens an, dass der Kaiser „allein an der praktischen Wirkung“, aber nicht an der generellen Bedeutung eines politischen Kodex interessiert zu sein schien (S. 449). Diese Sichtweise dürfte jedoch in ihrer Akzentuierung zu einseitig sein. Zum ersten würde wohl keine Regierung viereinhalb Jahre Arbeit in ein Gesetzgebungsprojekt investieren, wenn dieses bei seinem Erscheinen bereits zu zwei Dritteln überholt zu sein droht, wovon Joseph II. nach Aktenlage ausging. Zum zweiten erwähnt Karstens nicht den darauf folgenden Kompromissvorschlag der politischen Kompilationskommission, den der Kaiser schließlich am 15. März 1783 genehmigte: Statt eines bloßen Registers einerseits oder eines politischen Kodex im ursprünglichen Sinne andererseits sollte eine Mittelweg eingeschlagen werden, nämlich eine „Compilation, die zwar im Styl weniger rein und in der sistematischen Ordnung weniger scientifisch … ausfallen, in der Hauptsache aber desto zuverläßlicher, gemeinnütziger und der Allerhöchsten Absicht gemäser seyn wird“, wie sie auch Kaunitz befürwortete.[10]

 

3. Ähnliche Unschärfen finden sich auch in den Ausführungen zur Regierungszeit Kaiser Leopolds II. (1790-1792). Zutreffend weist Karstens darauf hin, dass Sonnenfels bereits 1784 mit dem Plan für eine politische Gesetzgebung bei Leopold vorstellig wurde, als dieser Wien besuchte. Für die Annahme allerdings, dass Leopold diesen Vorschlag abgelehnt hätte (S. 449f.), gibt es keine Belege. Zudem hätte Leopold als Großherzog von Toskana seinem kaiserlichen Bruder insoweit wohl kaum Vorgaben machen können, sondern sich allenfalls noch einmal informell für Sonnenfels’ Vorhaben einsetzen. Dass Sonnenfels „darüber hinaus“ dazu neige, viele Verpflichtungen zu übernehmen, die er dann nicht erfüllen könne (S. 450), hatte Leopold im Übrigen schon anlässlich seines Wienaufenthalts von 1778/79 vermerkt.

 

Sonnenfels setzte jedenfalls in die Person Leopolds große Hoffnungen. Dies zeigt allein der Umstand, dass er sich schon am 7. April 1790, also nur kurze Zeit nach dem Tod Josephs II. (am 20. Februar 1790), wieder mit einem Promemoria Über die Wiederherstellung der politischen Kompilation an Leopold wandte, als dieser seinem Bruder in Wien auf den Thron gefolgt war.

 

Leopold II. ordnete schließlich am 12. Februar 1791 die Reorganisation der politischen Kompilationskommission an, bei der Sonnenfels das Referat führen sollte. Entsprechend kam es am 26. März 1791 bei der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei zu einer ersten Sitzung, bei der Sonnenfels das Referat führte. Ausweislich des Sitzungsprotokolls, das zahlreiche Parallelen zu Sonnenfels’ Promemoria vom 7. April 1790 aufweist, folgte die Hofkanzlei weitgehend dessen Argumentation. Nur gegenüber der Einsetzung einer eigenen Kommission äußerte sich die Hofkanzlei ablehnend und schlug stattdessen vor, diese Aufgabe selbst in der ordentlichen vollen Rathssitzung wahrzunehmen.[11] Die Behauptung Karstens’, dass am 26. März 1791 seitens der Hofkanzlei „ein eigener Antrag zur Erstellung eines politischen Kodex eingegangen“ sei (S. 451), ist so also nicht richtig. Was die in diesem Sitzungsprotokoll angesprochene Aufstellung der leitenden Grundsätze angeht, so beziehen sich diese vornehmlich auf den Gegenstand der Sitzung, das heißt, auf die von Leopold II. befohlene Einrichtung der politischen Gesetzkompilation. Dass „[d]iese Grundsätze im Gegensatz zu den einzelnen Landesrechten als unveränderlich“ gelten sollten, wie Karstens annimmt (S. 421), verkürzt die Ausführungen im Sitzungsprotokoll erheblich. Denn dort wird gerade unterschieden zwischen den Grundsätzen, die einerseits „allen Staaten gemein“ und „stäts und überall unveränderlich“ sind, und jenen, bei denen andererseits „eine Verschiedenheit der politischen und physischen Umstände Einfluß nehmen, und daher in der Anwendung zwischen den Provinzen eine Art von Lokalverschiedenheit herbeyführen muß“.[12] Dies ist eine Position, die Sonnenfels schon in seinem ersten Vorschlag von 1780 und in seinem Promemoria vom 7. April 1790 vertreten hatte.

