Gierke, Otto von, Deutsches Privatrecht. Vierter Band Familienrecht. Aus dem Nachlass hg. v. Kroeschell, Karl/Nehlsen-von Stryk, Karin. Duncker & Humblot, Berlin 2010. XII, 468 S. Besprochen von Heinz Holzhauer.
In den 1890er Jahren übernahm es Otto von Gierke, für Bindings „Systematisches Handbuch der deutschen Rechtswissenschaft“ eine Gesamtdarstellung des deutschen Privatrechts zu verfassen. Schon 1895 erschien der erste Band „Allgemeiner Teil und das Personenrecht“, 1905 als zweiter Band das „Sachenrecht“ und 1917 in 2 Teilbänden der dritte Band „Schuldrecht“. Den vierten Band Familienrecht hatte Gierke, als er mit 1921 starb, bis auf das Vormundschafts- und Pflegschaftsrecht so gut wie vollendet. Das Manuskript gelangte 1974 aus der Hand von Nachkommen Gierkes an Karl Kroeschell, der es, nach seiner Emeritierung zusammen seiner Lehrstuhlnachfolgerin Karin Nehlsen-von-Stryk, zum Druck vorbereitete. Außer dem unvollendet gebliebenen Teil fehlen nur einzelne Textabschnitte; darüber hinaus sind kleinere Lücken in Text und Anmerkungen offenbar durch Blattverlust verursacht.
Die Kodifikation des Bürgerlichen Gesetzbuchs befand sich 1895 noch in der parlamentarischen Beratung, doch gliedert sich das Systematische Handbuch bereits in die 5 Bücher des künftigen BGB, denen jeweils ein Band gewidmet sein sollte; der Band Erbrecht ist nie erschienen. Der erste Band bietet den traditionellen Stoff des Lehr- und Literaturfachs „Deutsche Privatrecht“; nur am Rande wird auf das „Zukunftsrecht“ des BGB hingewiesen. In den nach 1900 erschienenen Bänden läuft die chronologische Behandlung des deutschen Privatrechts jeweils auf eine ausführliche Darlegung des geltenden Rechts des BGB hinaus. Dem Familienrecht hat Gierke eine vierseitige Darstellung der „Geschichtlichen Grundlagen" sowie einzelnen Abschnitten Unterabschnitte über die Geschichte, bei den Güterständen bezeichnend über „Geschichte und Wesen“ vorangestellt. Außerdem enthalten die Fußnoten neben Hinweisen auf Gerichtsurteile, andere Autoren, und ausländisches Recht zahlreiche rechtsgeschichtliche Hinweise besonders auf ältere Rechtsquellen ab dem Sachsenspiegel, aber auch auf rechtsgeschichtliche Literatur. Die geschichtlichen Teile des Textes machen etwa ein Zehntel des Umfangs aus; in der Hauptsache präsentiert das Buch jedoch das geltende Recht des BGB.
Man kann sich nicht vorstellen, dass das im Wesentlichen dem geltendem Recht seiner Zeit gewidmete Manuskript eines anderen Autors der Generation Otto von Gierkes, wenn es heute auftauchte, noch zum Erstdruck befördert würde. Dass es sich mit Gierkes Familienrecht anders verhält, liegt nicht nur am allgemeinen Rang und Klang des Namens des Verfassers, sondern, wie Kroeschell in seinem Vorwort sagt, auch und vor allem daran, dass man gerade das Familienrecht für Gierkes „sozialrechtliche Konzeption“ in Anspruch genommen habe, so dass sein „Familienrecht“ für die immer wieder aufflammende Diskussion über Gierkes Vorstellung von „Sozialrecht“ neuen Stoff liefere.
Was Kroeschell damit anspricht, ist einmal die Frage des wissenschaftlichen Ortes des Familienrechts innerhalb der Gesamtrechtsordnung. In Frankreich, dessen Code civil auf dem dreigliedrigen Institutionensystem beruht, welches das Familienrecht teilweise im ersten und teilweise im dritten Buch eher versteckt als offen legt, scheint es eine solche Diskussion nie gegeben zu haben. In Deutschland haben die Pandektenlehrbücher das Familienrecht als einen vierten Abschnitt angeordnet und dadurch zu der Diskussion geführt, ob das personale Familienrecht überhaupt zum Privatrecht oder nicht eher zum öffentlichen Recht gehöre. Im akademischen Unterricht wurde das Familienrecht weniger im Fächerkanon des gemeinen, sondern innerhalb des deutschen Privatrechts und des Kirchenrechts behandelt[1]. Die Neigung mancher Familienrechtler für das öffentliche Recht, erwähnt sei nur Rudolph Sohm, beruhte auf der damals maßgebenden Subjektionstheorie und der Unterwerfung des Kindes unter die väterliche Gewalt und der Unterordnung der Ehefrau unter den Ehemann. Für Gierke gehörte das Familienrecht zum Privatrecht, wobei er die „soziale Aufgabe“ für das gesamte Privatrecht anmahnte. Der pandektistischen Systematik folgte auch das BGB mit seiner sog. „Kreuzeinteilung“ (Zitelmann), die das Familienrecht zusammen mit dem Erbrecht auf dem einen Balken und das Schuldrecht und das Sachenrecht auf dem anderen angebracht hat, mit dem Allgemeinen Teil im Schnittpunkt beider Balken, mag er praktisch auch näher beim Schuldrecht und Sachenrecht stehen.
