Jan, Libor/Janiš, Dalibor und Kollektiv, Ad iustitiam et bonum commune. Proměny zemského práva v českých zemích ve středověku a raném novověku [Wandlungen des Landrechts in den böhmischen Ländern im Mittelalter und in der frühen Neuzeit]. Vydala Matice moravská pro Výzkumné středisko pro dějiny střední Evropy: prameny, země, kultura a Historický ústav AV ČR, v. v. i. [hg. v. der Matice moravská für das Forschungszentrum für die Mittelalterliche Geschichte Mitteleuropas - Quellen, Länder, Kultur und für das Historische Institut der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik], Brno 2010. 300 S. Besprochen von Petr Kreuz.

 

Die zu rezensierende Publikation stellt ein Gemeinschaftswerk dar, das verschiedenen Aspekten der Geschichte des Landrechts in den böhmischen Ländern im Mittelalter und in der frühen Neuzeit gewidmet ist. Es umfasst eine breite Zeitspanne vom Ende des 12. bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts.

 

In einer kurzen einführenden Studie (S. 7-9) bieten Libor Jan und Dalibor Janiš eine kurzgefasste Übersicht der böhmischen, vor allem rechtshistorischen Forschung über die Geschichte des Landrechts und machen auf einige ausgewählte Quelleneditionen aufmerksam. Sie weisen darauf hin, dass das Landrecht den rechtlichen Umkreis im Sinne einer Schlüsselbedeutung darstellte, „…der auf entscheidende Weise den Gang des böhmischen Staates und seiner Gesellschaft zu bestimmen vermochte“ (S. 9).

 

Die Publikation besteht insgesamt aus vier thematischen Abteilungen, die sich anhand der Aktivitäten der Forscher und des fachlichen Interesses einzelner Mitautoren ergaben.

 

