Hömig, Herbert, Karl Theodor von Dalberg. Staatsmann und Kirchenfürst im Schatten Napoleons. Schöningh, Paderborn 2011. 689 S. Besprochen von Werner Schubert.
Obwohl die kirchenpolitischen und allgemeinpolitischen Aktivitäten sowie das schriftstellerische Werk Dalbergs (zu letzterem Carl von Dalberg. Ausgewählte Schriften, hg. v. Spies, H.-B., Aschaffenburg 1997) durch neuere Sammelbände und Teilmonographien gut erschlossen sind, fehlte bislang eine umfassende Biographie über Dalberg. Diese liegt nunmehr mit der Werk des Dortmunder und Kölner Historikers Hömig vor, das sämtliche Aktivitäten Dalbergs sowie Facetten seiner Persönlichkeit erschließt. Carl Theodor von Dalberg (geb. 1744 in Mannheim), der einem linksrheinischen Reichsfreiherrngeschlecht entstammte und zeitlebens den vorrevolutionären Leitvorstellungen des aufgeklärten Absolutismus verhaftet blieb (vgl. S. 585), war nach seinem Studium der Rechtswissenschaft in Heidelberg und einer Bildungsreise 1761/1762 in die Dienste von Kurmainz getreten (dort 1786 Domherr) und vom Mainzer Kurfürsten Emmerich Joseph (gest. 1773, Nachfolger: Friedrich Karl Joseph von Erthal) zum mainzischen Statthalter von Erfurt ernannt worden, ein Amt, das er bis 1802 ausübte. 1787/1788 wurde er zum Koadjutor der Bischöfe von Mainz, Worms und Konstanz (hier 1800 Fürstbischof) gewählt. Nach dem Tod Erthals wurde Dalberg sein Nachfolger als Kurfürst und Reichserzkanzler und behielt auch diese Ämter mit der Übertragung des Mainzer Stuhls auf die Domkathedrale von Regensburg im Jahre 1803 (S. 287). Als Kurfürst verfügte er über die Gebiete der ehemaligen Reichsstadt Wetzlar und die Herzogtümer Aschaffenburg und Regensburg. Sein Titel als Primas Deutschlands wurde vom Papst nicht anerkannt. Wenige Tage vor dem Untergang des Reichs trat Dalberg im Juli 1806 dem Rheinbund bei, dem er entsprechend der Rheinbundakte als Fürstprimas vorstand. Mit der Abtretung des Fürstentums Regensburg an Bayern wurde Dalberg Großherzog des 1810 begründeten Großherzogtums Frankfurt; als Entschädigung für Regensburg erhielt Dalberg Hanau und Fulda. Nach dem Untergang des Großherzogtums nahm Dalberg als Erzbischof dauerhafte Residenz in Regensburg, wo er 1817 verstarb.
Hömig zeigt anhand der aufgezeigten Lebensstationen und Amtsperioden Dalbergs seine Bemühungen um eine Reform des Alten Reichs und anschließend um den Ausbau des Rheinbunds als Erneuerung des Reichs unter neuen Vorzeichen sowie um das Zustandekommen eines Konkordats zwischen dem Papst und dem Reich bzw. dem Rheinbund. Obwohl die politischen Initiativen Dalbergs vornehmlich der allgemeinen und der Kirchengeschichte angehören, sind sie gleichwohl auch für den Rechtshistoriker von Bedeutung. Zu nennen sind zunächst seine Reichsreformpläne des ausgehenden 18. Jahrhunderts (u. a. seine „Vorschläge zum Besten des Reichs“, 1787), die auf eine teilweise Vereinheitlichung des Zivilrechts und Strafrechts und eine Justizreform durch Verfahrensbeschleunigung zielten. Allgemeine staatsrechtliche Fragen behandelte Dalbergs Schrift: „Von den wahren Grenzen der Wirksamkeit des Staats in Beziehung auf seine Mitglieder“ (1793), eine Auseinandersetzung mit dem Werk des ihm sehr verbundenen Wilhelm von Humboldt: „Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen“ (1792). Anders als Humboldt stellte Dalberg die „politische Führungsaufgabe des Staats gegenüber der Gesellschaft stärker“ heraus und „bezweifelte, dass der Mensch