Geschichte der Stadt Prenzlau, im
Auftrag der Stadt Prenzlau hg. v. Neitmann, Klaus/Schich, Winfried (=
Einzelveröffentlichungen der brandenburgischen historischen Kommission 16). Geiger-Verlag,
Horb am Neckar 2009. 460 S. Besprochen von Gerhard Günther.
Das gesamte Werk ist in elf
Abschnitte verschiedener Autoren gegliedert: Ur- und Frühgeschichte bis zu
den Anfängen der Stadt im 13. Jahrhundert (Matthias Schulz). Von der Stadtwerdung
bis zum Ende der Askanierherrschaft (1150-1320) (Winfried Schich). Unter wechselnden
Dynastien (1320-1500) (Heidelore Böcker). Von der Reformation bis zum 30jährigen
Krieg (1500-1648) (Klaus Neitmann). Zeit des Absolutismus (1648-1806) (Frank
Göse) Von der Steinschen Städtereform bis zum Ersten Weltkrieg
(1806/08-1914/18) (Wolfgang Radtke). Weimarer Republik und Nazidiktatur (Frank
Schmidt). Prenzlau in der SBZ und der DDR (Harald Engler). Siegel und Wappen
der Stadt (Werner Heegewaldt). Mittelalterliche Kunst und Architektur (Ernst
Badstübner/Dirk Schumann). Garnisonsstadt (Martin Winter).
Im Vorwort
dieses Sammelbandes bieten die beiden Herausgeber einen Überblick zur
Prenzlauer Chronistik und Geschichtsschreibung. Die Forschungslage machte es
notwendig, insbesondere für die letzten drei Jahrhunderte auch ungedruckte
Quellen aus Archiven zu verwenden. Meiner Meinung nach sollte man versuchen,
das im Vorwort (S. 13) anklingende Lagerdenken zu überwinden und nicht eine
Ideologie durch eine andere ersetzen.
Die Stadt
Prenzlau ist die Hauptstadt der Uckermark. Ihre Geschichte ist daher auch für
die Geschichte der anderen uckermärkischen Städte von Bedeutung. Andererseits
kann die Geschichte einer uckermärkischen Stadt Hinweise für Prenzlau liefern.
Wenn meine verehrte Lehrerin Lieselott Enders schreibt, dass die askanischen
Markgrafen 1273 der Stadt Lychen „als erster uckermärkischer Stadt die Ober-
und Untergerichtsbarkeit“ verliehen haben (L. Enders, Die Uckermark. Weimar
1992, S. 73f.), dann heißt das nur, dass dieser Akt urkundlich belegt werden
kann. Allerdings ist die Überlieferung dieser Urkunde nicht besonders Vertrauen
erweckend. Es könnte erörtert werden, ob die Askanier bereits vorher ein
solches Privileg auch der viel wichtigeren Stadt Prenzlau verliehen hatten,
dessen urkundliche Fixierung nicht mehr vorhanden ist. Dafür gibt es jedoch
keinerlei Anzeichen.
Im Grunde
bedeutete die Übertragung von Magdeburger Recht in der Version von Stendal und
Gardelegen an Prenzlau durch die Askanier im Jahre 1278 (W. Schich, S. 34) die
Möglichkeit der Erlangung der Hochgerichtsbarkeit (vgl. E. Engel, Die deutsche
Stadt im Mittelalter, 2. Aufl. Düsseldorf 2005, S. 78f.), was dann 1282 und
1305 geschah (W. Schich, S. 46, 48), allerdings so, dass der Landesherr die
Verfügungsgewalt über das Hochgericht behielt und lediglich einen Prenzlauer
Bürger damit belehnte. 1370 verpfändet dann der Markgraf neben anderen
Hoheitsrechten dieses Gericht für 1330 Mark Silber der Stadt (H. Böcker, S.70,
ohne die von L. Enders, Deutsches Städtebuch 2, S. 422, angeführten Ausnahmen
zu erwähnen).