Der erste thematische Teil unter dem Titel Soudnictví a prameny zemského práva (Gerichtswesen und Quellen des Landrechts) eröffnet Libor Jan mit der analytischen Studie Hereditates a soudy statut Konráda Oty (Hereditates und Gerichte der Statuta von Konrad Otto) (S. 10-22). Der Verfasser versuchte hier mit Erfolg die Bedeutung des Terminus hereditas zu erfassen, der in der einführenden Passage einer der bedeutsamsten Quellen des böhmischen früh- und hochmittelalterlichen Lehnrechts, in den so genannten Statuta Konrad Ottos aus dem Jahre 1189, erscheint. Der Verfasser gelangte zu seinen diesbezüglichen Schlüssen auf der Grundlage eines Vergleichs mit einem breiten Umkreis von verschiedenen aus der fraglichen Zeit stammenden Quellen. In der Auseinandersetzung mit den Ansichten J. Žemličkas (der den Zeitpunkt der Ausgestaltung des Allodialeigentums in den böhmischen Ländern erst im 13. Jahrhundert sah) geht Jan davon aus, dass die hereditas in den ältesten böhmischen Quellen ein freies Landeigentum bezeichnet über das sein Besitzer im Prinzip frei verfügen kann. Im Kapitel Nalézání práva a zemské soudnictví v českých zemích (Rechtsfindung und das Landesgerichtswesen in den böhmischen Ländern) (S. 23-46) weist Dalibor Janiš zuerst auf die Bedeutung der Rechtsfindung (nalézání práva) als eines Schlüsselinstituts des Landrechts hin, das eng mit der Tätigkeit des böhmischen und mährischen Landesgerichts verknüpft war. Anschließend bringt er eine eingehende Übersicht über die in der älteren tschechischen und deutschböhmischen Forschung vertretenen Ansichten hinsichtlich der Art und Zeit der Entstehung und frühen Entwicklung des Landesgerichts in Böhmen und berührt auch kurz die spezifische Problematik der Entstehung des Landesgerichts in Mähren. Janiš verweist darauf, dass obwohl die meisten Forscher die Entstehung des böhmischen Landesgerichts zu Recht in die Regierungszeit König Ottokars II. (1253-1278) setzen, sich auf der Grundlage der in den Quellen vorkommenden Erwähnungen eine kontinuierliche Entwicklung des Amtes des böhmischen (Land-)Richters schon seit den 1170er Jahren verfolgen lässt. In diesem Falle war der sudí (Richter) nur ein Beamter, dem es oblag, die Gerichtsverhandlungen am Herrscherhof zu „lenken“. Janiš sieht gerade in diesem „Hofgericht“, das allmählich zum „Gericht von Prager Beamten“ wurde, d. h. von ursprünglichen Hofbeamten, die „stufenweise zu Landesbeamten wurden“, einen Vorgänger des Landesgerichts (S. 41). Gerade das letztgenannte Gericht verwandelte sich allmählich in ein Landesgericht. Janiš erinnert daran, dass die Frage der Rechtsfindung in der bisherigen Literatur nur am Rande und sporadisch behandelt wurde Aus diesem Grunde macht der Verfasser bei seiner Beurteilung des rechtlichen Charakters der Rechtsbefunde (nálezy) auf die Quellen aufmerksam (insbesondere das Rechtsbuch Ondřejs von Dubá und die Knihy devatery - Neun Bücher - Viktorin Kornels von Všehrdy). Janiš übernimmt im Wesentlichen Všehrds Unterscheidung zwischen allgemeinen und besonderen Urteilen. Abschließend berührt er die Frage der rechtlichen Verbindlichkeit der Urteile. Im Cerroniho sborník a textová tradice tzv. Rožmberské knihy (Cerronis Sammelband und die Texttradition des so genannten Rosenberger-Buches) (S. 47-60) genannten Aufsatz bietet Naďa Štachová eine inhaltliche und kodikologische Analyse des merkwürdigen Handschriftenkomplexes mittelalterlicher, vornehmlich rechtlicher Texte, der in den 1850er Jahren auf gefühllose Weise mechanisch aufgeteilt wurde und dessen einzelne Teile allmählich in die Österreichische Nationalbibliothek in Wien, in die Bibliothek des Nationalmuseums in Prag und in das Mährische Landesarchiv in Brünn gelangten. Den bedeutendsten Teil des ursprünglichen Komplexes, den die Autorin als Cerronis Sammelband bezeichnet, stellt die Abschrift des ältesten tschechisch geschriebenen Rechtsbuches über das böhmische Landrecht, des so genannten Rosenberger-Buches dar. Der Komplex soll nach Štachová im böhmischen aristokratischen Umfeld offensichtlich am Beginn des zweiten Jahrzehnts des 15. Jahrhunderts entstanden sein. Die Autorin versuchte auch, den untersuchten Sammelband in den Kontext der Texttradition des Rosenberger-Buches einzuordnen. Der erste Teil schließt dann eine Übersicht unter dem Titel Zemské právo Horního Slezska – stav bádání a badatelské perspektivy (Landrecht von Oberschlesien – Forschungsstand und Perspektiven) (S. 61-67) an, die von dem Professor der Rechtsgeschichte an der Universität zu Wroclaw (Breslau) Marian J. Ptak geschrieben wurde. Die Entwicklung des Landrechts in Oberschlesien lasse sich seiner Ansicht nach spätestens seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts verfolgen. Ptak macht auf die Bedeutung der so genannten Landesordnungen der oberschlesischen Fürstentümer aufmerksam beginnend mit der in tschechischer Sprache verfassten Landesordnung für das Fürstentums Oppeln-Ratibor. Der Autor weist auch darauf hin, dass die Gesellschaft Oberschlesiens sich bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts aus verschiedenen ethnischen Komponenten zusammensetzte, was sich wesentlich in dem dortigen Landrecht niederschlug. Das gegenwärtige Hauptziel der Erforschung der Geschichte des oberschlesischen Landrechts ist nach Ptak „….nicht nur die kritische Edition aller oberschlesischen Landesordnungen und die Rechtsanalyse ihres Inhalts, sondern auch eine Bestimmung des Umfangs, in dem die Normen des ursprünglichen polnischen und mährischen Rechts übernommen worden sind, und auch des Ausmaßes der Infiltration oder sogar der Rezeption fremden Rechts in den Landesordnungen einzelner Fürstentümer und ständischer Kleinstaaten, d. h. des böhmischen, deutschen (sächsischen) und des Reichsrechts (römischen Rechts)“ (S. 67).

