Fontana, Josef, Unbehagen. Band 2, Südtirol unter der Zivilverwaltung 1. August 1919-28. Oktober 1922. 2 Halbbände. Wagner, Innsbruck 2010. 1-348, 349-768 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Bereits im Londoner Geheimabkommen vom 26. April 1915 wurde dem 1861 entstandenen Königreich Italien als Lohn für die Unterstützung der Alliierten des ersten Weltkriegs die Brennergrenze und damit das Gebiet Südtirols zugesagt, in dem 1918 93 Prozent der Bewohner deutschsprachig, 4 Prozent ladinischsprachig und drei Prozent italienischsprachig waren und das Italien nach der Übernahme seit 1922 intensiv italienisierte. Josef Fontana wurde in Neumarkt in Südtirol 1937 geboren, besuchte dort die Volksschule, erlernte das Malerhandwerk, wurde 1961 auf Grund seiner Beteiligung an der Feuernacht verhaftet und 1964 zu einer langen Haftstrafe verurteilt, während der er sich auf die 1970 in Salzburg abgelegte Reifeprüfung vorbereitete. Nach seinem Studium der Germanistik, Geschichte und Tirol in Innsbruck veröffentlichte er zahlreiche Arbeiten zur neueren Geschichte Tirols.

 

Südtirol unterstand nach dem Ende des ersten Weltkriegs zunächst der italienischen Militärverwaltung, womit sich der erste, 2009 erschienene Band des insgesamt größeren, mit dem in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts aufgekommenen Begriff Unbehagen (der Italiener nach dem Autonomiestatut und der Südtiroler nach der Trennung von Österreich) bezeichneten Werkes befasst. Noch vor der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Saint Germain-en-Laye zwischen den alliierten Mächten und Österreich am 10.  September 1919 wurde die Militärverwaltung im Sommer 1919 durch eine Zivilverwaltung unter dem auch für das Trentino zuständigen Generalzivilkommissar Luigi Credaro abgelöst, der bis zur faschistischen Machtübernahme im Oktober 1922 amtierte. Dementsprechend behandelt der von dem ausgezeichneten Sachkenner auf der Grundlage zahlreicher Artikel und Leserbriefe in der Tiroler und Trentiner Presse geschaffene Band die insgesamt 27 Monate währende Zwischenzeit.

 

Gegliedert ist das Werk, das vor allem erfassen will, was die Südtiroler im Alltag im Rahmen höherer politischer Gegebenheiten erlebten, wenn ihnen beispielsweise am Bahnhof das Schalterfenster zugeschlagen wurde, weil sie einen Wunsch nach einer Fahrkarte deutsch vorgebracht oder einen alten deutschen Ortsnamen als Ziel angegeben hatten, in 25 Abschnitte. Sie betreffen die Fata Morgana der Südtirol-Autonomie, die politische Vertretung Südtirols, Bevölkerungsstatistik und Staatsangehörigkeit, die Lage der Gemeinden, südtirolfeindliche Propaganda, Kirche und Staat, Repressionsmethoden, Akte der Gewalt, Traditionsfeiern im Korsett, Kampf gegen Symbole, nationale Feiern und Machtdemonstrationen, politische Exkursionen und Pilgerfahrten, Grenzprobleme, Militärlasten, Politik mit Namen, Einsprachigkeit - Zweisprachigkeit - Einsprachigkeit, Schulpolitik, Deutsche außerhalb Südtirols, Kulturleben in der Defensive, Neuorientierung der Wirtschaft, den öffentlichen Dienst, , finanzielle Einbußen und Verluste, Zugriffe auf das Eigentum, soziale Anliegen und schließlich den Faschismus im Anmarsch mit dem Marsch auf Bozen am 1. Oktober 1922. Ausführliche Register schließen die bedrückende, wertvolle Dokumentation des Umgangs von Siegern mit Besiegten im europäischen Abendland des frühen 20. Jahrhunderts mit ihren vielfältigen Facetten hilfreich auf.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler