Gans, Eduard, Briefe und Dokumente, hg. v. Braun, Johann. Mohr (Siebeck), Tübingen 2011.

 LXI, 494 S. Besprochen von Hans-Michael Empell.

 

Das Buch ist einem Kapitel aus der Geschichte deutscher Juristen jüdischer Abstammung gewidmet, dem Leben und Wirken des 1797 in Berlin geborenen und 1839 dort gestorbenen Eduard Gans. Aus einer Reihe von Gründen hat Gans historische Bedeutung erlangt: Wie der Herausgeber in der Einleitung (S. IXff.) darlegt, war er nicht nur ein Vorkämpfer der Emanzipation der Juden in Preußen und Mitbegründer eines „Vereins für Kultur und Wissenschaft der Juden“, sondern auch Anhänger und einer der wissenschaftlichen Nachlassverwalter Hegels, ein Gegner der historischen Rechtsschule und ihres Oberhauptes Friedrich Carl von Savigny sowie ein Freund Heinrich Heines und Mitstreiter in der Literatengruppe des Jungen Deutschlands. Gans hat mehrere rechtswissenschaftliche Werke publiziert, darunter Abhandlungen zum römischen Recht und ein mehrbändiges, unvollendet gebliebenes „Erbrecht in weltgeschichtlicher Entwickelung“ (1824-1835). Gans war - nach seinem Übertritt zum christlichen Glauben - der erste ordentliche Rechtsprofessor jüdischer Abstammung in Preußen (1828). Das Buch „Naturrecht und Universalrechtsgeschichte“, das Johann Braun 2005 herausgegeben hat, enthält Mitschriften seiner Vorlesungen zur Rechtsphilosophie Hegels. Nicht so sehr als Jurist hat Gans jedoch Bedeutung erlangt, sondern als ein streitbarer philosophischer und politischer Kopf.

 

Anders als der Titel vielleicht nahe legt, enthält der Band nicht nur von Gans verfasste Briefe, sondern in großer Zahl auch solche, die an ihn gerichtet sind; außerdem werden ihn betreffende, zumeist amtliche Schriftstücke mitgeteilt. Der Herausgeber hat ein „Verzeichnis der abgedruckten und nicht abgedruckten Dokumente“ (S. XXXIXff.) zusammengestellt. Es folgen insgesamt 313 „Briefe und Dokumente“, zunächst der  „Textteil“ (S. 1ff.), der die Briefe und Dokumente (ganz überwiegend) in chronologischer Reihenfolge enthält, sodann die „Anmerkungen“ (S. 405ff.). „Hinweisen zur Edition“ (S. 465f.) schließt sich ein nützliches, ja geradezu unentbehrliches Personenregister an (S. 467ff.). Auch eine Lithographie mit einem Bildnis Gans’ aus dessen Todesjahr (1839) findet sich in dem Band.

 

Versucht man, aus der Fülle der in den Briefen und Dokumenten behandelten Themen eine kleine Auswahl zu treffen, so dürften für den rechtshistorisch interessierten Leser zwei Sachbereiche von besonderem Interesse sein: die Bemühungen Gans’ um eine ordentliche Professur an der Universität Berlin und seine Gegnerschaft zur historischen Rechtsschule.

 