 

Die im zweiten Teil der Publikation enthaltenen Beiträge sind hinsichtlich der Thematik wesentlich enger gefasst. Der Teil trägt den Titel Zemské právo ve spisech Karla staršího ze Žerotína (Landrecht in den Schriften Karls des Älteren von Žerotín). Karl der Ältere von Žerotín (1564-1636) war einer der bedeutendsten Repräsentanten der mährischen ständischen Gemeinde am Ende des 16. und im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts. Er wurde auch als hervorragender Kenner des mährischen Landrechts berühmt. In den Jahren 1608-1615 versah er das höchste Amt in der Markgrafschaft Mähren, d. h. das Amt des Landeshauptmanns. Jana Janišová legt in ihrem Aufsatz „De iure nostro.“ Právní spis Karla staršího ze Žerotína („De iure nostro“. Eine Rechtsschrift Karls des Älteren von Žerotín) (S. 68-106) eine eingehende Analyse eines am Ende der 1950er Jahre durch den Rechtshistoriker František Čáda entdeckten Werks sowie die kritische Edition eines seiner Kapitel vor. Das Werk De iure nostro ist ein Autograph Karls des Älteren von Žerotín und ist in einem einzigen Exemplar erhalten. Die Autorin setzt seine Entstehung in die zweite Hälfte de Jahres 1607. Sie bietet zunächst eine eingehende Beschreibung des auf uns gekommenen Manuskripts. Sie untersucht ferner die Quellen des mährischen Landrechts, die Žerotín bei der Abfassung seiner Schrift verwendete. Danach charakterisiert sie seine Arbeitsmethode. Es folgt eine eingehende Inhaltsanalyse der Schrift De iure nostro. Janišová hebt hervor, dass dieses Werk nicht den einzigen Text aus der Feder Žerotíns darstelle, in dem seine außerordentlichen Rechtskenntnisse in Erscheinung träten. Dann unternimmt die Autorin den Versuch, die Gründe für die Entstehung von Žerotíns Schrift festzustellen und äußert die Vermutung, dass die Schrift das Ergebnis der Bemühungen um eine Revision des veralteten Towatschau-Buches sei. Den Abschluss des Aufsatzes bildet eine sorgfältig bearbeitete und eingehend kommentierte kritische Edition des Kapitels O hejtmanu (Vom Hauptmann) aus der untersuchten Schrift. In einem umfassenden Materialaufsatz Žerotínovy glosy k moravskému zemskému zřízení z roku 1562 (Žerotíns Glossen zur Mährischen Landesordnung aus dem Jahre 1562) mit dem Untertitel Osobní prvky v zemské legislativě a příprava zemských zřízení v prostředí žerotínské Moravy (Persönliche Elemente in der Landeslegislative und Vorbereitung von Landesordnungen innerhalb des Milieus des zierotinschen Mähren) (S. 107-154) bringt Tomáš Knoz eine Übersicht und Analyse eigenhändiger Glossen Karls des Älteren von Žerotín in einem Druck der Mährischen Landesordnung aus dem Jahre 1562. Der genannte Druck, den der Verfasser des Aufsatzes in der Universitätsbibliothek in Wroclaw entdeckte, ist ein weiterer Beleg für Žerotíns außerordentliche juristische Erudition. Žerotíns Glossen stellen für Knoz gleichzeitig den Ausgangspunkt zur Behandlung einiger allgemeinerer Fragen dar. In der Einführung zu seinem Aufsatz