Härtel, Reinhard, Notarielle und kirchliche Urkunden im
frühen und hohen Mittelalter (= Historische Hilfswissenschaften).
Böhlau/Oldenbourg, Wien/München 2010. 507 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Der in Meersburg 1945 geborene, nach dem Studium der Geschichte und Germanistik in Graz 1969 promovierte, bei Hermann Baltl als Assistent am Institut für österreichische Rechtsgeschichte, seit 1971 bei Friedrich Hausmann als Vertragsassistent am Institut für historische Hilfswissenschaften sowie seit 1979 am Forschungsinstitut für historische Grundwissenschaften wirkende, 1979 mit einer Untersuchung über die älteren Urkunden des Klosters Moggio habilitierte Verfasser ist seit 1988 als außerordentlicher und seit 1998 als ordentlicher Professor in Graz tätig. Seine vielfältigen Arbeiten haben ihn zu der Erkenntnis geführt, dass die Privaturkunden des Mittelalters Geschichtsquellen von ungeheuerer Fülle, Streuung und Verschiedenheit sind, dass aber eine einführende Zusammenschau über sie seit Jahrzehnten (Redlich 1911, Boüard 1948) fehlt. Deswegen hat er ein neues und neuartiges Werk erstellt, das im Hinblick auf tatsächliche Bedürfnisse eine Entwicklungsgeschichte der Privaturkunden im Hinblick auf deren ,Sitz im Leben’ und eine systematische Darstellung der urkundlichen Erscheinungsformen einschließlich der methodischen Probleme bieten will und dabei Mitteleuropa zwischen dem Beginn des Frühmittelalters und der Mitte des 13. Jahrhunderts in den Mittelpunkt stellt.
Gegliedert ist das moderne technische Entwicklungen vorteilhaft aufgreifende Buch einleuchtend in drei Teile, von denen der einführende Teil Grundbegriffe der Urkundenlehre (Urkunden, Privaturkunden, Beteiligte, Urkundenarten, Überlieferungsformen, äußere Merkmale, innere Merkmale) darstellt und die Geschichte der Disziplin, den gegenwärtigen Stand und die Aufgaben beschreibt. Der geschichtliche Teil untersucht auf der Grundlage des römischen Erbes die notariellen Urkunden in der Mitte Europas (Langobarden, Franken, Italien, Frankreich und römisch-deutsches Reich), die kirchlichen Urkunden in der Mitte Europas (Notizen, Traditionsbücher, Siegelurkunde, Bischofsurkunde, Gericht und Offizialat), die konkurrierenden Institutionen und Formen sowie auf etwa 50 Seiten die Privaturkunden in Rom, Süditalien, Spanien, Portugal, England, den keltischen Gebieten, Skandinavien, Livland, Preußen, Polen, Böhmen, Mähren, Ungarn und dem lateinischen Südosteuropa. Der dritte praktische Teil behandelt die Orte und Formen der Überlieferung, das Arbeiten mit Privaturkunden und Themen der Forschung (Urkunde und Schriftlichkeit, erhaltene Urkunden, verlorene Urkunden, Genese der Urkunde, Kanzleien, Urkundenlandschaften, Urkundengebrauch, Datierung, Fälschungen).
In einem angefügten vierten Abschnitt bietet der Verfasser praktische Beispiele für Cartae und notitiae, Notariatsinstrumente, Traditionsnotizen, den Weg zur kirchlichen Siegelurkunde, Kanzellariatsurkunde, Schöffenurkunde, besiegeltes Chirograph und kaufmännische Privatschrift. 30 Abbildungen veranschaulichen den durch Register gut erschlossenen Inhalt. Das sachlich gegliederte Literaturverzeichnis sichert den Inhalt ab und weist Interessenten auf vielfältige Vertiefungsmöglichkeiten hin, so dass insgesamt die vom Verfasser angestrebten Ziele in so gelungener Art und Weise erreicht sein dürften, dass hoffentlich bald eine zeitliche und sachliche Fortschreibung (beispielsweise erweiterter Datenbasen) möglich sein wird.
Innsbruck Gerhard Köbler