Glienke, Stephan Alexander, Die Ausstellung „Ungesühnte Nazijustiz“ (1959-1962) - zur Geschichte der Aufarbeitung nationalsozialistischer Justizverbrechen (= Nomos-Universitätsschriften Geschichte 20). Nomos, Baden-Baden 2008. 349 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Im Spätherbst 1954 zog der 24jährige Reinhard Strecker, dessen Großvater als Kommissionspräsident an der Erarbeitung des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs beteiligt gewesen und dessen Vater Kammergerichtsrat gewesen war, nach Berlin, holte das Abitur nach, nahm an der Freien Universität das Studium der indogermanischen Sprachwissenschaften auf, trat in die deutsch-israelische Studiengruppe ein, erfuhr von israelischen Kommilitonen von der Tätigkeit zahlreicher ehemaliger Funktionsträger der nationalsozialistischen Herrschaft in der Bundesrepublik Deutschland und bereitete daraufhin mit anderen eine Petition an den Bundestag zur Frage der Wiederbeschäftigung schwer belasteter Ärzte, Juristen und anderer vor. Mit diesem Vorgang und seinen Folgen befasst sich die von Joachim Perels betreute, im April 2006 von der philosophischen Fakultät der Universität Hannover angenommene Dissertation des Verfassers. Sie gliedert sich außer in Einleitung und Schlussbemerkung in sieben Abschnitte.

 

Zunächst beschreibt sie Planung und Präsentationen, die von vielen Hindernissen begleitet waren, aber Interesse in den Niederlanden und Großbritannien erweckten und zu Nachrecherchen in Osteuropa führten. Danach wendet sie sich der Strafbarkeit von Handlungen der Justizjuristen zu, deretwegen durch den Sozialistischen Deutschen Studentenbund bzw. Reinhard Strecker und Wolfgang Koppel am 22. 1. 1960 Strafanzeigen gegen 43 Richter wegen Verdachts der Rechtsbeugung in Tateinheit mit Totschlag gestellt wurde, und schildert als Beispiele betroffener Urteile die Fälle Kulesa, Hopfe und Holländer sowie als Beispiel für die Behandlung Niedersachsen und als wesentliches Ergebnis die Einstellung der Ermittlungsverfahren. Abschließend befasst sie sich mit dem Verhältnis zwischen Ausstellung und Medien sowie der Funktionsweise von Medien im Kalten Krieg.

 

In keinem einzigen Fall führten die Strafanzeigen zur Verurteilung eines Beschuldigten. Bis zum 1. Juli 1962 gingen 149 belastete Richter und Staatsanwälte vorzeitig in Pension, wobei sich in 12 Fällen Betroffene weigerten. Mit dem Verfasser wird die im Mittepunkt der Betrachtung stehende Ausstellung in der Gegenwart insgesamt überwiegend positiv bewertet. Dementsprechend erklärte der amtierende Präsident des Bundesgerichtshofs 2002 das von der Ausstellung angegriffene Verhalten des Versagens der Nachkriegsjustiz zu einem dunklen Kapitel in der deutschen Justizgeschichte, auf dessen frühe Bekämpfung der Verfasser zu Recht, aber vielleicht nicht immer so leicht verständlich, wie dies möglich gewesen wäre, aufmerksam gemacht hat.

 

Innsbruck                                                        Gerhard Köbler