beschäftigt sich Knoz zunächst am Beispiel des mährischen Konfiskationsprotokolls aus dem Jahre 1624 mit der Problematik der persönlichen, bzw. subjektiven Elemente in den Rechtsquellen aus der Frühneuzeit. Als den ausgeprägtesten Ausdruck des Verhältnisses von objektiven und subjektiven Elementen in der Welt des frühneuzeitlichen Landrechts bezeichnet er die Entstehung von Rechtstexten, „… die anfänglich auf den ersten Blick die Gestalt eines offiziellen Rechtsakts zeigten, nichtsdestoweniger tatsächlich aber ein Privatdokument darstellten“ (S.115). Solche Rechtstexte waren nach Knoz nicht nur die spätmittelalterlichen mährischen Rechtsbücher (d. h. Towatschau-Buch und Drnowsches Buch), sondern auch Žerotíns Werke Zápisky o soudu panském (Notizen über das Herrengericht) und Sněm držaný léta 1612 (Der im Sommer 1612 abgehaltene Landtag) aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts. Im weiteren Teil des Kapitels unternimmt der Verfasser den Versuch, den Fortgang der Vorbereitung der Landesordnungen in Mähren vor und nach der Schlacht am Weißem Berge zu erfassen. Neben den vor der Schlacht am Weißen Berge entstandenen mährischen Landesordnungen aus den Jahren 1535, 1545, 1562 und 1604 gilt seine Aufmerksamkeit auch dem Landfrieden von 1516, der nach Ansicht der jüngsten Forschung faktisch auch eine Landesordnung darstellte, und der Verneuerten Landesordnung für Mähren aus dem Jahre 1628. Knoz macht darauf aufmerksam, dass die dem Erscheinen einzelner Redaktionen der Landesordnung vorausgehenden Perioden in Mähren nicht nur durch gesteigerte Aktivität und Intensivierung der legislativen Tätigkeit der Landtage gekennzeichnet waren, sondern auch durch vermehrte Amtskorrespondenz und verschiedene persönliche Verhandlungen. Seine These belegt Knoz durch eine eingehende Übersicht der Beschlüsse des Mährischen Landtags aus den Jahren 1569-1620, welche die Vorbereitung der Landesordnung betrafen. Danach legt der Autor die Analyse selbst der zierotinscher Glossen, deren Entstehung er mit großer Wahrscheinlichkeit in das Jahr 1598 ansetzt, folglich in die Zeit, in der die Landesordnung aus dem Jahre 1604 in Vorbereitung war. Knoz versucht eine Typologie von Žerotíns Rechtsglossen zu geben und unterscheidet unter ihnen die Glossen, die bestimmte Rechtsnormen oder Termini erklären, ferner ergänzende und den Text der bestehenden Landesordnung konkretisierende Glossen, sodann die Richtigkeit oder Gültigkeit einzelner Artikel wertende Glossen und schließlich ironisierende Kommentare an die Adresse von Žerotíns politischen Gegnern. Knoz erinnert daran, dass neben rein juristischen Glossen im obengenannten Druck auch Žerotíns genealogische Bemerkungen enthalten sind, denen aber auch eine gewisse rechtliche Relevanz eignet. Den Abschluss des Aufsatzes bildet eine eingehende und instruktiv bearbeitete Übersicht von Žerotíns Glossen in einem Druck der Landesordnung von 1562 und ihr Vergleich mit dem Wortlaut der Landesordnung vom Jahre 1604.