Seither wurden Vorstellungen eines anderen Systems nur unter politisch-ideologischen Voraussetzungen entwickelt. Unter dem Schlagwort „Abschied vom BGB“ wollte Schlegelberger 1937 das bürgerliche Recht nach „Lebensordnungen“ gliedern, wobei er mehr an Einzelgesetze dachte, während dann das Volksgesetzbuch der Akademie für deutsches Recht auf der gleichen Linie eine Neukodifikation plante. Die marxistisch ausgerichteten Staaten haben das Familienrecht in einem eigenen Gesetz verselbständigt, zuletzt die frühere Deutsche Demokratische Republik im Familiengesetzbuch von 1969. Das hatte die beiden Aspekte, dem Privatrecht überhaupt den systematischen Zusammenhang abzusprechen sowie gerade dem Familienrecht eine Sonderstellung zu geben. Gegenwärtig ist die Kodifikationsfrage nicht aktuell und wird auch die Systemfrage eher als „unpraktische Grundfrage“ angesehen.
Immer gestellt werden kann die Frage nach der Eigenart des Familienrechts, das „nicht typisches Privatrecht" sei (Eichler) sondern seinem Gehalt nach zum "Sozialrecht" gehöre (Lehmann) oder Sozialrecht sei (Beitzke, Bosch).
Inzwischen ist das Wort Sozialrecht untauglich, etwas anderes zu bezeichnen als das, was der Gesetzgeber so nennt und was in der unentgeltlichen Verteilung vorwiegend staatlicher Mittel einen Bedeutungskern hat, der auf das Familienrecht nicht zutrifft. Das aber war zu Gierkes Zeiten noch anders. „Sozial“ kann schlicht „gesellschaftlich“ bedeuten. Allerdings scheint wenig gesagt, wenn Familienrecht deswegen als Sozialrecht bezeichnet worden wäre, weil es die reinen Lebensverhältnisse zwischen Personen regelt, im Unterschied zum Sachenrecht, das Güter zugeordnet und zum Schuldrecht, soweit dieses Leistungen regelt, schon nicht mehr bei der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft, die viel mehr der Ehe benachbart ist[2]. Doch charakterisiert sich die Ehe in solchem Maß durch besondere Nähe und Intimität der Beteiligten, dass sie darin ein alleiniges Merkmal hat, das es ausschließen sollte, sie mit anderen sozialen Verhältnissen zusammenzufassen. Freilich charakterisiert das Merkmal der Intimität die Ehe und das Eltern-Kind-Verhältnis, aber kaum noch die Vormundschaft über Minderjährige und die Betreuung Volljähriger noch weniger. Daher gibt es neuerdings die Anregung, diese beiden Materien aus dem BGB heraus und in ein weiteres Buch „Fürsorge“ des Sozialgesetzbuchs zu verlagern.
Unabhängig von der positiv-gesetzlichen Verwendung des Wortes kann mit „sozial“ aber außer der zwischenmenschlichen auch die mitmenschliche Dimension des Begriffs gemeint sein, so wenn dem Familienrecht eine „soziale Aufgabe“ gestellt wird, was besonders auf die Ausübung der väterlichen, dann elterlichen Gewalt, jetzt elterlichen Sorge oder das Amt eines Vormunds oder Betreuers oder das als Ehegatte geschuldete Verhalten bezogen werden kann[3].
Gierke hat keine Definition dessen gegeben, was er begrifflich mit „sozial“ verstanden hat. Es dürften beide aufgezeigten Bedeutungen sein, die ihm, in einer bestimmten Zuspitzung, vorgeschwebt haben. Wenn er immer wieder die Familie als „Einheit“ beschwört, so sah er im Familienrecht nicht die Individuen der Angehörigen verbunden, sondern sah darin das Binnenrecht ihrer „sozialen“ Einheit. Wenn er dem gesamten Privatrecht die „soziale Aufgabe“ stellte, so sollte das sowohl den Pflichtcharakter jeglichen subjektiven Rechts ausdrücken als auch, damit zusammenhängend, den Ausschluss jeglichen Missbrauchs aus dem Begriff der Rechtsausübung.
