Hötzel, Yvonne, Debatten um die Todesstrafe in der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1990 (= Juristische Zeitgeschichte Abteilung 3 Beiträge zur modernen deutschen Strafgesetzgebung - Materialien zu einem historischen Kommentar 41). De Gruyter, Berlin 2010. XI, 357 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Die Abschaffung der Todesstrafe durch das am 24. 5. 1949 in Kraft getretene Grundgesetz (Art. 102 GG) war international gesehen in dieser Zeit singulär; in der durch die Demoskopie ermittelten öffentlichen Meinung bildete sich jedoch eine stabile Mehrheit gegen die Todesstrafe erst seit den 70er Jahren im Gebiet der Bundesrepublik heraus. Beim Inkrafttreten des Grundgesetzes befürworteten noch 74%, 1951 noch 69% der Bevölkerung die Todesstrafe für besonders schwere Verbrechen. In der Hagener, von Thomas Vormbaum betreuten Dissertation geht Hötzel der parlamentarischen und öffentlichen Meinungsbildung zur Frage der Abschaffung bzw. Wiedereinführung der Todesstrafe nach. Hierzu wertete sie außer den parlamentarischen Debatten zahlreiche Periodika (Verzeichnis S. 354f.), die demoskopischen Erhebungen und die einschlägigen Akten des Bundesministeriums der Justiz, insbesondere die in den Akten enthaltenen zahlreichen Eingaben aus, die oft individuell beantwortet wurden. Insgesamt beschäftigte sich der Bundestag achtmal mit verschiedenen Begehren nach Einführung der Todesstrafe.

 

Das Werk ist in drei Teile mit 12 Kapiteln gegliedert. Im ersten Teil geht Hötzel den Gründen nach, aus denen die Mitglieder des Parlamentarischen Rats sich, für die Öffentlichkeit überraschend, für die Abschaffung der Todesstrafe entschieden (S. 8ff.). Der erste Antrag hierzu kam vom Abgeordneten Hellwege (Deutsche Partei), dem sich die Mehrheit des Hauptausschusses und im Mai 1949 auch das Plenum des Parlamentarischen Rats anschloss. Maßgebend hierfür waren wohl in erster Linie die Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Rechtsregime, unter dem nach Schätzungen 16.000 Todesurteile durch die Strafgerichte und weitere 25.000 durch die Militärgerichte ergangen waren. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Abgeordneten dürfte mit der Abschaffung der Todesstrafe zugleich die Absicht verbunden haben, deutsche Kriegsgefangene und NS-Verbrecher vor alliierten Todesurteilen oder zumindest vor der Vollstreckung der Todesstrafe zu bewahren (S. 14ff., 324f.). Im nächsten Kapitel behandelt Hötzel zunächst die mehrfachen Bemühungen um die Wiedereinführung der Todesstrafe, die erstmals am 27. 2. 1950 Gegenstand einer Bundestagsdebatte aufgrund eines von Abgeordneten der DP und der Bayernpartei war. Diese und weitere Initiativen nach Einführung der Todesstrafe außer für schwere Verbrechen auch für politische Delikte brachten jedoch den Art. 102 GG „nie ernsthaft in Gefahr“ (S. 327), da auch die Fraktionen der Antragsteller selten hinter den Einzelinitiativen standen. Der Beschluss des bayerischen Landtags vom 21. 6. 1951, der die Staatsregierung ersuchte, „beim Bund auf die Einführung der Todesstrafe bei Verbrechen des Mordes hinzuwirken“ (S. 69ff., 76), löste keine Initiativen des Bundesjustizministeriums aus. Wegweisend für die Zukunft war das Plädoyer des Bundesjustizministers Dehler gegen die Todesstrafe in einer weiteren Bundestagsdebatte am 2. 10. 1952 über die Anträge der DP und der Bayernpartei auf Abschaffung des Art. 102 bzw. auf dessen Ergänzung dahin, dass dieser nicht für die Verbrechen des Mordes und des Menschenraubs gelten sollte. In der Abstimmung am 30. 10. 1952 wurde der Antrag der DP mit 216 gegen 103 Stimmen (10 Enthaltungen) und der Antrag der Bayernpartei mit 175 gegen 134 Stimmen (14 Enthaltungen) abgelehnt (S. 103f.). Unter den zahlreichen Eingaben an das BMJ befinden sich auch solche von zu lebenslanger Zuchthausstrafe verurteilten Verbrechern, die eine Umwandlung ihrer Haftstrafe in die Todesstrafe wünschten (S. 110). Der Bundesminister der Justiz Fritz Neumayer (1953-1956; FDP) trat 1955 für die Einführung der Todesstrafe für Mord ein (S. 149). Allerdings sollte hierüber erst bei der Neuordnung des Strafgesetzbuchs entschieden werden, über welche die Große StGB-Kommission ab 1954 beriet. In ihrer 108. Sitzung am 17. 10. 1958 sprach sich diese mit 19 gegen 4 Stimmen gegen die Aufnahme der Todesstrafe für Mord in den StGB-Entwurf aus (S. 188). Im November 1956 fand eine weithin beachtete Rundfunkdiskussion über die Todesstrafe zwischen dem Präsidenten des OVG Rheinland-Pfalz Adolf Süsterhenn und dem sozialdemokratischen Abgeordneten Adolf Arndt statt (S. 158ff.). Unter dem Bundesjustizminister Fritz Schäffer (1957-1961) lagen Anträge von CSU- und DP-Abgeordneten auf Wiedereinführung der Todesstrafe für das Verbrechen des Mordes vor, die jedoch im Plenum des Bundestags nicht behandelt wurden (S. 168).

