Hans Kelsen anderswo. Hans Kelsen abroad. Der Einfluss der Reinen Rechtslehre auf die Rechtstheorie in verschiedenen Ländern, Teil III, hg. v. Walter, Robert/Jabloner, Clemens/Zeleny, Klaus (= Schriftenreihe des Hans-Kelsen-Instituts 33). Manz, Wien 2010. X, 403 S. Besprochen von Thomas Olechowski.

 

Dem Hans Kelsen-Institut ist in seinem Stiftsbrief von 1971 u. a. die Aufgabe gestellt worden, den „wissenschaftlichen Widerhall“ von Kelsens Reiner Rechtslehre „im In- und Ausland zu dokumentieren“. In diesem Sinne erschienen bereits 1978 und 1983 je ein Band in der Schriftenreihe des Instituts mit Länderberichten; die 2001 in der Schriftenreihe publizierte Monographie von Horst Dreier kann auch als eine Art Länderbericht, speziell zur Situation in Deutschland, angesehen werden. Mit dem vorliegenden Band 33 wird diese Tradition nun, mit etwas „flippigerem“ Titel, fortgesetzt. 18 Autorinnen und Autoren aus fünf Kontinenten berichten über die Situation der Rechtstheorie in 16 Staaten, berichten gegebenenfalls, ob und wann es persönliche Kontakte zu Hans Kelsen gegeben hat und wie seine Lehren aufgenommen, angenommen oder verworfen wurden.

 

Einige der hier porträtierten Länder wurden bereits in den zuvor genannten Sammelbänden behandelt, jedoch haben es die geänderte politische und damit wissenschaftliche Situation oder einfach die verflossene Zeit gerechtfertigt erscheinen lassen, einen weiteren Beitrag zu verfassen. Dies gilt für Italien (Nicoletta Bersier Ladavac), Japan (Ryuichi Nagao), Polen (Jan Woleński) und Uruguay (Oscar Sarlo). Frankreich, das 1978 gemeinsam mit Belgien behandelt worden war, erhielt nun gleich zwei Beiträge (beide von Sandrine Pina), die getrennt die Rezeption Kelsens und die seines Schülers Merkl behandeln; dagegen wird im Fall des schon 1978 behandelten Australien der Blick nunmehr auf Australasien ausgeweitet und deutlich gemacht, dass die Wirkung der Reinen Rechtslehre bis nach Fidschi reicht (Iain Stewart). Erstmalig wird berichtet über die Situation in Argentinien (Carlos Enrique Pettoruti), China (Zhijian Liang), Estland (Peeter Järvelaid), Israel (Izhak Englard), den Niederlanden (mit zwei Beiträgen Jan Klandermans und Bert van Roermunds), Tschechien (Tatiana Machalová/Ondřej Horák), Ungarn (András Jakab), dem Vereinigten Königreich (Christoph Kletzer) und den Vereinigten Staaten (D. A. Jeremy Telman).

 

Auch wenn manche Beiträge den Eindruck einer kommentierten Bibliographie zur Reinen Rechtslehre erwecken, so ist doch das Buch auch für die Rechtsgeschichte von großem Interesse, enthält es doch wertvolle Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte überhaupt. So wird beispielsweise die allgemeine Situation in Estland zwischen den Weltkriegen und das Schicksal seines bedeutendsten Juristen Artur-Tõeleid Kliimann, der 1925 für zwei Jahre nach Wien ging, um Kelsen zu hören und die Reine Rechtslehre dann in seiner Heimat fortführte, eindrucksvoll beschrieben. Auch zu Kelsen selbst werden viele interessante biographische Details geschildert und Gründe angegeben, weshalb seine Lehre ausgerechnet in den USA, wo er seit 1940 lebte, „a path not taken“ (S. 353) blieb. Die Andersartigkeit der Juristenausbildung in Amerika ist nur einer davon; Kelsen hatte auch mit mächtigen Gegenströmungen, wie vor allem den „Legal Realists“ zu kämpfen. In Lateinamerika dagegen fand er begeisterte Anhänger, aber auch hier bedeutende Kontrahenten, wie etwa Carlos Cossio, den Verfasser einer „Egologischen Theorie des Rechts“.

 

Für jeden, der sich von der historischen Entwicklung und der gegenwärtigen Situation der Reinen Rechtslehre ein Bild machen will, ist der vorliegende Band unverzichtbar.

 

Wien                                                                                                               Thomas Olechowski