Das „Soziale“ am Familienrecht in der zuerst genannten Bedeutung hat bei Gierke einen besonderen Gehalt durch die Verbindung mit dem Begriff der Genossenschaft. Bereits sein Lehrer Georg von Beseler hat in seiner Schrift „Volksrechte und Juristenrecht“ von 1843 diesen Begriff gebraucht, um ein Wesensmerkmal der Familie zu bezeichnen. Gegenüber dem aus schriftlichen Quellen und ihrer Exegese zu ermittelnden wissenschaftlichen Juristenrecht sei Volksrecht am tatsächlichen Rechtsleben abzulesen. In diesem Sinn beobachtet Beseler aus dem Geselligkeitstrieb hervorgegangene Gemeinschaften, die vom Juristenrecht nicht adäquat erfasst würden. So sei die Genossenschaft eine Vereinigung von Personen zu einem gemeinschaftlichen Zweck und auf eine das Leben der jeweiligen Mitglieder übersteigende Dauer. Exponierte Beispiele sind Beseler einerseits die Familie, andererseits der Staat. In der Gegenwart sei allerdings nur noch im hohen Adel, nicht mehr auf niederen Stufen des Gemeinwesens die Familie eine Genossenschaft.
Der transpersonale Charakter der germanischen Sippe war in der Tat so ausgeprägt, dass diese in zeitlicher Hinsicht eher vertikal als horizontal ausgedehnt vorgestellt wurde[4]. Daraus erklärt sich die Sitte, einen Knaben nach einem hervorragenden Vorfahren zu nennen, ja, diesen als in seinem Deszendenten wiedergeboren zu erkennen. Jedoch erscheint bereits die germanische Familiengenossenschaft partial auf die Führungsschicht beschränkt gewesen zu sein. Ihre Transpersonalität hatte eine Memoria zur Voraussetzung, die an der Basis des Volkes nicht gegeben war. Die Familie war Modell für jede über sie hinausgehende soziale Bildung der Frühzeit, für die Blutsbrüderschaft ebenso wie für nordgermanischen Gilden als frühste nicht familiale Genossenschaften. Was aber die Ehe angeht, so beobachtet Beseler, dass das genossenschaftliche Prinzip bei ihr insofern nur beschränkt zur Anwendung komme, als die Dauer der Vereinigung eine beschränkte sei, da sie zwei Personen umfasst und mit dem Tod eines Gatten endet[5]. Ferner erzeuge die Ehe keine selbstständige Persönlichkeit. Wenn Beseler die Ehe trotzdem nicht mit der römischen communio oder, weil vertraglich begründet, der societas gleichsetzt, so wegen ihres über den gemeinschaftlichen Zweck hinausgehenden „organischen Gefüges“[6].
Auch Gierke sieht, dass die Familie der Gegenwart keine Genossenschaft mehr ist und die Ehe schon begrifflich niemals Genossenschaft war, weil ihr die Transpersonalität abgeht. „Familienrechtliche Gemeinschaften“, zu denen die „eheliche Gemeinschaft“ gehört, haben keine Rechtspersönlichkeit, so dass Gierke die Ehe zu der geringeren Bildung der „personenrechtlichen Gemeinschaften“ rechnet, aber zu denen genossenschaftlichen Typs, nicht zu denen herrschaftlichen Typs, weil in der Ehe ein „organischer Charakter“ zum Ausdruck komme[7].