 

Im dritten Teil: „Der allmähliche Wandel in der öffentlichen Meinung“ (S. 207 ff.) geht Hötzel dem seit 1961 rückläufigen Trend der Befürwortung der Todesstrafe (Ausnahme nur für das Jahr 1964, S. 250) nach, wenn auch 1967 immer noch eine Mehrheit auf einer Exekution von Schwerverbrechern bestand. Neue Forderungen nach Wiedereinführung der Todesstrafe kamen 1963/64 von dem „Verein zur Wiedereinführung der Todesstrafe“, der eine umfangreiche „Dokumentation für die Todesstrafe“ veröffentlichte (S. 221ff.). Mitte der 60er Jahre sprachen sich aus Anlass der Ermordung eines Bonner Taxifahrers außer Adenauer auch prominente Politiker der CDU/CSU, aber zeitweilig auch wohl aus wahltaktischen Gründen der spätere Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Heinz Kühn (SPD) aus (S. 225ff.). Im Zusammenhang mit den Diskussionen über die innere Sicherheit (Entführung von Peter Lorenz, „Deutscher Herbst“, S. 258ff.) wurde zwischen 1975 und 1977 wiederum von einigen CDU-/CSU-Politikern die Einführung der Todesstrafe gefordert (S. 252ff.). Aber bereits 1979/80 sank die Prozentzahl der Fürsprecher der Todesstrafe auf 30% bzw. 26% (S. 278 ff.). Am 29. 10. 1981 verabschiedete der Bundestag eine Entschließung zur weltweiten Ächtung der Todesstrafe (S. 291; zur weiteren internationalen Entwicklung S. 296ff.). 1987 schaffte die DDR als erster der sozialistischen Staaten die Todesstrafe ab (S. 303).

 

Mit ihrem Werk hat Hötzel eine wichtige Thematik zur Strafrechtsgeschichte der Bundesrepublik behandelt. In ihr spiegelt sich zu großen Teilen zugleich die politische Entwicklung der Bundesrepublik bis in die 80er Jahre. In diesem Zusammenhang wären ein Personenregister und eine knappe biographische Kennzeichnung der Hauptakteure der Debatten, soweit sie heute nicht mehr allgemein bekannt sind, nützlich gewesen. Insgesamt ist es Hötzel in hervorragender Weise gelungen, das dem Werk zugrunde liegende umfangreiche und disparate Quellenmaterial in einer gut lesbaren Darstellung zu präsentieren.

 

Kiel

Werner Schubert