Frenz, Thomas, Abkürzungen. Die Abbreviaturen der Lateinischen Schrift von der Antike bis zur Gegenwart (= Bibliothek des Buchwesens 21). Hiersemann, Stuttgart, 2010. VI, 217 S.. Besprochen von Hiram Kümper.

 

Der Umgang mit Abkürzungen gehört zu den zahlreichen handwerklichen Schwierigkeiten, mit denen gerade (aber beileibe nicht nur) jene zu kämpfen haben, die sich mit Texten der Vormoderne auseinandersetzen – zumal, wenn es lateinische sind. Entsprechend vielfältig sind die bereits vorliegenden Hilfsmittel zur Dechiffrierung solcher Abbreviaturen von Capelli und Santifaller bis Bischoff und Grun; zahlreiche weitere Handbücher zur allgemeinen Paläographie könnten genannt werden. Nun also noch ein neues, das sich aber ganz explizit und in langzeitlicher Perspektive den Abkürzungen zuwendet? Verfasst hat es der Passauer Ordinarius für Historische Grundwissenschaften Thomas Frenz, dessen Internetangebot (http://www.phil.uni-passau.de/histhw) schon seit einigen Jahren eine Fülle einschlägiger Hilfsmittel zu diesem und anderen hilfswissenschaftlichen Problemfeldern bereitstellt. Sie sei auch jeder Nutzerin und jedem Nutzer dieses Handbuches noch einmal wärmstens anempfohlen.

 

Den Handbuchcharakter nimmt der Verfasser sehr ernst: hier liegt nicht einfach nur eine Einführung oder ein Überblick vor – auch die einschlägige Spezialliteratur wird, zum Teil sehr kritisch, diskutiert, auf Überholtes und auf neue Erkenntnisse hingewiesen. Das erhöht den Wert dieses Buches ganz ungemein. Die klare Sprache, durchgängige Übersetzungen aller fremdsprach­lichen Zitate und der saubere Satz tun dazu ein Übrigens. Chronologisch wird der ganze Zeitraum seit Einführung der lateinischen Schrift bis in unsere Gegenwart abgedeckt. Dabei geht es Frenz nicht um ausladende Tabellen, um Suspensionen und Kontraktionen mechanisch auflösen zu können, sondern um das Funktionieren von Abkürzungen und die praktische Arbeit damit. Die wichtigsten Typen werden aber immer mit­geführt; etwa bei den unterschiedlichen Abkürzungssystemen der gotischen Schrift (S. 82-117) und deren Übernahme in den Buchdruck (S. 118-121). Auch die Sonderfälle von Tironischen Noten bis zu Nomina Sacra werden ausführlich behandelt. Sparsam kommentierte Literaturlisten weisen auf das jeweils adäquate Hilfsmittel, wenn dann doch einmal ein Nachschlagewerk benötigt wird.

 

Sicherlich im strengeren Sinne für ein Handbuch entbehrlich, aber für die kulturhistorische Einbettung des Phänomens durchaus erhellend ist dabei ein Kapitel wie „Abkürzungs­missbrauch, Fehler und Umdeutung in Sprache und Schrift“ (S. 178-182) – wobei auch fraglich ist, inwiefern die seit dem 20. Jahrhundert häufigeren Komposita aus littera singularis und ausgeschriebenem Wort (U-Bahn, O-Ton etc.) oder die sog. Emoticons als jüngste Entwicklung der Abkürzung, vor allem im SMS-Verkehr, tatsächlich unter diese Überschrift gehören. Der Rechtshistoriker schließlich findet bei Frenz ein eigenes Kapitel zu den spätantiken Notae juris (S. 28-35), auch sonst werden gerade juristische Abkürzungen immer einmal wieder ange­sprochen.

 

Dieses Buch ist durchaus mehr als ein (weiteres) Supplement zur paläographischen Handbibliothek. Der große Gewinn gegenüber bisherigen Arbeiten: wer dieses Buch durcharbeitet, kann Abkürzungen nicht nur auflösen, sondern auch verstehen.

 

Bielefeld                                                                                             Hiram Kümper