Das „Organische“ gehört schon bei Beseler, bevor Gierke den Begriff der „realen Verbandspersönlichkeit“ geprägt hat, der Sache nach zu dieser begrifflichen Vorstellung. Diese mag zwar als biologistisch kritisiert worden sein, ihr Element des Organischen ist aber, nicht nur als Bezeichnung für den Vereinsvorstand, sondern zur Bezeichnung seines körperschaftlichen Wesens in die Rechtssprache und inzwischen auch die Gesetzessprache eingegangen[8]. Umfassender als der Begriff der Stellvertretung erlaubt er, Fremdwirkung eintreten zu lassen und, was der Begriff der Stellvertretung nicht vermag, zugleich den Vertretenen entsprechend einzuschränken. Immer setzt er jedoch eine im weitesten Sinn „körperschaftliche“ Gemeinschaft voraus, wie sie in frühen Sozial- und Rechtsverhältnissen allein vorkam[9], so dass das römische Recht eine Stellvertretung verbot und frühes deutsches Recht eine solche nicht kannte. Die Zurückdrängung des Verbots des alteri stipulari im gemeinen Recht beschränkte sich auf den verkehrsrechtlichen Bereich. Im Familienrecht ließ das Institut der patria potestas, der am Anfang auch die filiae loco stehenden Ehefrau unterworfen war[10], für Stellvertretung keinen Raum. Bis über Gierke hinaus ließ der Vorrang des Ehemanns im rechtsgeschäftlichen Bereich der Frau nur die Schlüsselgewalt sowie, abhängig vom Güterstand, ihr Vorbehaltsguts. Grundsätzlich, so auch bei den Gütergemeinschaften, verwaltete und nutzte der Mann das Frauengut allein. Das Naturrecht der Aufklärung hatte für die patria potestas im Verhältnis zur Ehefrau den Begriff des imperium ( privatum), Vertreter des Deutschen Privatrechts sprachen von ehemännlicher Munt bzw. mundium oder der gewere zu rechter Vormundschaft (nach Sachsenspiegel Landrecht), von Geschlechtsvormundschaft über die Frau oder allgemein von der ehemännlichen Gewalt.
Im Grunde war der Vorrang des Mannes immer „organisch“ gedacht, beruhend auf einer Vergemeinschaftung der Ehegatten, die ihren stärksten Ausdruck in der christlichen „una caro-Lehre“ hat, dem „einen Fleisch“, dessen gleichsam „organisches“ Haupt der Mann ist. Bei Gierke hängt das Organische mit dem genossenschaftlichen Charakter zusammen. Dabei hat Gierke eine Vorstellung von der Person entwickelt, wonach in der Ehe die Individuen der Gatten, gleichsam defizitär, ihre volle Personalität erst in ihrer Gemeinschaft haben[11].
Unter solchen theoretischen Voraussetzungen schaltete sich Gierke in die Diskussion um ein künftiges BGB ein, dessen ersten Entwurf er einer umfangreichen Kritik unterzog[12]. Dieser war weitgehend identisch mit der Vorlage des Redaktors Gottlieb Planck. In der Frage des Vorrangs des Mannes waren Gierke und Planck durchaus beieinander, wie überhaupt außer der Frauenbewegung im Reichstag nur die Linke und in der Wissenschaft teilweise Anton Menger für Gütertrennung eintraten. Die breite Übereinstimmung über den grundsätzlichen Vorrang des Mannes schloss den Streit der beiden Hauptkontrahenten über die legislatorische Verwirklichung nicht aus. Der Streit war insofern unabhängig von der Frage des Güterrechts, weil das so oder so zugeordnete Vermögen nur bei Gütertrennung nicht vom Ehemann verwaltet und genutzt werden sollte und ein Wahlgüterstand der Gütertrennung auch von Gierke befürwortet wurde.
So wie Gierke für Beibehaltung der ehemännlichen Munt eintrat, wurde dies von Planck abgelehnt. Die Munt war ursprünglich eine personale Herrschaft über die Frau, die sich über deren Person hinaus auf ihr Vermögen erstreckte, so dass aus der Munt über die Frau die gewere des Ehemanns an ihrem Gut folgte. In seiner einflussreichen Schrift von 1841[13] hat Runde die Zerrissenheit und die neuerliche Rechtsunsicherheit auf dem Gebiet des Güterrechts darauf zurückgeführt, dass das altdeutsche Mundium in letzter Zeit zurückgedrängt worden sei und sich keine der entweder in der juristischen Person oder in sachenrechtlichen Gemeinschaftsformen gesuchten neuen Grundlagen hätte durchsetzen können. Auch Runde wollte nicht das Mundium beibehalten, aber den altdeutschen und unverändert lebendigen Grundsatz, wonach das beiderseitige Vermögen die ehelichen Lasten zu tragen habe und der Mann als Haupt der Familie das Vermögen der Frau verwaltet und nutzt. Zur Erreichung von Einheitlichkeit und Rechtssicherheit errichtete Runde in seinem „Entwurf eines neuen Gesetzes" den Güterstand der Verwaltungsgemeinschaft auf der Grundlage des gemeinen Rechts.
