Hamza, Gábor, Iura antiqua ac iura moderna methodo comparativa investigata - Opera selecta = Ausgewählte Schriften zur antiken Rechtsgeschichte, zur Rechtsvergleichung und zum geltenden Recht, Band 1. Elte Eötvös Kiadó, Budapest 2010. 337 S. Besprochen von Gunter Wesener.

 

Aus Anlass des 60. Geburtstages Gábor Hamzas ist der erste Band seiner „Ausgewählten Schriften“ erschienen. Er enthält Abhandlungen zum römischen Recht und zu dessen Fortleben.

 

Im ersten Teil („Römisches Recht und die Antike“) finden sich zwei Arbeiten zu Cicero, eine Studie zum Begriff des ius naturale bei Cicero (S. 19ff.) sowie der «optimus status civitatis» in der Staatslehre Ciceros (S. 47ff.) mit einer umfassenden Bibliographie.

 

Im Beitrag zur Frage einer rechtsgeschäftlichen Vertretung im römischen Recht (S. 65ff.) wird auf die Rolle der Reederklage, der actio exercitoria, sowie der Geschäftsleiterklage, der actio institoria, eingegangen. Die Erweiterung derselben zur actio ad exemplum institoriae actionis wurde von Ernst Rabel als „Ruhmesblatt Papinians“ bezeichnet. Diese erweiterte Klage begründet eine Haftung des Geschäftsherrn für den Fall, dass nicht ein institor, sondern ein häuslicher Vermögensverwalter (procurator) Geschäftsschulden in seinem Tätigkeitsbereich eingegangen ist[1]. Hamza (S. 100f.) betont das in sozialer Hinsicht gegebene hierarchische Verhältnis zwischen dominus und procurator, welches die Theorie des sogenannten „Organgedankens“ bekräftige.

 

Ein weiterer Beitrag ist der Frage der Sachmängelhaftung beim Kauf im nachklassischen römischen Recht gewidmet (S. 127ff.). Hamza kommt zum Ergebnis, dass die Mängelhaftung bereits im klassischen Recht entwickelt war, in der Zeit der Nachklassik weitgehend unverändert blieb und in das justinianische Gesetzeswerk übernommen wurde.

 

Die knappen Beobachtungen über die kommerzielle Praxis im römischen Recht (S. 151ff.) haben vor allem actio exercitoria und institoria zum Gegenstand.

 

Den Abschluss des ersten Teiles bilden Betrachtungen über die Präsumtionen bei Kommorienten, Personen, die in einer „gemeinsamen Gefahr“, durch ein und dasselbe Ereignis ums Leben kommen (S. 159ff.). Die Kommoriententheorien spielen nicht bloß bei der gesetzlichen Erbfolge, sondern auch für Schenkungen von Todes wegen, für allfällige Rückgabe der dos und bei Substitutionen eine wichtige Rolle.

 

Der zweite Teil enthält Beiträge zum „Fortleben des römischen Rechts“. Behandelt werden die Gesetze Stephans des Heiligen und deren europäischer Charakter (S. 185ff.), das „Tripartitum“ István Werböczys als Rechtsquelle (S. 197ff.) sowie die Kodifikation des Zivilrechts in Ungarn (S. 215ff.). Aufgezeigt werden hierbei die Einflüsse des römischen Rechts und der deutschen historischen Rechtsschule. Der ungarische Romanist und Zivilrechtler Pál Hoffmann (1830-1907) arbeitete im Jahre 1871 einen Entwurf des Allgemeinen Teiles des ungarischen Zivilgesetzbuches aus. Dieser Entwurf lehnte sich an das Bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich Sachsen von 1863 (in Kraft getreten 1865) an. Ein zweiter Entwurf des Allgemeinen Teils wurde 1881 durch Elek Györi (1841-1902) ausgearbeitet. Vom Jahre 1895 an beherrschte das Streben nach einem ungarischen Zivilgesetzbuch in starkem Maße die ungarische Rechtspolitik (S. 222). Einer der eifrigsten Verfechter war der Romanist und Zivilrechtler Gusztáv Szászy-Schwarz (1858-1920), ein Schüler Jherings. Sein aus 2043 Paragraphen bestehender Entwurf wurde im Jahre 1900 vollendet. Weitere Entwürfe scheiterten letzten Endes am Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Auch in der Zwischenkriegszeit kam es zu keiner Verabschiedung eines Zivilgesetzbuches. Das heute noch mit Modifikationen in Geltung stehende ungarische Zivilgesetzbuch stammt aus dem Jahre 1959 und weist trotz seines sozialistisch geprägten Grundcharakters gewisse Einflüsse des schweizerischen Zivilgesetzbuchs, des schweizerischen Obligationenrechts, des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs und des Entwurfs des ungarischen Bürgerlichen Gesetzbuches aus dem Jahre 1928 auf (S. 226f.).

