Hundert (100) Jahre bernisches Obergericht in der vorderen Länggasse - 1909 bis 2009 - rechtshistorischer Überblick und architekturhistorische Betrachtungen, hg. v. Obergericht des Kantons Bern, Gesamtleitung Cavin, Marcel. Obergericht Bern, Bern 2009. 151 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Christian Trenkel als amtierender Präsident des Obergerichts Bern beginnt sein kurzes Vorwort mit einigen zeitgenössischen Daten wie der Herrschaft Kaiser Wilhelms II. im deutschen Kaiserreich oder der Schweizer Fußballmeisterschaft von Y(oung) B(oys Bern), ehe er darauf zu sprechen kommt, dass das Obergericht des Kantons Bern im Frühjahr 1909 in das neu erbaute Gerichtsgebäude an der Hochschulstraße umziehen kann, für dessen Gestaltung unter 47 eingereichten Projekten der Entwurf „nach alter Bernerart“ der Architekten Bracher und Widmer ausgewählt wurde. In gewisser Weise sieht er das Jahr 1909 als eine andere Zeit an, in anderer aber vielleicht wieder auch nicht. Jedenfalls vertritt er die Ansicht, dass das Gebäude nach einer zurückhaltenden Renovation im Innern im Jahre 1989 auch nach hundert Jahren den betrieblichen Anforderungen eines modernen Gerichtsgebäudes noch weitgehend entspricht, in seiner Formensprache und seiner Ästhetik noch heute zu überzeugen vermag und darum weiterhin eine Zierde für Kanton und Stadt Bern bilden wird.
Dem folgen zum Einstieg kurze Betrachtungen eines amtierenden Mitglieds des Obergerichts (François Rieder), ehe Jürg Sollberger ausführlich das Obergericht im Wandel der Zeiten schildert. Dabei geht er detailliert ein auf die Schaffung eines Obergerichts und dessen Wesen und Wirken ab 1831, auf die Verfassungsrevision von 1846, die Gerichtsorganisation nach 1852, den Übergang zur Gerichtsorganisation des zwanzigsten Jahrhunderts, die Gerichtsorganisation von 1909, die Vereinheitlichung des materiellen Rechts an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, die Gesetzesrevisionen und die Anpassung des Gerichtsorganisationsgesetzes im 20. Jahrhundert, die Gerichtsorganisation ab 1997 und das Obergericht unter dem neuen Regime der Vereinheitlichung des Zivil-, Straf- und Jugendstrafprozessrechts der Schweiz. Am Ende erzählt er einige bemerkenswerte Geschichten aus dem Obergericht.
Dem Bau des Justizpalastes nach alter Bernerart widmet sich eindringlich mit vielen Abbildungen Markus Thome. Im Anhang sind die jeweils kurz amtierenden Obergerichtsvorsitzenden der letzten hundert Jahre verzeichnet. Literaturverzeichnisse und Quellenhinweise runden den schmalen, schlicht gehaltenen Band, in dessen Inhaltsverzeichnis dem fremden Leser zu Liebe vielleicht trotz aller vornehmen Zurückhaltung doch die Namen der Verfasser genannt hätten werden können, ansprechend ab.
Innsbruck Gerhard Köbler