Denselben Weg schlug Planck ein. Der Weg führte zu dem gesetzlichen Güterstand der ehemännlichen Verwaltung und Nutznießung des BGB, der bis zum Gleichberechtigungsgesetz des Jahres 1958 gegolten hat. Auf Gütertrennung beruhend, trat mit der Heirat kein Zuordnungswechsel am Anfangsvermögen der Ehegatten ein. Der dem sachenrechtlichen Institut analoge eheliche Nießbrauch des Mannes bedeutete, dass ihm die Früchte des Frauenvermögens zufielen. Progressive reformerische Neuerung war jedoch der spätere § 1376 BGB, wonach Arbeitserwerb der Frau in ihr Vorbehaltsguts fiel. Zum Nießbrauch des Mannes trat das Verwaltungsrecht hinzu, das ihm Eingriffe in die Substanz des eingebrachten Gutes ermöglichte. Zu bedeutenderen Verfügungen brauchte er jedoch die Einwilligung der Frau. Zu deren Erteilung war sie verpflichtet, wenn das geplante Geschäft der ordnungsmäßigen Verwaltung diente. Zu eigenen Geschäften in dem ehemännlichen Verwaltungsbereich war der Frau die Verfügungs- und Verpflichtungsmacht genommen.
An diesen Vorschriften kritisierte Gierke im Kern, dass in ihnen keine eheliche Gemeinschaft erkennbar werde, die Gatten sich vielmehr wie verkehrsrechtliche Geschäftspartner gegenüberstehen. Planck konnte erwidern, dass die Regelungen genau auf Ehegatten passten, die einander im gleichen Maß vertrauten wie sie einander respektierten. Wortgewaltig blies Gierke den Streit welt- und lebensanschaulich auf, wie es seiner emotionalen Intellektualität entsprach. Demgegenüber blieb Planck, seiner Art gemäß, nüchtern, was aber nicht ausschloss, dass er den sachlichen Gegensatz verzeichnete. Wenn er darauf beharrte, die Geschäftsfähigkeit der Frau nicht anzutasten, so hatte dieser naturrechtliche Begriff in seiner Allgemeinheit bis dahin in der güterrechtlichen Literatur und Rechtsprechung keine Rolle gespielt und Planck verkannte auch, dass allgemeine Geschäftsfähigkeit erst im Zusammenhang mit der Dispositionsfreiheit die Privatautonomie ergibt und die Ehefrau auch nach Gierke außerhalb des gesetzlichen Güterstandes unbeschränkt geschäftstauglich war. Unberechtigt war es auch, wenn Planck gegen Gierke die Undeutlichkeit des Muntbegriffs ins Feld führte. Der Begriff der „rechten Vormundschaft“ wäre nicht in größerem Maß der Konkretisierung bedürftig gewesen als der Begriff der ordnungsgemäßen Verwaltung, auf den es nach Plancks Entwurf im Streitfall ankam.
Man kann versuchen, die Positionen beider Kontrahenten allgemeiner zu charakterisieren, etwa mittels des Kriteriums des Positivismus. Im rechtspolitischen Raum, in dem ihre Begegnung stattfindet, kann es einen Gesetzespositivismus nicht geben, sondern nur einen rechtswissenschaftlichen Positivismus. Diesem ist Planck zuzuordnen, der nur das gesuchte künftige Gesetz als Rechtsquelle anerkennt und die Suche danach nicht als Rechtsfindung betreibt. Dagegen leitet Gierke das zu setzende positive Gesetz aus seiner Rechtsidee ab, ist insofern Rechtsidealist. Aber seine Rechtsidee ist weder apriorisch noch religiös oder moralisch, sondern neigt sich auf dieser Ebene positiv Gegebenem zu, nämlich dem Volksrecht (Beseler) oder dem Volksgeist (Savigny). Auch Planck hat einen positivistischen Ausgangspunkt in der „ziemlich allgemeinen Sitte, dass die Frau tatsächlich ihr ganzes Vermögen dem Mann zur Verwaltung und Nutzung für die Zwecke der Ehe überlässt“[14]. Vielleicht ist diese Gegebenheit für ihn nicht schon als solche maßgebend, sondern nur deswegen, weil der vom BGB einzuführende Güterstand, als eine Ausprägung der Verwaltungsgemeinschaft, so wenig Änderungen wie möglich hervorrufen soll[15].
Weiter als der Gesichtspunkt des Positivismus dürfte eine Betrachtung führen, die von den beiden Funktionen allen Rechtes ausgeht, der Ordnung und der Kontrolle[16]. Hier steht Gierke ganz auf Seiten der Ordnung. Das Gesetz soll die Ordnung der Familie abbilden und sie dadurch stärken. Planck befindet sich auf Seiten der Kontrolle und entwirft Normen zur Konfliktlösung. Von daher erklärt sich Gierkes Kritik, dass Planck nicht die gelingende, sondern eine scheiternde Familie abbilde und damit die Familie zerstöre.
