Hunecke, Volker, Napoleon. Das Scheitern eines guten Diktators. Schöningh, Paderborn 2011. 419 S., Abb. Besprochen von Werner Schubert.

 

In seinem Werk geht es Hunecke vor allem um die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen der napoleonischen Herrschaft, über die bis heute keine Verfassungsgeschichte des Konsulats und des Empire vorliegt. Hunecke geht davon aus, dass Napoleon mit dem Coup d’Etat vom 18. Brumaire (9. 11. 1799) als Erster Konsul die Diktatur übernommen habe, deren „vormoderne Form auf das Gemeinwohl zielte“. Wer damals „in einer Notlage des Staats die Einsetzung eines Diktators empfahl, hatte unweigerlich die temporäre Diktatur im Auge, zu der die Römer in den ersten Jahrhunderten der Republik wiederholt ihre Zuflucht genommen hatten, um eine akute Gefahr von ihrem Staatswesen abzuwenden“ (S. 9). Insgesamt hat Napoleon für Frankreich Großes geleistet: Beendigung des seit zehn Jahren andauernden Kriegs, innere Befriedung, Rückkehr der Emigranten, umfassende Reorganisation der staatlichen Institutionen und Erlass von Kodifikationen, die wesentliche Errungenschaften der Revolution beibehielten. Diesen bleibenden Leistungen Napoleons ist Teil I des Werkes unter der Überschrift: „Der Zivilist“ (S. 41-196) gewidmet. Im Einzelnen analysiert Hunecke die verfassungspolitischen Weichenstellungen in der Verfassung des Jahres VIII (Bändigung der Volkssouveränität), die „Erfindung“ des Sénatus-Consulte, mit dem der von Napoleon abhängige Senat verfassungsändernde Gesetze beschließen und eine mit der Legislative (Tribunat; Corps législatif) konkurrierende Gesetzgebung ausüben konnte (S. 113), das Konsulat auf Lebenszeit und die plebiszitäre Monarchie (Napoleon als Kaiser auf Lebenszeit). Rechtshistorisch wichtig ist der Abschnitt über den napoleonischen Nouveau Régime (S. 143ff.). In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Formung der Notabelngesellschaft und die Wiederherstellung des Notariats- und Rechtsanwaltsstandes zu nennen. Im Abschnitt über die Kodifikation der Gesellschaft geht Hunecke ausführlich auf den Code civil und den Staatsrat als entscheidendes Gremium für die Ausarbeitung der napoleonischen Gesetzgebung ein (S. 152ff., 157ff.), an der auch die fähigsten Juristen aus der Revolutionszeit wie Cambacérès, Treilhard, Merlin, Berlier und Regnaud de Sainte-Jean d’Angély mitwirkten. Im weiteren Teil der Darstellung behandelt Hunecke auch noch die Reformgesetzgebung des Königreichs Westphalen (S. 221ff.) und des 1808 Frankreich einverleibten Herzogtums Parma und Piacenza (S. 251ff.).

 

Wenn Hunecke von Napoleon als einem „guten Diktator“ spricht, so gilt dies vornehmlich für seine innenpolitischen Errungenschaften, die weitgehend auch von den Satellitenstaaten (Familienstaaten) übernommen wurden. Spätestens seit 1803, zumindest aber seit 1808 hat nach Hunecke Napoleon den Anspruch auf das Epitheton eines „guten“ Diktators verloren (S. 13 ff.). Sein Scheitern und seine Fehlleistungen, die vornehmlich in Teil II „Der Krieg“ (S. 203-339) beschrieben werden, sind begründet in dem „konstitutionellen Geburtsfehler“ des napoleonischen Herrschaftssystems, nämlich in der „Überantwortung der gesamten politischen Gewalt an einen Einzigen, der für sich allein das Recht beanspruchte, über Krieg und Frieden zu entscheiden“ (S. 303f.). Allerdings war das napoleonische Frankreich zu keinem Zeitpunkt eine Militärdiktatur oder brutaler Polizeistaat im Sinne der modernen Diktaturen (S. 140f., 181, 374). Die Trennung zwischen politischer und bürgerlicher Freiheit blieb im Wesentlichen gewahrt (S. 161f.). Napoleons Bestreben nach Unifizierung und Zentralisierung auch in der Behandlung der europäischen Völker machte nur Halt bei Bayern und Württemberg, die den Code Napoléon nicht einführten. In der Charte Ludwig XVIII., die Vorbild für den deutschen Frühliberalismus war (vgl. S. 325), sieht Hunecke die Erfüllung der liberalen Revolution von 1789 (S. 321ff.).

 

In Teil III (S. 343-377) geht es u. a. um die Napoleon-Legende, den Bonapartismus und die „Bilanz des Diktators“, die nach Hunecke darin bestehe, dass Napoleon Frankreich und seine Nachbarn „der neuen, der modernen Zeit angepasste Gesetze und Institutionen, eine den Errungenschaften der Revolution Rechnung tragende Verwaltung und Rechtsprechung gegeben“ habe. Der „gute Diktator“ war insofern ein „überragender Staatsmann“ (S. 142) und ein „brillanter Administrator und Gesetzgeber“ (S. 376). Dem ist allerdings hinzuzufügen, dass der „gute Diktator“ Napoleon nicht ohne sein Gegenteil zu haben war (S. 14). Erst sein Scheitern bewahrte insbesondere in den französischrechtlichen deutschen Gebieten das „Werk des guten Diktators vor dem Untergang“ (S. 14).

 

Insgesamt erschließt das Werk Huneckes über die politische Karriere Napoleons – und insofern ist das Werk auch für den Rechtshistoriker von Wichtigkeit – die verfassungsrechtlichen und gesellschaftspolitischen Grundlagen der napoleonischen Herrschaft unter Berücksichtigung auch der älteren Literatur über Napoleon (Adolphe Thiers und Gabriel Hanotaux; S. 15).

 

Kiel

Werner Schubert