 

Der dritte Teil der Publikation, welcher der Problematik der Ikonografie zemského soudu (Ikonographie des Landesgerichts) gewidmet ist, besteht aus zwei nicht umfangreichen Kapiteln. Im ersterem unter dem Titel Miscellanea k ikonografii zemského soudu (Miszellen zur Ikonographie des Landesgerichts) (S. 155-166) bestimmt Robert Novotný auf der Grundlage eines Vergleichs mit ausgewählten Darstellungen von Gerichtsverhandlungen aus dem spätmittelalterlichen Westeuropa charakteristische Züge und Motive in den aus dem 16. Jahrhundert stammenden Abbildungen der Tagungen des (böhmischen) Landesgerichts. Der Autor gelangt zu dem Schluss, dass die bildlichen „… Darstellungen des Landesgerichts in sich wichtige Zeugnisse über eine Reihe von Phänomenen enthalten, sei es über das Verhältnis der Befolgung der ikonographischen Tradition bei der Darstellung des Jüngsten Gerichts und der realen Gerichtsszenen, sei es über die von den Adligen bei Hervorhebung ihrer Stellung oder der Stellung ihres Adelgeschlechts angewandten Strategien, insbesondere aber über die Rolle des Landesgerichts innerhalb der Gesellschaft der Adligen (S. 165). Im Kapitel Vyobrazení zemského soudu na zámku v Bechyni (Abbildung des Landesgerichts im Schloss von Bechyně) (S. 167-177) bietet Zuzana Hlavicová eine eingehende Analyse der eine Sitzung des Größeren Landesgerichts darstellenden Wandmalerei, die sich im südböhmischen Schloss Bechyně befindet. Die erwähnte Wandmalerei hat sich nicht vollständig erhalten. Aufgrund ihrer Analyse und eines Vergleichs mit der Zusammensetzung des Böhmischen Landesgerichts in den Jahren 1596-1602 kam die Verfasserin zum Schluss, dass die Wandmalerei erst in Auftrag gegeben wurde, als nach Petr Wok von Rosenberg Adam von Sternberg Besitzer des Schlosses geworden ist (1596). Die Entstehungszeit der Wandmalerei ist nach der Autorin entweder mit den Jahren 1598-1608 anzusetzen, oder kurz nach dem Jahre 1608, als Adam von Sternberg den Gipfel seiner Laufbahn erreichte, indem er der höchste Landesbeamte des Königreichs Böhmen, d. h. der Oberste Burggraf, geworden ist.

 