Insgesamt
sind weltliche Gerichtsbarkeit und Rechtsetzung zuverlässig dargestellt, wenn
auch der Rechtshistoriker die landesherrliche Stadtordnung von 1465 nicht unter
der Überschrift „Sozialeinrichtungen“ gesucht und die Trennung von Justiz und
Verwaltung durch die Steinsche Städteordnung von 1809 stärker betont hätte.
Verwunderlich ist, dass der Sachsenspiegel, die Rechtsquelle, die das Leben der
Menschen bestimmte, nur im Zusammenhang mit der „Gerade“ in einer Fußnote (S.
32 mit Anm. 42) vorkommt. Auch die Territorialgesetzgebung seit dem 16.
Jahrhundert ( z. B. „Joachimica“, 1527) bis zum Allgemeinen Landrecht für die
preußischen Staaten (1794) hat keine Beachtung gefunden.
Bevor auf
die kirchliche Gerichtsbarkeit eingegangen wird, einige Bemerkungen zur
allgemeinen Kirchengeschichte. Hier liegt für Prenzlau und die Uckermark –
obwohl in den letzten Jahrzehnten eine Reihe gründlicher Arbeiten entstanden
sind – noch vieles im Dunkeln. Das betrifft unter anderem auch die kirchliche
Gliederung in den Archidiakonaten vor der Reformation, nämlich die Feststellung
der Grenzen der Dekanate und des Sitzes der Mutterkirchen. L. Enders, Prenzlau
– Altstadt, Neustadt und seine hochmittelalterlichen Kirchengemeinden. In:
Herbergen der Christenheit 1987/88, S. 12-14, hat, ohne sich festzulegen, auf
Grobe (auf Usedom), Pasewalk oder Gramzow als mögliche Mutterkirche Prenzlaus
hingewiesen. Wenn W. Schich (S. 35), ausgehend von der unbestrittenen Tatsache,
dass die Marienkirche sich zur Hauptpfarrkirche Prenzlaus entwickelte und ihr
die anderen Kirchen der Stadt nachgeordnet wurden, meint, dass die Marienkirche
deshalb Mutterkirche der Stadt geworden sei, so ist ihm schon deshalb zu
widersprechen, weil die Mutter nicht jünger sein kann als ihre Töchter.
Außerdem fehlen jegliche Belege für eine Tätigkeit des Pfarrers der Prenzlauer
Marienkirche in der kirchlichen Rechtsprechung. Er wäre dann archipresbyter gewesen. Der
Sachsenspiegel I,2,1 weist dem Sendgericht des Erzpriesters nur die Landsassen
(Freie ohne Immobiliareigentum) zu.
Die
Gerichtsbarkeit der Kirche ist in ihrer Bedeutung für die deutsche
Rechtsentwicklung und als eine der Ursachen der Reformation nicht ausreichend
dargestellt. Das bedarf stellenweise der Korrektur. Moralische Verfehlungen
verhandelte die Kirche im forum internum
mit Beichte und Buße. Im kirchlichen Gericht geht es um Recht (Berman, Harold
J., Law and Revolution. The Formation of the Western Legal Tradition, Harvard
1983., deutsch: Berman, Harold J., Recht und Revolution. Die Bildung der
westlichen Rechtstradition, übers. von Hermann Vetter, Frankfurt am Main 1995
[suhrkamp taschenbuch wissenschaft, 1203], S. 307ff.).
Am Beispiel
einer Quelle aus dem Jahre 1471 (Schreiben an den Kurfürsten) soll gezeigt
werden, was ich unter „nicht ausreichend“ verstehe. H. Böcker schreibt, dass
die Prenzlauer „unter dem Bischof von Cammin großen Verderb und sein Interdikt
hätten erleiden müssen“ (S. 91). Das ist unverständlich und nicht ausreichend.
