Jansen, Nils, Binnenmarkt, Privatrecht und europäische Identität. Eine historische und methodische Bestandsaufnahme. Mohr (Siebeck), Tübingen 2004. X, 111 S. Besprochen von Hans-Peter Benöhr.
1. Das kleine Werk, ursprünglich ein Vortrag, ist vorbildlich, und deswegen soll es hier vorgestellt werden. Es verbindet miteinander profunde rechtshistorische Forschung, breite Rechtsvergleichung, moderne Dogmatik und Rechtspolitik. Von diesen vier Punkten aus erörtert der Verfasser, welche Materien für eine gesamteuropäische Kodifikation schon reif sind und welche Methode zur Schaffung eines gemeinsamen europäischen Rechts im Übrigen zur Verfügung steht.
Von dem „Ausgangspunkt“ (§ 1) der engen historischen und kulturellen Verbindung der europäischen Privatrechtsordnungen schreitet er fort zum „Markt“ für ein Europäisches Gesetzbuch (§ 2).
Unter dem
Gesichtspunkt der „Identität“ (§ 3) erklärt er, dass das europäische
Vertragsrecht auf dem Fundus grundlegender Gedanken und gemeinsamer Wertungen
des 17. und 18. Jahrhunderts aufbaue. Hinsichtlich der Einzelheiten verweist
Jansen oft auf Gordley, The Philosophical Origins of Modern Contract Doctrine,
und vornehmlich auf Zimmermann, Law of Obligations.
Desgleichen habe sich das Haftungsrecht, dem Jansen selbst eine große Monographie gewidmet hatte, im Wesentlichen auf Grund der lex Aquilia im Natur- und Vernunftrecht voll ausgebildet. Die Haftung ohne vorwerfbares Fehlverhalten sei jedoch in den verschiedenen Rechtsordnungen unterschiedlich behandelt worden. Die europäische Rechtswissenschaft müsse jetzt erst einmal ein überzeugendes Grundverständnis des Haftungsrechts insgesamt entwickeln.
Auch die Bereicherungshaftung
knüpfe an das römische Recht an und daneben an die spätscholastische
Restitutionslehre. Heute sei vor allem
unklar, ob es um den Ausgleich einer Entreicherung oder um die Abschöpfung
einer Bereicherung gehe. Deswegen müssten die europäische Rechtswissenschaft
und Rechtsprechung das Bereicherungsrecht noch einmal durchdenken.
Es ist schließlich offensichtlich, dass man von einem einheitlichen „europäischen Sachenrecht“ noch weit entfernt ist, selbst wenn man nur bis zum Mobiliarrecht schaut und das Immobiliarrecht noch gar nicht ins Auge fasst.
2. Jansen hatte in § 1 mit der Beschreibung seines „Ausgangspunkts“ eine nützliche Übersicht über die Motive, Initiativen und Modelle eines Europäischen Zivilgesetzbuchs, aber auch über die Gründe für Skepsis und Kritik geliefert. Auf dem rechtspolitischen „Markt“ (§ 2) sei ein einheitliches Recht zu begrüßen, weil es den Rechtsverkehr vereinfachen und ein Symbol einer gemeinschaftlichen Identität darstellen würde. Deswegen beantwortet Jansen in dem umfangreichsten Kapitel (§ 3) die Frage: „inwieweit den im einzelnen divergierenden Regeln der europäischen Rechtsordnungen bereits jetzt eine einheitliche Grundkonzeption zu Grunde liegt, auf der ein identitätsstiftendes Europäisches Zivilgesetzbuch aufbauen könnte, oder ob ein solches Recht erst noch konstruktiv zu schaffen sei“.
Nachdem Jansen zunächst ausschließlich das Vertragsrecht für kodifikationsreif erklärt hatte, erörtert er in § 4 Fragen der „Methode“ zur Schaffung eines gemeinsamen europäischen Rechts im Übrigen. Historische Beispiele für die von ihm vorgeschlagene Bildung rechtsordnungsunabhängiger Theoriemodelle und problemorientierter Begrifflichkeit sind ihm die Naturrechtslehre und die pandektistische Jurisprudenz. Weitere historische Untersuchungen würden das gemeinsame europäische Erbe in Erinnerung rufen, einen großen Erfahrungsschatz unterschiedlicher Lösungen erschließen und das überlieferte Instrumentarium kritisch analysieren. § 5 enthält 17 „Zusammenfassende Thesen“.
3. „Seit der Mitte des letzten Jahrhunderts ist das Bewusstsein rasch gewachsen, dass die einzelnen Privatrechtsordnungen Europas – trotz ihrer Unterschiede im einzelnen – historisch und kulturell eng miteinander verbunden sind“ . Diese an der Spitze des Vortrages hervorgehobene historische Komponente beherrscht auch unseren Kurzbericht. Deswegen wurden die ebenso interessanten Argumente aus dem modernen Recht und Jansens Vorstellungen der „Identität Europas“, der erstrebten „Integration des Kontinents“, der „Identifikation der Bürger Europas mit der Union“, der „Integration des europäischen Zivilrechts“ und des Ziels eines „identitätsstiftenden Europäischen Zivilgesetzbuchs“ nicht weiter erörtert. Auch abgesehen von diesem Ziel regen alle Überlegungen Jansens zur Diskussion, etwa über das Familien- und Erbrecht, über das Wirtschafts- und Arbeitsrecht und über das öffentliche Recht der Einzelstaaten und der Europäischen Union an.
Hervorzuheben ist Jansens Methode der vergleichenden Rechtsgeschichte und zwar unter ständiger Einbeziehung des englischen Rechts, dessen splendid isolation nicht unwesentliche Einflüsse vom Kontinent zuließ. Man bemerkt auch die große Bedeutung, die Jansen den mittelalterlichen Juristen und vor allem den Naturrechtslehrern beilegt.
Die ausgedehnten Anmerkungen und das lange und dennoch - angesichts der vielen angesprochenen Einzelfragen - unvermeidbarerweise lückenhafte Literaturverzeichnis (beispielsweise werden Knütels und Wackes Bemühungen, antikes und modernes Recht miteinander zu verbinden, kaum erwähnt), sind ein Indiz für die Anstrengung, die erforderlich ist, um Rechtsgeschichte, Rechtsvergleichung, Dogmatik und Rechtspolitik miteinander zu verbinden.
Berlin Hans-Peter Benöhr