Hinter Gittern . Zur Geschichte der Inhaftierung zwischen Bestrafung, Besserung und politischem Ausschluss vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, hg. v. Klewin, Silke/Reinke, Herbert/Sälter, Gerhard (= Zeitfenster. Beiträge der Stiftung sächsische Gedenkstätten zur Zeitgeschichte 3). Leipziger Universitaetsverlag, Leipzig 2010. 297 S., Abb. Besprochen von Thomas Krause.
Der Sammelband ist hervorgegangen aus einer gleichnamigen Tagung, die im November 2005 in der Gedenkstätte Bautzen stattfand und ihrerseits an ein erstes Kolloquium anknüpfte, das im Dezember 2002 in Köln das Thema „Gefängnis und andere Häuser – Geschichte und Gegenwart des Ein- bzw. Wegschließens von Menschen“ behandelt hatte (S. 30). Während die Kölner Vorträge (bisher) leider nicht veröffentlicht wurden, legen die drei Herausgeber Silke Klewin, Leiterin der Gedenkstätte Bautzen, der Kriminologe und Historiker Herbert Reinke sowie der Historiker und wissenschaftliche Mitarbeiter der Gedenkstätte Berliner Mauer Gerhard Sälter die Bautzener Referate nunmehr in publizierter Form vor.
Zunächst skizzieren sie selbst in einem umfangreichen Einleitungsbeitrag (S. 9ff.) das Thema der Tagung und resümieren in diesem Zusammenhang die sechzehn Einzelreferate. Diese sind den vier Themenkomplexen „Methodische Aspekte der Geschichte der Inhaftierung“ (Teil I: S. 33ff.), „Bessern, Erziehen und Reintegration durch das Einsperren ?“ (Teil II: S. 83ff.), „Politische Haft in den deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts“ (Teil III: S. 159ff.) sowie „Kontexte der Inhaftierung im Nachkriegsdeutschland“ (Teil IV: S. 241ff.) zugeordnet. Obwohl fast alle Beiträge von Historikern stammen, sind etliche von ihnen auch rechtshistorisch relevant und interessant.
Dies gilt im ersten Teil vor allem für den Aufsatz Sylvia de Pasquales über den „Bau der Strafanstalt Brandenburg-Görden 1927-1935“ (S. 65ff.). Diese war nämlich die einzige im Deutschen Reich, die nach der Einführung des Stufenstrafvollzuges in den 20er Jahren, der die Resozialisierungsbemühungen forcieren sollte, speziell im Hinblick auf und zur Umsetzung dieser neuartigen Vollzugskonzeption neu errichtet wurde. Im zweiten Teil sind vor allem die Beiträge von Falk Bretschneider (S. 83f.) sowie Gerhard Ammerer und Alfred Stefan Weiß (S. 99ff.) über den Begriff der „Besserung“ in sächsischen bzw. österreichischen Zuchthäusern des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts von Interesse. Bemerkenswert und aufschlussreich ist dabei vor allem die Erkenntnis der letzteren beiden Autoren, dass die „moralische Besserung“ der Sträflinge durch seelsorgerische Einzelgespräche der Anstaltsgeistlichen mit ihnen, eine auf den Hallenser Zuchthausprediger und Gefängnisreformer Johann Balthasar Wagnitz (1755-1838) zurückgehende ursprünglich spezifisch lutherische Konzeption, im katholischen Österreich erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts eingeführt wurde.
Der dritte Teil des Sammelbandes enthält außer einem Aufsatz über die „Hamburger Entlassenenfürsorge 1933-1939“ von Christoph Bitterberg (S. 159ff.) drei Beiträge zum politischen Strafvollzug in der DDR. Neue Erkenntnisse vermittelt hier vor allem der der weitgehend auf unpublizierten Quellen fußende Aufsatz Rüdiger Wenzkes über Schwedt und den militärischen Strafvollzug in der DDR (S. 219ff.). Ähnliches gilt im letzten Teil namentlich für den Beitrag Jörg Morrés über den „Niedergang des Erziehungsgedankens im Strafvollzug der DDR“ (S. 241ff.). Er zeigt nämlich, dass der DDR-Strafvollzug in Anknüpfung an Reformvorstellungen der Weimarer Zeit zunächst hoffnungsvoll begann und sich dann erst allmählich in die Richtung bewegte, die später zu seinem schlechten Ruf geführt hat.
Obwohl die Aufsätze des Sammelbandes von unterschiedlicher Qualität sind und nicht alle einen wirklichen Erkenntnisfortschritt verzeichnen, informieren die meisten von ihnen zuverlässig und kompetent über eine Reihe unterschiedlicher Aspekte der Geschichte von Freiheitsstrafe und Strafvollzug vom 18. bis zum 20. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum.
Kiel Thomas
Krause