Der vierte und letzte Teil der Publikation ist mit dem Titel Inkolát, absolutismus a právníci (Inkolat, Absolutismus und Juristen) versehen. Der Rechtshistoriker Marek Starý bietet in einem Kapitel mit dem etwa komplizierten Titel (mit vielleicht allzu bescheiden lautendem Untertitel) ,A tak ve všech povinnostech se srovnati mám s obyvateli téhož království českého a země české.´ Několik poznámek k obyvatelskému právu a české inkolátní praxi v 16. století (,Und ich soll allen Pflichten nachkommen gleich den Bewohnern desselben Königreichs Böhmen und des Landes Böhmen´. Einige Bemerkungen zum Inkolatsrecht und zur böhmischen Inkolatspraxis im 16. Jahrhundert) (S. 178-211) eine allseitige, formal und terminologisch brillante und relativ detaillierte Übersicht über die mit dem Inkolat (Einwohnerrecht) im Königreich Böhmen verbundene Problematik. Er erinnert daran, dass dem Inkolat und dem Sich-Einkaufen der Ausländer bisher die größte Aufmerksamkeit durch dem Archivar Vladimír Klecanda in einigen Studien aus den 1920-30er Jahren gewidmet wurde. Starý charakterisiert das Inkolat als ein subjektives Recht seines Trägers. Obwohl das Inkolat für gewöhnlich als eine Berechtigung, Landtafelgüter (freie Güter) käuflich zu erwerben, Landesämter inne zu haben und an den Landtagen teilzunehmen, angesehen wird, ist es nach dem Autor zweckmäßiger, den Inhalt des Inkolats einzuengen auf die Möglichkeit Landtafelgüter zu erwerben und das Inkolat gleichzeitig als eine der Bedingungen der Ausübung von weiteren Rechten öffentlich-rechtlicher Natur zu betrachten (S. 180). Starý steckt ferner ab und charakterisiert eingehend die Arten der Gewinnung des Inkolats: 1. Erteilung durch den Landtag; 2. so genanntes Bekenntnis zum Land (přiznání k zemi); 3. Annahme in den Herren- oder Ritterstand; 4. Annahme als Bürger; 5. Geburt; 6. Annahme des Inkolats durch einen Aszendenten. Einzelne behandelte Arten der Erlangung des Inkolats werden vom Autor anhand konkreter Beispiele illustriert. Er weist auch eingehend auf die einschlägigen Bestimmungen des Landrechts hin. Er macht außerdem unter anderem auf den Umstand aufmerksam, dass den Bewohnern der Nebenländer der Krone Böhmens, die sich im Königreich Böhmen niederlassen wollten, die Erlangung des Inkolats gegenüber den „vollständigen Ausländern“ durch das Institut des Bekenntnisses zum Lande erleichtert wurde. Ferner definiert der Verfasser und charakterisiert die Arten des Erlöschens des Inkolats. Es waren folgende Arten: 1. Tod; 2. Ausverkauf aus dem Lande; 3. Sanktion; 4. Standesänderung. Unter Sanktion wurde gewöhnlich die Verurteilung des Trägers des Inkolats zum Verlust von Ehre und Eigentum verstanden. Die Standesänderung bestand in der Praxis am häufigsten darin, dass eine Angehörige des Ritterstandes einen Mann von niedrigerem Stande heiratete und dabei seinen Stand annahm. Ausnahmsweise konnte es auch zur Ausscheidung einer Person aus dem Ritterstande kommen. Im abschließenden Teil des Kapitels versucht Starý eine Antwort darauf zu finden, wie viele Personen in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berge (1526-1620) das böhmische Inkolat erlangten. Er kommt zum Schluss, dass diese Frage bei dem heutigen Forschungstand sich nicht genau beantworten lässt, kann aber belegen, dass die Anzahl der Personen, die das Inkolat erwarben, in der in Frage kommenden Zeit wenigstens 300 betrug. Der bisher nur am Rande untersuchten Entwicklung des Landesgerichts der Markgrafschaft Mähren in der Zeit vor und nach dem Weißen Berge widmet sich Jiří David im umfassenden Aufsatz Moravské právo a problém absolutismu. Sociální profil moravského zemského soudu v 17. a 18. století (Mährisches Recht und das Problem des Absolutismus. Das soziale Profil des mährischen Landesgerichts im 17. und 18. Jahrhundert) (S. 212-243). Nach anfänglichen allgemeinen Erwägungen zum Thema