Eine Vision des ordnenden Gesetzes war das aufgeklärte Naturrecht im System eines Christian Wolf und der Kodifikation des preußischen Allgemeinen Landrechts. Die Moderne hat sich dagegen immer mehr der Kontrolle verschrieben, die allerdings Ordnung voraussetzt. Modern ist aber die Einsicht, dass die Ordnung zu einem großen Teil nicht vom Recht begründet wird, sondern ihm durch sich verändernde Verhältnisse vorgegeben ist. Der „Krise der Ehe“, die in der Zeit nach Gierke immer deutlicher wurde[17], wäre seine Konzeption nicht gewachsen gewesen. Denn Ordnung ist eher von Kollektiven getragen, Kontrolle eher Sache des Individuums. Dem hätte Gierkes Konzeption eines Familienrechts, in dessen Mittelpunkt die gelingende Familie steht, nicht standgehalten.
Was die Güterstände angeht, so lehnte Gierke die Entscheidung für die Verwaltungsgemeinschaft als gesetzlichen Güterstand ab. Es ist dies gleichsam die Speerspitze seines Kampfes gegen den Entwurf. Aber die Bedeutung dieser Entscheidung dürfte in der Generation der wissenschaftlichen Väter des BGB überschätzt worden sein. Solange Scheidungen selten waren, war wichtiger, wie im Fall des Todes eines Gatten sein Vermögen auf den überlebenden Teil und auf seine Verwandten einschließlich der gemeinschaftlichen Kinder verteilt wurde. Regelungen der Verwaltungsbefugnis wurden bei bestehender Ehe gewöhnlich durch Einverständnis überspielt. Welchem Gatten während der Ehe Vermögen zugeordnet ist, hat jedoch Bedeutung für die Schuldenhaftung. Weniger interessieren dabei Schulden der Frau, die selten vorhanden sind, als Schulden des Mannes, die nicht zuletzt durch seine wirtschaftliche Betätigung entstehen. Hier hat das BGB von Plancks Vorentwurf an aus der Vermögenstrennung konsequent die Schuldensonderung abgeleitet. In der neueren Privatrechtsgeschichte war der Grundsatz „Frauengut soll weder wachsen noch schwinden“[18] selten so konsequent verwirklicht. Mit dieser Haftungsregelung hängt zusammen, dass Arbeitsverdienst der Frau in ihr Vorbehaltsgut fiel, denn nur mit dieser Voraussetzung haftete sie für ihre gewerblichen Schulden. Beide Regelungen verfielen Gierkes Kritik, der ihre Vorteilhaftigkeit für die Frau nicht würdigte sondern nur die Verletzung der Gemeinschaftlichkeit der Ehe sah, die für ihn ein und alles war.
Eben dieses Prinzip ließ Gierke leidenschaftlich für die Gütergemeinschaft eintreten, in erster Linie für die allgemeine, in zweiter Linie für eine Errungenschaftsgemeinschaft. In der Gütergemeinschaft sah er „das Endergebnis der geschichtlichen Entwicklung des deutschen ehelichen Güterrechts“, die den Grundgedanken des germanischen Rechts vollendet zum Ausdruck bringe. Mit dieser Wertung setzte er sich in erstaunlicher Weise darüber hinweg, dass in der deutschen Rechtsgeschichte am meisten verbreitet eine Form von Verwaltungsgemeinschaft war, die mehr dem römischen Dotalrecht als einer Gütergemeinschaft geähnelt hat. Aus seiner Präferenz für Gütergemeinschaft kritisierte Gierke den Entwurf rechtspolitisch darin, dass dessen gesetzlicher Güterstand die Frau von jeglicher ehelichen Errungenschaft ausschloss. Eine Ungerechtigkeit sah er in der Bevorzugung der erwerbstätigen Frau, die bekanntlich zu ihrem Vorbehaltsgut erwarb. Nicht bei Planck, wohl aber bei Gierke klingt der moderne Streit um die zu fördernde bzw. zu behindernde Frauenrolle an, wobei Gierke für die Hausfrau und Mutter und Planck für die erwerbstätige Frau zu verbuchen sind. Aber soziale und ethische Motive sollen ihnen nicht unterstellt werden. Planck verteidigt schlicht den Grundsatz „Frauengut soll weder wachsen noch schwinden“, wenn er darauf aufmerksam macht, dass der Entwurf die Frau davor bewahrt, ihren Anteil an der Errungenschaft an einen überschuldeten Gatten zu verlieren.
Mit einem Vortrag über „Das deutsche Haus und der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches“ beendete Gierke 1890 seine Wortmeldungen in der Reformdebatte zu einem Zeitpunkt, als die zweite Kommission eingesetzt worden war, die dann die Kritik am ersten Entwurf prüfte, zu der Gierke nicht nur erfolglos mit seinen Prinzipien, sondern in nicht wenigen Einzelpunkten erfolgreich beigetragen hat.