 

Der Staatsrat war in der Beurteilung dieses Protokolls gespalten. Vor allem Hatzfeld äußerte nicht nur sachliche, sondern auch persönliche Kritik an Sonnenfels. Leopold II. griff in seiner Resolution vom 3. August 1791 zwar die sachlichen Kritikpunkte Hatzfelds auf, ansonsten genehmigte er den mit dem Sitzungsprotokoll eingereichten Plan zu einer vollständigen politischen Gesetzsammlung nahezu unverändert.[13] Wie aus einem abschriftlich erhaltenen Vermerk Sonnenfels’ hervorgeht, war dieser daher mit der Entwicklung, die er durch sein Promemoria in Gang gesetzt hatte, nicht unzufrieden.[14] Es erscheint insoweit zu undifferenziert, wenn Karstens mit Blick auf das Promemoria von 1790 lapidar feststellt: „Sonnenfels versuchte erneut vergeblich, die unter Joseph II. gescheiterte Einrichtung einer Kommission zur Kodifikation der politischen Gesetze anzuregen“ (S. 422). Denn Sonnenfels’ Projekt stand mit ihm als federführendem Referenten nun wieder auf der Agenda. Im Übrigen war die Einrichtung einer eigenständigen Hofkommission unter Joseph II. gerade nicht gescheitert, sondern tatsächlich erfolgt (S. 448).

 

4. Zu pauschal erscheint auch die Annahme, „dass das Projekt mit Regierungsbeginn Franz’ II. vorerst eingestellt wurde“ (S. 452). Zwar sind für die restliche Regierungszeit Leopolds II. (bis zum 1. März 1792) keine weiteren Quellennachweise bekannt.[15] Für die Zeit nach dem Regierungsantritt Franz’ II. finden sich aber sehr wohl Belege dafür, dass das Projekt nie völlig zum Erliegen kam.[16]

 

Die von Franz II. am 3. November 1801 gebildete Hofkommission zur Kompilation der Generalien und Normalien unter Friedrich von Eger tagte, so Karstens, bis zum 22. August 1802, „als sie nach dem Tode Egers aufgelöst wurde“ (S. 453). Eger wurde aber am 22. August 1802 im Zuge einer Reorganisation der zentralen Verwaltung lediglich in den Ruhestand versetzt[17] und starb erst 1812 (S. 424).

 

Als der spätere Präsident der Kommission Heinrich Franz von Rottenhan im Jahre 1809 verstarb, stieg Sonnenfels auch nicht, wie auf S. 424 ausgeführt wird, „zeitweise zum Präsidenten auf“, sondern er führte als Vizepräsident kommissarisch die Geschäfte, bis Johann Rudolph Chotek zum neuen Präsidenten der Kommission ernannt wurde (S. 456 f.).

 

III. Auch sonst sind die Ausführungen nicht frei von Ungenauigkeiten. Richtig ist: Sonnenfels setzte sich bei den Beratungen des ABGB dafür ein, die im Gemeinen Recht rezipierte Regelung des SC Velleianum bzw. der Authentica si qua mulier beizubehalten, wonach sich eine Ehefrau für ihren Mann nur dann wirksam verbürgen konnte, wenn vorher eine entsprechende Belehrung (die sog. Certioration) stattgefunden hatte. Diese Position konnte sich aber, wenn auch knapp, nicht durchsetzen und fand daher, entgegen der Darstellung bei Karstens (S. 443), auch keinen Eingang mehr in das ABGB (vgl. § 1349 ABGB).[18]

 

Des weiteren wird die Abkürzung ABGB als „Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch der Habsburgermonarchie von 1803“ eingeführt (S. V). Der korrekte, ursprüngliche Titelzusatz von 1811 (S. 438) lautet jedoch für die gesamten Deutschen Erbländer der Österreichischen Monarchie: Denn bei seinem Inkrafttreten umfasste der örtliche Geltungsbereich nämlich gerade nicht die Länder der Stephanskrone, also auch nicht „die“ gesamte Habsburgermonarchie.[19]

 

Irritierend sind auch einige formale Flüchtigkeitsfehler. So wird die Abkürzung „HK“ ohne Erläuterung im Abkürzungsverzeichnis in unmittelbarer Abfolge mal für „Hofkanzlei“ verwendet und mal für „Hofkommission“ (S. 424f. Fn. 2203-2208). Manches hätte dabei auch dem Lektorat des Verlages auffallen können: In den kursiv gesetzten Quellenzitaten wird „dass“ durch gängig mit Doppel-S statt „daß“ mit scharfem S geschrieben, obwohl ansonsten an der üblichen zeitgenössischen Schreibweise festgehalten wird. Gewöhnungsbedürftig sind zudem die vierstelligen Fußnotenziffern und der Umstand, dass die Langzitate in den Fußnoten ebenso wie im Literaturverzeichnis aufgebaut sind und somit stets den Nachnamen vor dem Vornamen nennen.[20]

 

Der tabellarische Lebenslauf (Anhang I, S. 501-503) verschafft einen guten Überblick und ermöglicht ebenso wie das Personenregister (Anhang II, S. 505-508) einen schnellen Zugriff. Ein Sachregister fehlt hingegen. Da die Querverweise in den Fußnoten und im tabellarischen Lebenslauf ausschließlich auf die Nummerierung der Kapitel Bezug nehmen, würde es dem Leser die Orientierung deutlich erleichtern, wenn in die Kopfzeilen nicht nur die Überschrift, sondern auch die Nummer des betreffenden Kapitels aufgenommen worden wäre.