Die gleiche Quelle wird von Jürgen Theil, Prenzlauer Stadtlexikon und
Geschichte in Daten, Prenzlau 2005 (Arbeiten des Uckermärkischen
Geschichtsvereins zu Prenzlau e. V., Band 7), S. 230, wie folgt interpretiert:
„ ... dass der Bischof von Kammin Bürger und Bauern wegen weltlicher Schulden
mit dem Banne belegt habe.“ Das kommt der Sache sehr viel näher.
Seit dem
13. Jahrhundert haben „die geistlichen Gerichte zunehmend auch weltliche
Streitigkeiten vor ihr Forum [ge]zogen, so dass sie schließlich für alle
Rechtstreitigkeiten unbeschränkt zuständig waren“ (G. Günther, Römisches Recht
in Thüringen. Seine Anwendung im Rechtsleben bis 1350, Bad Langensalza 2006, S.
115). In der Mark Brandenburg wird diese Tatsache besonders deutlich in der
Glosse zum Sachsenspiegel, die der märkische Hofrichter Johann von Buch um 1325
anfertigte. Die Lektüre einiger Seiten reicht aus, um etwaige Zweifel an der
Anwendung des kanonischen und des römischen Rechts in den kirchlichen Gerichten
und überhaupt im Rechtsleben zu beseitigen. Die Nähe Prenzlaus zu Mecklenburg
und Pommern hat mit Sicherheit dazu beigetragen, dass die kirchlichen Gerichte
von den Parteien stark in Anspruch genommen wurden, weil in der Regel das
Urteil eines weltlichen Gerichts nur in dem Fürstentum vollstreckt werden
konnte, in dem das urteilende Gericht seinen Sitz hatte. Die kirchlichen
Gerichte dagegen beachteten die Grenzen der Fürstentümer nicht: die Kirche war
universal. Wenn der Verurteilte den Spruch des kirchlichen Gerichts nicht
erfüllte, wurde er mit dem Kirchenbann (Exkommunikation) belegt. Erzielte dies
nicht den gewünschten Erfolg, dann wurde die ganze Gemeinde mit der Strafe des
Interdikts überzogen. Das war faktisch ein unbefristeter Generalstreik
sämtlicher Geistlichen des Ortes. Alle kirchlichen Amtshandlungen wurden nicht
mehr ausgeführt, die Glocken nicht geläutet, die Toten nicht bestattet usw., so
dass das gesamte geistlich-kirchliche Leben zum Erliegen kam. Außerdem hatte
das wirtschaftliche Folgen, da niemand mit diesen von der Kirche Verfemten
etwas zu tun haben wollte. Die von den Urteilen und Strafen negativ Betroffenen
beschwerten sich bei ihren Landesherren, die daraufhin ihren Untertanen die
Inanspruchnahme geistlicher Gerichte in weltlichen Angelegenheiten untersagten
(Neitmann, S. 100). Diejenigen, die aus den Urteilen der geistlichen Gerichte
profitierten, fanden aber immer wieder Mittel und Wege um an ihr Geld zu
kommen.
Nach
Einführung der Reformation in
Brandenburg 1540 wurde durch die Konsistorialordnung von 1543 ausdrücklich die
Gerichtsbarkeit der alten Kirche beseitigt (Neitmann, S. 108).
Dem
Abschnitt der Prenzlauer Geschichte zwischen 1945 und 1990 ist eine
„Vorbemerkung“ vorangestellt, die ihn als „Versuch
einer realitätsnahen Rekonstruktion der Stadtgeschichte ... jenseits der
Klischees vom ‚Stasi-Staat‘ oder vom ‚Sozialparadies‘ “ charakterisiert. Das
ist Harald Engler nach meinem Dafürhalten weitgehend gelungen, auch wenn
weitere Forschungen zu Ergänzungen oder Korrekturen führen werden. Engler
konnte auch Quellen verwenden, die zu DDR-Zeiten den Historikern als geheime
Verschlusssachen nicht zur Verfügung standen. Gut gelungen sind die
Ausführungen zu Stadtplanung, Städtebau und Denkmalpflege (S. 300-321),
offensichtlich ein spezieller Forschungsgegenstand des Autors. Andere Passagen
beruhen fast unverändert auf der Arbeit von J. Theil, a. a. O.