 

Ein weiterer Beitrag hat römisches Recht und Kodifikation des Privatrechts in Russland und in der Sowjetunion zum Gegenstand (S. 235ff.). Auch für Russland ist ein Einfluss der deutschen Pandektenwissenschaft festzustellen. An der Universität Berlin gab es ab dem Jahre 1887 fast ein Jahrzehnt hindurch das „Kaiserlich-Russische Römischrechtliche Seminar (‚Institut’)“ unter der Leitung Heinrich Dernburgs, Alfred Pernices und Ernst Ecks. Zahlreiche deutsche Pandektenlehrbücher wurden ins Russische übersetzt (S. 239).

 

Eine rezente Untersuchung gilt der Gliederung der Rechtsordnungen in ius publicum – öffentliches Recht und ius privatum – Privatrecht (S. 263ff.)[2]. Die Bedeutung dieser Unterscheidung wird für das klassische und nachklassische römische Recht, für die Rechtslehre der Glossatoren und Kommentatoren, für die humanistische Jurisprudenz, für das englische common law und für die „kontinentale Jurisprudenz“, d. h. für die deutsche und französische Rechtslehre des 19. und 20. Jahrhunderts, untersucht[3]. In der Prinzipatszeit war der Gegensatz zwischen ius publicum und ius privatum durch die Interessenlage, die utilitas publica und die utilitas singulorum (Ulp. D. 1, 1, 1, 2; Inst. 1, 1, 4) bestimmt (S. 264)[4]. In der Glossatorenschule betrachtete  Placentinus ius publicum und ius privatum als zwei Rechtszweige, zwei verschiedene Kategorien, duae res, während Azo an der Einheitlichkeit der Rechtsordnung festhielt (so der Verfasser S. 270). Bartolus de Saxoferrato befasste sich in mehreren Traktaten mit Fragen des öffentlichen Rechts (S. 271f.). Die Vertreter der humanistischen Jurisprudenz betrachteten die Rechtsordnung, den ordo iuris, das systema iuris, als Einheit, setzten sich aber mit der Frage einer Systembildung auseinander. Zu einer praktischen Abgrenzung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht kam es in der Zeit des Usus modernus pandectarum[5].

 

Im dritten Teil („Varia“) findet sich ein Beitrag über die juristischen Beziehungen zwischen Italien und Ungarn im 14., 15. und 16. Jahrhundert (S. 303ff.) sowie eine Abhandlung über „Die Idee des ‚Dritten Reichs’ im deutschen philosophischen und politischen Denken des 20. Jahrhunderts“ (S. 317ff.).

 

Die im ersten Band enthaltenen Beiträge bieten einen instruktiven Einblick in das umfassende rechtshistorische Werk des Autors. Auf das baldige Erscheinen der weiteren Bände ist zu hoffen.

 

Graz                                                                                       Gunter Wesener



[1] Vgl. H. Kreller, Formula ad exemplum institoriae actionis, FS Wenger II (1944/45) 73 ff., insbes. 95 ff.; G. Wesener, Actiones ad exemplum, ZRG Rom. Abt. 75 (1958) 220 ff., insbes. 228 f.; A. Claus, Gewillkürte Stellvertretung im Römischen Privatrecht  (1973) 259 ff.; nun eingehend N. Benke, Zu Papinians actio ad exemplum institoriae actionis, ZRG Rom. Abt. 105 (1988) 592 ff.

[2] Vgl. G. Hamza, Reflections on the Classification (divisio) into ‚Branches’ of Modern Legal Systems and Roman Law Traditions, in: Fides Humanitas Ius. Studii in onore di L. Labruna (Napoli 2007) 2449 ff.

[3] Zur Unterscheidung in der Naturrechtslehre J. Schröder, Privatrecht und öffentliches Recht. Zur Entwicklung der modernen Rechtssystematik in der Naturrechtslehre des 18. Jahrhunderts, in: FS f. J. Gernhuber zum 70. Geburtstag (Tübingen 1993) 961 ff. [nun in: J. Schröder, Rechtswissenschaft in der Neuzeit. Geschichte, Theorie, Methode. Ausgew. Aufsätze 1976 – 2009, 313 ff.].

[4] Dazu A. Steinwenter, Utilitas publica – utilitas singulorum, in: FS P. Koschaker I (1939) 84 ff.

[5] Vgl. M. Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht. Studien über Sinn und Funktionen der Unterscheidung (1968) 16 ff., insbes. 30 ff.; D. Grimm, Die Trennung von öffentlichem und privatem Recht, in: Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, IV. Rechtsgeschichte, hg. von G. Dilcher u. N. Horn (München 1978) 55 ff.