Das Familienrecht im Rahmen des deutschen Privatrechts, das Gierke darzustellen übernommen hatte, war seit 1900 das vierte Buche des BGB, zu dem er sich kritisch aber nicht nachtragend verhielt. In einleitenden Ausführungen schildert er seine bekannte Auffassung vom Wesen des Familienrechts und definiert Familienrechte als absolute Herrschaftsrechte an einer anderen Person; ihr „sozialer“ Gehalt liege in ihrem Pflichtcharakter, der sich in einer Gegenseitigkeit ausdrücke: die beherrschte Person hat gegen die beherrschende ein relatives Recht auf pflichtgemäße Ausübung der Herrschaft[19].
Für seine Zeit hat Gierke mit dieser Formulierung den sozialen Charakter und Pflichtgehalt der Familienrechte dogmatisch prägnant erfasst. Freilich werden heute Rechte „an“ einer anderen Person kaum noch anerkannt. In inhaltlicher Hinsicht gibt ihm die Neufassung von § 1626 durch das Gleichberechtigungsgesetz, das die Pflicht von Eltern sogar an erster Stelle nennt, Recht. In dogmatischer Hinsicht hatte zwar in der früheren Annahme von Herrschaftsrechten an einer anderen Person nichts Unmoralisches gelegen, aber durch die zwischenzeitlichen Änderungen hat das Gesetz den Inhalt, dem früher der Herrschaftsbegriff entsprach, weitgehend verloren. Mindestens aus Taktgründen verbietet es sich geradezu, Familienrechte noch als Herrschaftsrechte anzusprechen. Andererseits gibt es aber auch keinen Grund, mit Esser die Kategorie des subjektiven Rechts überhaupt aus dem Familienrecht auszuschließen und nur noch eine „organisatorische Zuständigkeit“ anzunehmen[20]. Auch am absoluten Charakter von Familienrechten ist festzuhalten; für das Elternrecht braucht nur auf § 1631 hingewiesen zu werden. Aber auch das Recht als Ehegatten hat nach wie vor eine ausschließende Wirkung mit der Folge negatorischen Schutzes des ehelichen Rechts gegenüber Dritten, was nicht bedeuten muss, dem verletzten Ehegatten auch einen Schadensersatzanspruch zu geben[21]. Gerade in dieser Frage, in der als erster Hellwig opponiert und es abgelehnt hatte, aus dem Herrschaftsrecht Drittschutz abzuleiten, informiert Gierke ebenso wie über die dann wohl herrschend gewordene Ansicht, die den Umfang des Drittschutzes nicht über den Schutz gegenüber dem Ehegatten hinausragen lässt[22].
Hier zeigt sich, wie Gierke, ohne seine besonderen Grundlagen zu verleugnen, dem positiven Gesetz seiner Zeit gerecht wird und über Kontroversen seiner Zeit zuverlässig informiert. Was das Buch besonders empfiehlt und seinen Druck rechtfertigt, sind aber die zahlreichen rechtsgeschichtlichen Hinweise, die es künftig erleichtern, vom BGB aus rückwärtsschreitend in die Geschichte des Familienrechts einzudringen.
Münster Heinz Holzhauer
[1] Holzhauer, Familienrecht als universitäres Lehrfach. Geschichte und gegenwärtige Lage, in: Von den Leges Barbarorum bis zum ius barbararorum des Nationalsozialismus. Festschrift für Hermann Nehlsen zum 70. Geburtstag, 2008, 658-672.
[2] Sibylle Hofer, Das Gesellschaftsrechtliche an der Ehe, in: Perspektiven des Familienrechts, Festschrift für Dieter Schwab zum 70. Geburtstag, 2005, 78-95.
[3] Mit dieser Offenheit des Familienrechts zum Sozialen hängt eine dogmatische Eigentümlichkeit des personalen Familienrechts zusammen, nämlich in Über-Unterordnungsverhältnissen die Selbstdurchsetzung. Zu nennen sind die frühere eheherrliche Gewalt, dann die väterliche, dann elterliche Gewalt, heute elterliche Sorge, ferner die Personensorge des Vormunds (§ 1793) und abgeschwächt des Betreuers eines Volljährigen (vgl. § 1901 II 1: das Betreuungsverhältnis ist einem Familienverhältnis nachgebildet). In der späteren Naturrechtslehre wurde das im Eltern-Kind-Verhältnis teilweise so erklärt, dass Eltern und Kind als eine Person angesehen wurden (vgl. Silvia Schumacher, Das Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kind in der Privatrechtsgeschichte, 1999, S. 256). Damit hängt weiter zusammen der staatliche Kontrolleverzicht gegenüber gleichberechtigten Ehegatten und die relative prozessuale wie inhaltliche Formlosigkeit der gerichtlichen Kontrolle in den verbliebenen Verhältnissen (§§ 1666 ff., 1837, 1908 in Verb. 1837 I-III).
