Heller, Kurt, Der Verfassungsgerichtshof. Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart. Verlag Österreich, Wien 2010. 688 S. Besprochen von Thomas Olechowski.

 

Der 90. Jahrestag der Beschlussfassung über das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz vom 1. Oktober 1920 wurde allenthalben groß gefeiert. Auch wenn dieses Datum nicht wirklich auch als Geburtstag des Verfassungsgerichtshofes angesehen werden kann – nach Ansicht des Rezensenten käme dafür eher der 25. Jänner 1919 (vgl. S. 149), nimmt man auch den Vorläufer des Verfassungsgerichtshofs, das Reichsgericht, dazu (S. 101), der 18. April 1869 in Frage  – war der amtierende Präsident des Verfassungsgerichtshofs, Gerhart Holzinger, dennoch der Ansicht, „dass es schön wäre“, wenn zu diesem Jubiläum auch „ein Buch über die Geschichte des Verfassungsgerichtshofs zur Verfügung stünde“ (S. 8). Mit Rechtsanwalt Kurt Heller konnte er kaum einen besser geeigneten Autor finden: Selbst von 1979 bis 2009 Mitglied des Verfassungsgerichtshofs, hat sich Heller auch rechtshistorisch bereits durch Publikationen hervorgetan, vereinigt also Insiderwissen mit handwerklichem Können. Zudem wurde er bei seinen Recherchearbeiten von einem „echten“ Rechtshistoriker, Josef Pauser, mittlerweile Leiter der Bibliothek des Verfassungsgerichtshofs, tatkräftig unterstützt. Heraus kam ein optisch ansprechendes, reich und doch nicht zu stark bebildertes Werk, mit wissenschaftlichem Apparat versehen, dabei in einer leicht fassbaren Sprache geschrieben, vor allem aber: die erste Monographie zur Geschichte des Verfassungsgerichtshofs überhaupt.

 

Doch ist die Freude nicht ungetrübt. Der Autor hatte, wie aus der Einleitung hervorgeht, aufgrund des Jubiläums nicht einmal eineinhalb Jahre Zeit für seine Arbeit, was bedeutet, dass er im Durchschnitt fast zwei Seiten pro Tag schreiben musste, um rechtzeitig fertig zu werden. So etwas bleibt nicht ohne Spuren; die zahlreichen Tippfehler sind noch die harmlosesten von ihnen. Schwerer wiegt, dass das Buch nur wenig wirklich neue wissenschaftliche Erkenntnisse bringt und hauptsächlich eine – beachtliche – Kompilationsarbeit ist. Breiter Raum wird der allgemeinen bzw. politischen Geschichte gewidmet, auch finden sich, vor allem am Anfang und am Ende des Buches, aber auch zwischendurch immer wieder allgemeine Reflexionen zu Verfassungsgerichtsbarkeit, Verfassungsrecht und Demokratie. Nur selten widmet sich der Autor demgegenüber rechtshistorischen Detailfragen. Immerhin ist das Buch wesentlich mehr als eine bloße Gesetzgebungsgeschichte der Verfassungsgerichtsbarkeit; der Autor geht auch ausführlich auf die Personen, die der Institution als Richterinnen und Richter angehört haben, und auf die wichtigsten Erkenntnisse, die sie geschöpft haben, ein, von der Judikatur des Reichsgerichts in der Monarchie zum Begriff der „politischen Rechte“, über die Dispensehenproblematik in der Ersten Republik bis hin zu den Ortstafelerkenntnissen der Zweiten Republik. Auch Hinweise auf die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit im Ausland fehlen nicht. Wer allerdings etwas genauer hinsieht, wird merken, dass vieles unkontrolliert von anderen Quellen abgeschrieben, manches auch nur sekundär zitiert wurde, ohne dass ein entsprechender Vermerk erfolgte – was besonders dann auffällt, wenn auch die sinnstörenden Tippfehler des nicht angeführten Werkes mit zitiert wurden (z.B. S. 283).

 

„Speed kills!“ Das könnte man angesichts des vorliegenden Buches sicherlich sagen und darüber klagen, dass dieser Autor mit den ihm zur Verfügung gestellten Ressourcen ein wesentlich besseres Werk zustande gebracht hätte, wenn er sich nur ein oder zwei Jahre mehr Zeit genommen hätte. Aber wer kann sagen, ob das Buch jemals zustande gekommen wäre, hätte es den Zeitdruck nicht gegeben? Und sollten nicht die rechtshistorischen Profis angesichts des Werkes dieses Hobby-Rechtshistorikers beschämt zu Boden blicken, dass eine derartige Lücke in der Forschungsliteratur so lange offen stand und keiner von ihnen sie zu schließen vermochte?

 

Wien                                                                                                  Thomas Olechowski