Im preußischen Emanzipationsedikt (1812) wurde zwar festgelegt, dass die in Preußen ansässigen Juden die preußische Staatsbürgerschaft erhielten, was einen ersten, wichtigen Schritt zu ihrer rechtlichen Gleichstellung bildete; es waren aber auch empfindliche Einschränkungen vorgesehen. So war Juden der Zugang zu „öffentlichen Bedienungen und Staatsämtern“ grundsätzlich verschlossen; „akademische Lehrämter“ sollten ihnen allerdings bei entsprechender Befähigung offenstehen. Als Gans sich daraufhin um eine Professur an der Berliner Universität bewarb, wurde diese Ausnahmemöglichkeit jedoch durch eine königliche Kabinettsorder (1822) beseitigt, die als „Lex Gans“ in die Rechtsgeschichte eingegangen ist (Nr. 80, S. 131ff.). Erst nachdem Gans zum christlichen Glauben übergetreten war (1825), wurde er zum außerordentlichen (1826) und bald danach zum ordentlichen Professor ernannt (1828). 1832 war er sogar Dekan der juristischen Fakultät. Wesentliche Stationen des Weges, den Gans zurücklegte, um die erstrebte Professur zu erlangen, werden in zahlreichen Briefen und offiziellen Dokumenten anschaulich gemacht. Der ebenfalls aus dem Judentum kommende Sigmund Zimmern war bereits 1821 (nach seiner Konversion) zum ordentlichen Professor der Rechte in Heidelberg und damit zum ersten Rechtsprofessor jüdischer Abstammung an einer deutschen Universität ernannt worden. Gans war mit Zimmern, ebenso wie mit dessen Schwester Regine, befreundet, wie mehrere Briefe bezeugen. Was Gans’ Konversion betrifft, so erscheint ein Brief Heinrich Heines vom Mai 1826 (Nr. 134, S. 203f.) bemerkenswert, aber auch irritierend, in dem er Gans seiner fortdauernden Freundschaft versichert – „quand méme“ (sic), wie er mehrfach betont, das heißt: trotz Gans’ Konversion, und dies, obwohl sich Heine selbst ein knappes Jahr zuvor hatte taufen lassen (vgl. die Erläuterungen des Herausgebers S. XIV).

 

In einem engen Zusammenhang mit den Bemühungen Gans’ um eine Professur steht seine Beziehung zur historischen Rechtsschule und Friedrich Carl von Savigny, der Professor der Rechte an der Berliner Universität (seit deren Gründung 1810) war. Unter dem Einfluss Hegels hatte sich Gans von einem Anhänger der historischen Rechtsschule zu einem entschiedenen Gegner gewandelt. In seinen Schriften, zum Beispiel in den „Scholien zum Gajus“ (1821) und im „Erbrecht in weltgeschichtlicher Entwickelung“ (1824-1835), formulierte er deutliche Kritik. Er lehnte die historische Rechtsschule als reaktionär und im Widerspruch zur Philosophie Hegels stehend ab, und dies temperamentvoll und mit spöttischen Wendungen und Bildern, in denen er seine Geringschätzung deutlich zum Ausdruck brachte (S. XVff.). Nachdem er zum ordentlichen Professor ernannt worden war, versuchte er im Dezember 1828 brieflich eine persönliche Annäherung, die Savigny jedoch zurückwies (Nr. 183 und 184, S. 257ff.). Dieser machte sogar von seinem Recht Gebrauch, sich aus den Arbeiten für die juristische Fakultät zurückzuziehen, um Gans möglichst vollständig aus dem Weg zu gehen. Ein weiterer Versuch Gans’ im Jahre 1831 schlug ebenfalls fehl (Nr. 230 und 231, S. 306ff.). Besonders eindrucksvoll ist die scharf und zugleich souverän formulierte Antwort Savignys, in der dieser es erneut und definitiv ablehnte, mit Gans zusammenzutreffen.

 

Wer sich ein Bild davon verschaffen möchte, in welcher Beziehung Gans zu Hegel, den Brüdern Grimm, Mitgliedern der Familie Mendelssohn, Varnhagen von Ense und seiner Frau Rahel und dem Verleger Cotta stand (um nur einige prominente Namen zu nennen), wird in dem Band ebenfalls, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, fündig. Die genannten Personen sind zum Teil Empfänger oder Verfasser der publizierten Briefe, zum Teil werden sie darin erwähnt. So entsteht insgesamt ein lebendiger Eindruck vom Leben und Wirken Eduard Gans’ und zugleich vom geistigen Leben Berlins in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Die Sammlung kann als Grundlage und als vorläufiger Ersatz für eine noch nicht geschriebene Biographie dieses Juristen dienen. Die Briefsammlung hat den Vorzug, dass sie die Stimme Gans’ und seiner Freunde, Bekannten und Gegner authentisch vernehmbar macht. Dem Herausgeber ist für seine sorgfältige Arbeit zu danken.

 

Heidelberg                                                                                         Hans-Michael Empell