Die andere dogmatische Eigentümlichkeit des Familienrechts, sein Charakter als Statusrecht (Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 4. Aufl. 1994, § IV: „Das Familienrecht ist Statusrecht“), scheint im Zug der Entwicklung „Vom Status zur Realbeziehung“ (Ingeborg Schwenzer 1987) heute abzubröckeln. Hat der als Vater festgestellte oder anerkannte Erzeuger eines Kindes noch den Status als Vater, so trifft das auf den seine Ursächlichkeit als Erzeuger nicht bestreitenden Mann, der gleichwohl der Mutter nach § 1615 l Unterhalt schuldet und dessen Prozesssache nach § 111 Nr. 8 Familiensache ist, nicht zu (vgl. OLG Düsseldorf, FamRZ 195, 690). Ebenso wenig kann die Stellung als Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft als Status angesehen werden, obwohl das materielle Recht der nichtehelichen Lebensgemeinschaft im Familienrecht behandelt wird und vermögensrechtliche Ansprüche zwischen den Partnern bei dem Bundesgerichtshof von dem für Familiensachen zuständigen XII. Senat entschieden werden.
[4] Holzhauer, Unsterblichkeit und Recht, in: Festschrift für Walter Rolland zum 70. Geburtstag, S. 175-187.
[5] Volksrecht und Juristenrecht, 1843, 169.
[6] Wie zuvor, S. 165.
[7] Otto von Gierke, Deutsches Privatrecht 1.Bd. Allgemeiner Teil und Personenrecht, 1895, 624ff.
[8] Umgekehrt zum systematischen Verhältnis von § 31 BGB zu § 89 BGB hat sich der Begriff des Organs zuerst im Staatsrecht (dazu Böckenförde, Art. „Organ“ in: Geschichtliche Grundbegriffe, hg. v. Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck, Bd. 4, 1978, S. 614) und erst von da an auch im privaten Vereinsrecht durchgesetzt. Für Gierke überlagerte der Begriff der Körperschaft die Grenze von privatem und öffentlichem Recht (Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung, 1878, S. 158. Konsequent rügte er am „Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs“ (1889), dass dieses das Wort und den Begriff des Organs vermeidet und alles körperschaftliche Wollen und Handeln als Stellvertretung ausgestaltet (S. 148).
[9] Auch für das frühere römische Recht spricht Kaser von einem Handeln des „abhängigen Organs“ (Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 18. Aufl., § 11, Rn. 2, S. 71).
[10] Diese Wendung steht bei Gaius zwar in erbrechtlichem Zusammenhang (1.111/114; 2.159), trifft aber auf die Stellung der uxor in manu überhaupt zu (Kaser/Knütel, Röm. Privatrecht, 18. Aufl. § 58 Rn. 8, S. 284). Für das deutsche Recht vgl. Ogris, Art Munt in: HRG IV,1.Aufl. Sp. 758.
[11] Über den Personenbegriff Gierkes jetzt: Sabine Stierstorfer, Das erste einheitliche deutsche Güterrecht, 2010, S. 218.
[12] Otto Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht, Veränderte und vermehrte Auflage 1889.
[13] Christian Ludwig Runde, Deutsches eheliches Güterrecht, 1841. Ausgezeichnete Darstellung des Meinungsspektrums um die Entstehung des Güterrechts des ersten Entwurfes bei Stierstorfer, wie F. 12.
[14] Begründung der Vorlage S. 299, in der Ausgabe Werner Schuberts, Die Vorlagen der Redaktoren usw., Familienrecht Teil 1, 1983, S. 451.
[15] Wie Fußn. 14, S. 464 (bei Schubert).
[16] Rüdiger Schott, Die Funktion des Rechts in der modernen Gesellschaft, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 1 (1970), S. 120.
[17] Holzhauer, Krise und Zukunft der Ehe, JZ 2009, 492- 498.
[18] Ruth Schmidt-Wiegand, Deutscher Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, 1996, 109.
[19] Zu Unrecht hat dem Ernst Wolf den Satz vom ausgeschlossenen Dritten entgegengehalten. Aber dem Vindikationsanspruch kann ohne weiteres ein obligatorischer Anspruch auf die Sache entgegengesetzt werden.
[20] Einführung in die Grundbegriffe, S. 154; ähnlich Müller-Freienfels, Ehe und Recht, S. 227.
[21] Zum Ganzen
Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 4. Aufl. 1994, § 17 II, S 154 ff.
[22] Fn. 7o4 S. 142 f.