Stände und Absolutismus bietet der Autor eine Übersicht über die Entwicklung des Mährischen Landesgerichts in den Jahren 1625-1642. Sein Interesse gilt nicht nur der Art und Weise des Funktionierens des Landesgerichts, sondern auch den Persönlichkeiten, die im genannten Zeitraum seine Tätigkeit auf eine entscheidende Weise prägten (insbesondere Kardinal Franz von Dietrichstein). Der Autor weicht auch nicht der prinzipiellen Frage aus, wie die im Jahre 1636 erfolgte Errichtung des mährischen Königlichen Tribunals in das Funktionieren und in die Befugnisse des Landesgerichts hätte eingreifen können. Im zweiten Teil seines Aufsatzes widmet sich David der vom Landesgericht seit dem Jahre 1650 ausgeübten Tätigkeit, also nach Ende der achtjährigen Periode (1642-1650), während welcher die Sitzungen des Gerichts infolge der Kriegsereignisse unterbrochen waren. Der Autor konstatiert, dass in den 1650er Jahren in Mähren „das reformierte System von drei gerichtlichen Hauptinstitutionen“ zu funktionieren begann (S. 227), d. h. des Landesgerichts, des Landtafelamtes und des königlichen Tribunals. Aus dem Versuch des Autors, die strittige Agende des Mährischen Landesgerichts zu analysieren, ergibt sich die wenig überraschende Tatsache, dass das Gericht vor allem zivilrechtliche Streitigkeiten behandelte, und zwar hauptsächlich Erbschafts- und Schuldprozesse oder andere vertragliche Verpflichtungen, während strafrechtliche Prozesse im wesentlich kleineren Umfang vor das Gericht kamen. Am Schluss seines Aufsatzes bietet David eine allseitige Analyse des sozialen Profils des Mährischen Landesgerichts in den Jahren 1651-1783. Er schenkt dabei besondere Aufmerksamkeit der Stellung der Beisitzer aus den Reihen der Angehörigen der bedeutendsten mährischen Adelsgeschlechter (Liechtenstein, Dietrichstein), den Kriterien bei der Auswahl der Beisitzer, ihrer Bildung (vornehmlich rechtswissenschaftlicher und sprachlicher) sowie ihrer vorherigen Amtslaufbahn. Im untersuchten Zeitraum saßen bei dem obengenannten Gericht insgesamt 175 Beisitzer, davon 122 Angehörige des Herrenstandes und 53 Angehörige des Ritterstandes. Das Verzeichnis dieser Personen mit Angaben über ihre Funktionszeit befindet sich in der dem Aufsatz beigefügten Anlage. Im letzten Kapitel der Publikation unter dem Titel Právník v byrokratickém aparátu. K juristickým kariérám v habsburské monarchii na přelomu 18. a 19. století (Jurist im bürokratischen Apparat. Zu den juristischen Karrieren in der Habsburger Monarchie an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert) (S. 244-262) schildert Tomáš Sterneck das Lebensschicksal und die Amtskarriere des Budweiser Bürgers Jacob Ignaz (II.) Daudlebsky von Sterneck (1748-1826). Der Autor würdigt mit Recht Daudlebskys Amtslaufbahn als eine erfolgreiche Karriere eines gebildeten Juristen an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Daudlebsky absolvierte die Prager rechtswissenschaftliche Fakultät. Im Jahre 1772 verteidigte er dort seine Dissertation. Ein Jahr später heiratete er und eröffnete auf der Prager Kleinseite ein Anwaltsbüro. In den Staatsdienst trat er erst im Jahre 1783 ein. Zunächst war er im Böhmischen Fiskalamt tätig, aber schon im Jahre 1784 wurde er zum Rat des Böhmischen Landesgerichts ernannt. Nach kurzer Wirkungszeit am Mährischen Landesgericht in Brünn (1793-1794) erklomm Daudlebsky den Gipfel seiner Karriere, als er im Jahre 1793 als Kammerprokurator an die Spitze des mährisch-schlesischen Fiskalamtes berufen wurde. In diesem Amte war er bis zu seiner im Jahre 1817 erfolgten Pensionierung tätig. Im zweiten Teil seines Aufsatzes widmet sich der Verfasser den Peripetien Daudlebskys in Verbindung mit seiner Nobilitierung, die er endgültig erst im Jahre 1807 erlangen konnte, und seinem Lebensschicksal bzw. den amtlichen Karrieren seiner Familienangehörigen und Nachkommen.