 

So fällt leider insgesamt etwas Schatten auf das Licht, welches die Arbeit auf Leben und Wirken Sonnenfels’ in großem Umfang wirft. Eine biographische Studie zu Sonnenfels stellt sowohl hinsichtlich des Genres als auch der Person Sonnenfels’ eine große Herausforderung dar. Karstens hat sich dieser Herausforderung mit Erfolg gestellt. Er hat bei der Auswertung der archivarischen Quellen und der Sekundärliteratur eine ungeheure und höchst heterogene Materialmenge bewältigt. Was etwa das letztliche Scheitern des politischen Kodex angeht, so arbeitet Karstens die ausschlaggebenden Gründe klar und präzise heraus (S. 460 f.). Trotz mitunter einfacher handwerklicher Fehler leistet die Arbeit ohne Zweifel einen wesentlichen Beitrag für die weitere Sonnenfelsforschung.

 

Regensburg                                                                 Stephan Wagner



[1] Vgl. hierzu Sigmund Adler, Die politische Gesetzgebung in ihren geschichtlichen Beziehungen zum allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuche, in: Wiener Juristische Gesellschaft (Hrsg.), Festschrift zur Jahrhundertfeier des ABGB, Teil I (1911), S. 83-145; Karl-Heinz Osterloh, Joseph von Sonnenfels und die österreichische Reformbewegung im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus  Eine Studie zum Zusammenhang von Kameralwissenschaft und Verwaltungspraxis (1970), S. 204ff.; Stephan Wagner, Der Politische Kodex – Die Kodifikationsarbeiten auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts in Österreich 1780-1818 (2004).

[2] Adler, in: Festschrift ABGB (Anm. 1), S. 135; Osterloh, Sonnenfels (Anm. 1), S. 216 f.; Wagner, Der politische Kodex (Anm. 1), S. 123 m.w.N. in Fn. 152.

[3] Wagner, Der politische Kodex (Anm. 1), S. 26f.

[4] Vgl. Wagner, Der politische Kodex (Anm. 1), Anhang 1, S. 235ff., 240.

[5] Vgl. Wagner, Der politische Kodex (Anm. 1), Anhang 2, S. 245ff., 246.

[6] Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Familienkorrespondenz A, Karton 26, fol. 38rff., 38v, 43r.

[7] Sowohl in Sonnenfels’ Promemoria vom 7. April 1790 als auch im Sitzungsprotokoll vom 26. März 1791, vgl. Wagner, Der politische Kodex (Anm. 1), S. 47f. Fn. 23 bzw. S. 56 Fn. 67.

[8] Wagner, Der politische Kodex (Anm. 1), S. 33 m.w.N. in Fn. 11.

[9] Wagner, Der politische Kodex (Anm. 1), S. 38f. m.w.N. in Fn. 27f.

[10] Wagner, Der politische Kodex (Anm. 1), S. 39 f. m.w.N. in Fn. 29f.

[11] Wagner, Der politische Kodex (Anm. 1), S. 55 ff., 59f.

[12] Wagner, Der politische Kodex (Anm. 1), S. 58.

[13] Wagner, Der politische Kodex (Anm. 1), S. 64.

[14] Vgl. Wagner, Der politische Kodex (Anm. 1), S. 64 in Fn. 109.

[15] Vgl. Osterloh, Sonnenfels (Anm. 1), S. 214; Wagner, Der politische Kodex (Anm. 1), S. 65.

[16] So schon Osterloh, Sonnenfels (Anm. 1), S. 215; Wagner, Der politische Kodex (Anm. 1), S. 88 f.

[17] Wagner, Der politische Kodex (Anm. 1), S. 127 m.w.N.

[18] Julius Ofner (Hrsg.), Der Ur-Entwurf und die Berathungs-Protokolle des Österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, Bd. II (1889), S. 213ff., 215.

[19] Hierzu Wilhelm Brauneder, HRG, 2. Aufl., Bd. I, Art. „Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch“, Sp. 146ff., 152.

[20] Vgl. etwa Fn. 2179 auf S. 419: „Schlosser, Hans: Kodifikationen im Umfeld des Preußischen Allgemeinen Landrechts …, in: Merten, Detlef u. Schreckenberger, Waldemar (Hg.): Kodifikation gestern und heute …“.