Einige
Anregungen zu Korrekturen und Ergänzungen: Die Machtausübung sowjetischer
Behörden (Sowjetische Militäradministration) in der Sowjetischen Besatzungszone
Deutschlands, und damit auch in Prenzlau, beruhte auf dem Potsdamer Abkommen,
das als höchstes Machtorgan im besetzten Deutschland den Alliierten Kontrollrat
bestimmt hatte. – Lebensmittel- und Verbraucherkarten hatten die
Nationalsozialisten vorsorglich schon kurz vor Kriegsbeginn eingeführt
(Schmidt, S. 266), andere Rationierungsmaßnahmen bereits früher („Kanonen statt
Butter“). Ab 1. November 1945 wurden in der gesamten sowjetischen
Besatzungszone einheitliche Lebensmittelrationen verordnet. – Es passt nicht
zusammen, wenn der Zusammenschluss der beiden Arbeiterparteien 1946 mehrfach
als „Zwangsvereinigung“ bezeichnet wird und am Schluss eine differenziertere
Betrachtung dieses Geschehens vorgeschlagen wird. – Die SED sollte m. E. vor
dem 7. Oktober 1949 nicht als Staatspartei bezeichnet werden. – Die separate
Währungsreform in den Westzonen Deutschlands erfolgte im Gegensatz zum
Potsdamer Abkommen und führte zur Aufhebung der Währungs- und
Wirtschaftseinheit Deutschlands und zwangsläufig zur Gründung von zwei deutschen
Staaten, die „nur noch eine formale Vollendung der vorangegangenen Entwicklung
darstellte“ (S. 286). – Über Nutzen oder Schaden der föderalen Struktur (S. 287
und S. 331) streiten sich die Geister. Die westlichen Militärgouverneure hatten
gefordert, dass sie in das Grundgesetz aufgenommen wird. – Am 18. März 1990
haben die Prenzlauer mit einer Wahlbeteiligung von 93,38 Prozent (J. Theil, a.
a. O., S.321f.) dazu beigetragen, dass die letzte und einzige freie Wahl zur
Volkskammer der DDR die endgültige Beseitigung der Diktatur des SED-Regimes
durch die revolutionäre Erhebung der Bevölkerung der DDR besiegelte. – Die
folgenden Ereignisse sind ein neues Kapitel.
Die
„spezifischen Druckverhältnisse in einer Marktwirtschaft“, die der Staat nicht
verhindert, werden wohl üblicher Weise als Diktatur des Kapitals bezeichnet.
Die enorm hohe Arbeitslosigkeit in Prenzlau (S. 333) führte zu einer zweiten
Fluchtwelle in Richtung Westen, die – wenn man den ökonomischen Zwang
unbeachtet lässt – auf Freiwilligkeit beruhte. Alle gegenwärtigen Prognosen
zeigen, dass dieser Bevölkerungsverlust sich fortsetzt und in absehbarer Zeit
nicht ausgeglichen werden kann (z. B. Uckermark Kurier vom 16. Juni 2011, S.
15: „Täglich fünf Menschen weniger“ [in der Uckermark]).
Bedauerlich
sind einige „handwerkliche“ Fehler. Hier nur zwei Beispiele: Bei dem Schreiben
Papst Urbans VI. von 1379 Februar 11 an den Propst des Klosters Gramzow handelt
es sich keinesfalls um eine Petition (Böcker, S. 79). Es ist ein Mandat (mandamus). In den Innungsartikeln der
Prenzlauer Handschuhmacher von 1727 ist „ein Deputatus vom
Magistrat...“, nicht „ein Deputaty ...“ zu lesen (Göse, S. 170).
Dem Buch,
das eine Vielzahl historischer Informationen und zahlreiche aussagekräftige
Karten und Abbildungen enthält, ist eine weite Verbreitung und zu gegebener
Zeit eine zweite Auflage zu wünschen.