 

Den Abschluss der Publikation bilden das Abkürzungenverzeichnis, eine sorgfältig überarbeitete Übersicht der verwendeten Quellen und Literatur sowie englische Zusammenfassungen einzelner Beiträge und das Autorenverzeichnis.

 

Die rezensierte Publikation stellt einen wichtigen Beitrag zur Erkenntnis des Landrechts in den Böhmischen Ländern dar. Die Autoren einiger Kapitel revidieren auf prinzipielle Weise und bewerten aufs Neue die Ergebnisse bisheriger Forschung. Weitere Autoren machen sich verdienstvoll, indem sie mit den Themen befassen, denen bisher nicht die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt wurde oder die sich lange Zeit am Rande des Forscherinteresses befanden. Bei vielen Mitautoren jüngerer Generation lässt sich ein bewusste Bestreben feststellen, an die lange vernachlässigten, ja tatsächlich bekämpften Traditionen böhmischer und (mährischer) Rechtshistoriographie anzuknüpfen, die insbesondere durch die Persönlichkeit des Professors der Böhmischen Rechtsgeschichte an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Masaryk-Universität in Brünn (1945-1950) František Čáda (1895-1975) repräsentiert waren.

 

Es ist einleuchtend, dass die vorliegende Publikation (auch wegen des fachlichen Interesses einzelner Mitautoren) bei weitem nicht imstande war, alle Lücken zu schließen und den gesamten Desiderata der Forschung über die Geschichte des Landesgerichtswesens in den Böhmischen Ländern nachzukommen. Mit Ausnahme der Entstehungszeit im 13. Jahrhundert wurde die Entwicklung des Böhmischen Landesgerichts, d. h. des obersten Gerichts des Königreichs Böhmen recht stiefmütterlich behandelt. Es ist z. B. auch wenig bekannt über das Schicksal des Böhmischen Hofgerichts in der Frühneuzeit. Fast eine terra incognita ist das Gericht des obersten Burggrafen von Prag ungeachtet der Tatsache, dass es sich bei diesem Gerichtshof um eine verhältnismäßig bedeutende Institution mit landesweitem Wirkungskreis handelte. Abseits der Aufmerksamkeit der Forscher verbleiben weiterhin manche Institute des böhmischen Landesrechts, vor allem jene, die dem Bereich des Sachenrechts angehören.

 

Alle Kapitel der rezensierten Publikation wurden sorgfältig und mit guter Kenntnis der zu behandelnden Thematik bearbeitet. Es ist hier zweifelsohne nicht nur auf die unbestreitbare solide fachliche Qualifikation der Mitarbeiter selbst hinzuweisen, sondern es handelt sich bei der vorliegenden Publikation auch um ein Ergebnis hervorragender redaktioneller Arbeit beider Hauptautoren L. Jan und D. Janiš. Umstrittene Behauptungen, faktographische Unzulänglichkeiten oder terminologische Ungenauigkeiten lassen sich hier nur sporadisch feststellen: Für sehr strittig halte ich aber die Behauptung L. Jans, dass bei dem Villicus-Gericht, das angeblich eines der Vorgänger des Böhmischen Landesgerichts war, seit dem Ende des 12. Jahrhunderts „die Verfolgung von Amts wegen“ (ex officio) als die Hauptprozessform in Erscheinung trat (S. 21). D. Janiš unterschätzt meines Dafürhaltens die den frühneuzeitigen Sammlungen von Gerichtsurteilen innewohnende Bedeutung, wenn er behauptet, dass diese Sammlungen bei den Gerichtsverfahren keine Verwendung fanden und bloß als ein Behelf dienten, „das irgendein Leitfaden für ihre Benutzer war und ihr Rechtsbewusstsein förderte“ (S. 44). Im Aufsatz von T. Knoz wirkt sich ein bisschen störend die oftmalige und manchmal wenigstens ungenaue Verwendung des Adjektivs „legislativ“ aus. J. David brauchte nicht im Zuge seiner Analyse der Agende des Mährischen Landesgerichts von einer „thematischen Breite“ der Streite zu sprechen (S. 228); der rechtliche (nicht der thematische) Inhalt der hier verhandelten Gerichtsstreite ist offensichtlich nicht als „divergent“, sondern als „disparat“ zu bezeichnen (S. 229). T. Sterneck hätte in seinem Aufsatz auch ohne modernisierende und stark konnotierte Termini, wie z. B. „Klan“ oder „Transformation von Kadern“ [sic!] auskommen können. In der „Umgruppierung von Eliten an der Schwelle der modernen Zeit“ kam eine bedeutende Rolle eher der „Justiz“ als der von Sterneck angeführten „Jurisprudenz“ zu. In den edierten Texten stören ein bisschen partielle Abweichungen von den üblichen obligatorischen Transkriptionsregeln, die bei der Edition von böhmischen aus der Frühen Neuzeit stammenden Quellen in Geltung sind.

 

Trotz genannter kleiner Vorbehalte lässt sich insgesamt nochmals feststellen, dass die besprochene Publikation einen gewichtigen und wertvollen Beitrag zur Erkenntnis des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Landesrechts und Gerichtswesens in den Böhmischen Ländern darstellt und dass sie viel Material und zahlreiche Anregungen für das Studium ähnlich gearteter Probleme im breiteren europäischen Kontext beizusteuern vermag.

 

Prag                                                                           Petr Kreuz