spontan das Gute anstrebe“ (S. 275f.). Einen wichtigen justizpolitischen Beitrag stellt sein „Entwurf eines Gesetzbuchs in Criminalsachen“ von 1792 dar, der „eine liberale Tendenz erkennen“ lässt und „als ein gedanklich geschlossenes System“ größere Beachtung in der Strafrechtsgeschichte verdient (vgl. Bernd Rehbach, Der Entwurf eines Kriminalgesetzbuches von Karl Theodor von Dalberg aus dem Jahre 1792, Berlin 1986, 194). Noch nicht hinreichend detailliert untersucht sind die von Dalberg in Erfurt, Regensburg, im Primatialstaat und im Großherzogtum Frankfurt durchgeführten Reformen des Fürsorge- und Armenrechts sowie des Unterrichts-, Universitäts- und Akademiewesens. Ein breites Feld für kirchenrechtliche und staatsrechtliche Untersuchungen eröffnen die zahlreichen Versuche Dalbergs, ein Konkordat für Deutschland mit dem Heiligen Stuhl zustande zu bringen (u. a. S. 297ff., 374ff., 415ff., 498ff.). Ein Fundamentalstatut bzw. eine Verfassung für den Rheinbund, für die Dalberg Napoleon fünf Entwürfe (vgl. S. 418) vorlegte und deren detaillierte inhaltliche Erschließung noch immer aussteht, scheiterte an Frankreich und den größeren Rheinbundstaaten. Für den Primatialstaat kündigte er am 7. 7. 1808 die Einführung des Code Napoléon an, die dann unter dem Großherzogtum Frankfurt zum 1. 1. 1811 erfolgte. Unter dem 27. 9. 1808 begründete Dalberg in Wetzlar eine Rechtsschule, deren sechs Lehrstühle mit ehemaligen Mitgliedern des Reichskammergerichts besetzt wurden (S. 495). Aufgabe der Wetzlarer Rechtsschule war es, die praktische Einführung des französischen Rechts vorzubereiten und zu begleiten (1808: 30 Studenten). Auch beteiligte sich Dalberg teilweise an der sog. Gießener Konferenz, die zwischen dem 4. 9. 1809 und dem 28. 3. 1810 über die Art und Weise der Einführung des Code Napoléon beriet (S. 496; ausführlich hierzu W. Schubert, Französisches Recht in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts, 1977, S. 253-283). Rechtshistorisch wichtig ist die von Dalberg oft persönlich stark beeinflusste Gesetzgebung des Großherzogtums Frankfurt zur Übernahme des Code Napoléon und weiterer Teile des französischen Strafrechts und öffentlichen Rechts (S. 494ff., 503ff.). Mit der Einführung des Code pénal 1812 verlor die Carolina Karls V. ihre Geltung (S. 509). Durch das Organisationsstatut für das Großherzogtum vom 16. 8. 1810 wurden Landstände geschaffen, an deren Beschlüsse sich Dalberg jedoch nicht band (S. 489, 493f.).
Die Darstellung Hömigs verdeutlicht, dass Dalberg, der wegen seiner engen und grundsätzlich unkritischen Bindung an Napoleon in der nationalistisch ausgerichteten Geschichtsschreibung der vorletzten Jahrhundertwende unter dem Verdikt eines „Reichsverräters“ gestanden hat (Nachweise bei Rehbach, S. 34), mit seinen übergreifenden politischen Zielen gescheitert ist, wenn man einmal von seinen innenpolitischen Erfolgen in den ihm unterstellten Gebieten absieht. Gleichwohl verdienen die Pläne zur Reichsreform und zum Ausbau des Rheinbundes eine ausführliche Darstellung, da die „retardierenden Kräfte des Geschichtsprozesses“ nicht unberücksichtigt bleiben sollten, „wenn man die vorwärts treibenden Kräfte verstehen will“ (S. 11). Dies gilt auch für die von Hömig behandelten zahlreichen rechtshistorisch relevanten Untersuchungsfelder, die mit der Zeit und dem Namen Dalbergs verbunden sind, und die insgesamt auch die Beachtung der Rechtshistoriker verdienen.
Kiel |
Werner Schubert |