Hausmann,
Frank-Rutger, Die Geisteswissenschaften im „Dritten Reich“.
Klostermann, Frankfurt am Main 2011. 981 S. Besprochen von Thomas Vogtherr.
Seit
langen Jahren legt der Freiburger Romanist Hausmann Monographie um Monographie
zur Wissenschaftsgeschichte der Zeit des Nationalsozialismus vor. Dabei
behandelte er einerseits die Geschichte einzelner Disziplinen (vor allem der
Sprach- und Literaturwissenschaften), andererseits spezifische
Organisationsformen der nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik. In dem
umfänglichen Band, den hier im eigentlichen Sinne zu rezensieren unmöglich
erscheint, fasst er die bisherigen Ergebnisse handbuchähnlich zusammen und
zieht die beeindruckende Zwischenbilanz eines der erfolgreichsten
Ein-Mann-Unternehmen im Bereich der Wissenschaftsgeschichte des vergangenen
reichlichen Jahrzehnts.
Der
Band gliedert sich in einen einführenden ersten Teil über „Die Organisation der
nationalsozialistischen Universitäten“ (S. 35-98) sowie den eigentlichen
Hauptteil über „Die Geisteswissenschaften in der nationalsozialistischen
Universität“ (S. 99-882). Hinzu treten ein wichtiges Vorwort (S. 9-34) sowie
Verzeichnisse und Register (S. 883-981), die als Who is Who der
Geisteswissenschaften in der NS-Zeit benutzt werden können.
Unter
den organisatorischen Fragen werden diejenigen Dinge behandelt, die selbst dem
eigentlichen Thema Fernerstehende mit den Stichworten „Nationalsozialismus“ und
„deutsche Universitäten“ assoziieren werden, die aber bei genauerer Betrachtung
den durchaus systematischen Charakter jedenfalls der nationalsozialistischen
wissenschaftspolitischen Absichten deutlich hervortreten lassen:
Gleichschaltung, Führerprinzip, Erneuerung der Hochschulen, Veränderung des
Wissenschaftsbegriffs und der den Wissenschaften zugewiesenen
gesellschaftlichen Funktion, Militarisierung sowie die Rolle der
Reichsuniversitäten und einzelner Fakultäten, etwa der Theologien. Schon hier
wendet Hausmann diejenige Darstellungsform an, die sein ganzes Buch durchzieht
und die es zu einer teilweise bedrückenden Lektüre werden lässt: Er lässt
zeitgenössische Wissenschaftler in langen Zitaten zu Worte kommen, aus denen
ihre politische und gesellschaftliche Einstellung mehr als überdeutlich zu
Worte kommt. Dazu treten zu den einzelnen Personen
jeweils biographisch informierende Fußnoten, in denen auch die Karriere vor
1933 bzw. nach 1945 erfasst wird, und pro Kapitel ein summarischer Hinweis auf
die allgemeine Literatur zum Thema. Auf diese Weise entsteht ein Handbuch sehr
eigener Prägung, aber mit hohem Nutzeffekt.
In dem
disziplinären Hauptteil von immerhin fast 800 Seiten werden die
Geisteswissenschaften nach Disziplingruppen geordnet auf gleiche Weise
abgehandelt, von „Philosophie und Weltanschauung“ (unter Einschluss der
Theologien) über die „Wissenschaften vom Menschen“ (unter Einschluss der
Sozialwissenschaften, aber auch der Rassenkunde und Judenforschung), Kunst und
Musik, die historischen Wissenschaften, die Sprach- und Literaturwissenschaften
bis zu den Wissenschaften über den menschlichen Lebensraum (darunter auch der
Geopolitik und der Raumforschung) und den Wissenschaften über „Staat, Recht,
Wirtschaft“ (S. 778-882). Kaum eines dieser Kapitel gibt es, in dem man nicht
auf Bekannte aus der eigenen Disziplin träfe: Der rezensierende
Mittelalterhistoriker begegnet wiederholt Ernst Anrich (1906-2001), der nicht
nur glühender Nationalsozialist war, sondern auch die Wissenschaftliche
Buchgesellschaft begründet hat (über seine Biographie S. 94 Anm. 60), oder dem
distanzierteren Hermann Heimpel (1901-88), der als einer der wenigen sein
Engagement im Sinne des Nationalsozialismus wenigstens nach 1945 zum Gegenstand
öffentlichen Bekenntnisses machte (zu ihm S. 424 Anm. 331), aber auch dem offen
NS-kritischen Martin Lintzel (1901-55), der sich den Versuchen entgegenstellte,
Karl den Großen für den Nationalsozialismus zu vereinnahmen, und der – was
leider nicht erwähnt wird – 1955 aus Verzweiflung über die Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit
in der DDR Selbstmord beging (zu ihm S. 436 Anm. 344).
Leser
dieser Zeitschrift werden ein besonderes Interesse an den Passagen zur
Rechtsgeschichte haben (S. 826-839). Darin wird ausführlich dokumentiert, wie
der Kampf für die Wiederherstellung eines germanischen Volksrechts und gegen
die Vorherrschaft von römischem und kanonischem Recht begründet wurde. Planitz,
Fehr, von Schwerin und andere Größen auch der Nachkriegsrechtsgeschichte kommen
mit einschlägigen Äußerungen zu Worte. Geradezu widerlich muten Ernst
Schönbauers antisemitische Ausfälle gegen prominente Römischrechtler an (S.
835f.). Aber es gibt eben auch Gegenstimmen, die römisches und kanonisches
Recht verteidigten, bisweilen mit geradezu aberwitzigen intellektuellen Volten.
So sprach sich Reicke für das Kirchenrecht und dessen Bedeutung deswegen aus,
weil es zu einer „völkischen Rechtsvergangenheit“ eben dazugehöre (S. 839f.)!
Das
alles mag im Detail nicht neu sein, aber das ist beileibe keine Kritik an
diesem grundlegenden Nachschlagewerk. Im Grunde ist es viel schlimmer: Gerade
weil es nicht neu ist und man es schon längst hätte gelesen haben können, ist
es so bedrückend, dass man es in dieser Breite nun erst zu lesen bekommt.
Hausmann fußt dabei auf einer glücklicherweise zunehmend breiteren Forschung
zur Wissenschaftsgeschichte und entwickelt ein Panorama von williger
Selbst-Indienstnahme sehr vieler Wissenschaftler für den Nationalsozialismus,
das allen denen zu denken geben sollte, die immer noch der Fiktion einer blütenweiß
gebliebenen Wissenschaft anhängen. Dass auch dieses umfangreiche Opus magnum
nicht abschließend sein kann, weiß niemand besser als sein Verfasser, der genau
über diese Fragen eines der ehrlichsten und methodisch lehrreichsten Vorworte
verfasst hat, die der Rezensent je gelesen hat. Es schließt mit dem Dank an
eine Stiftung, durch deren Förderung „keinerlei öffentliche Mittel in Anspruch
genommen werden mußten“ (S. 34). Ein nobler Dank eines Autors und ein
Armutszeugnis für die öffentliche Wissenschaftsförderung unserer Tage.
Osnabrück Thomas
Vogtherr