Festschrift 200 Jahre Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. Geschichte, Gegenwart und Zukunft, hg. v. Grundmann, Stefan/Kloepfer, Michael/Paulus, Christoph G./Schröder, Rainer/Werle, Gerhard. De Gruyter, Berlin 2010. XX, 1422 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Die zum 200jährigen Bestehen der juristischen Fakultät der Humboldt-Universität erschienenen Festschrift beginnt mit einer Überblicksdarstellung Rainer Schröders über die Fakultätsgeschichte zwischen 1810 und 1945 (S. 3-113). Die Gliederung des Beitrags folgt der Chronologie, die ergänzt und unterbrochen wird durch Tabellen und Statistiken (u. a. Zahl der Promotionen an den juristischen Fakultäten Preußens zwischen 1887 bis 1892, Liste der Habilitationen, Spruchsachen von 1811-1892, Fakultätszusammensetzung, Dissertationen nach 1918 zum Arbeitsrecht sowie unter Heymann und Höhn). Schwerpunkte des Beitrags bilden u. a. die Promotions- und Habilitationsvoraussetzungen, Lehre und Examen, Verbindung der Berliner Professoren mit der Politik, Entstehung neuer Rechtsgebiete und Herausstellung wichtiger Rechtslehrer wie Savigny, Beseler, Gneist, Heymann und Hedemann. Kurze Überblicksaufsätze bringen Walter Pauly über das öffentliche Recht an der Berliner Fakultät 1933-1945 (S. 773ff.), Rosemarie Will über die Fakultät während der DDR (S. 797ff.), deren Geschichte vor allem eine Geschichte des Verhältnisses zur SED sei (S. 799), und Hans Meyer über die Anfänge der Fakultät von 1990-1993 („Erinnerungen nach Aktenlage“, S. 849ff.), die vier der DDR-Professoren auf Dauer übernahm.

 

Die Hauptmasse des ersten Teils der Festschrift: „Geschichte der Fakultät“ bilden 29 wissenschaftliche Biographien von Berliner Professoren der Fakultät (geordnet nach ihren Ernennungsdaten, vgl. Inhaltverzeichnis IXff.), die vornehmlich von auswärtigen Hochschullehrern stammen. Jens Petersen stellt die rechts- und staatsphilosophischen Ideen Wilhelm von Humboldts heraus, die sich aus dessen 1792 entstandener, aber erst 1851 veröffentlichten Schrift: „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen“ ergeben (S. 115-132). Joachim Rückerts Beitrag über Friedrich Carl von Savigny (S. 133-177), der 51 Jahre in Berlin lebte, enthält neben einer chronologischen „Faktentabelle“, die auf die Lebensstationen und Werke Savignys eingeht, insbesondere Abschnitte darüber, was Savigny nach Berlin mitbrachte, was er dort 1810 vorfand und wie sich sein Leben als Professor mit vielen Ämtern sowie als Minister, Staatsrat und Sondergutachter in Berlin gestaltete sowie wie „unsere Bilder“ über Savigny heute aussehen. Der Beitrag macht schmerzlich bewusst, dass noch immer eine umfassende Biographie Savignys mit einer Gesamtanalyse seines Werkes fehlt. Wilfried Küper hebt in seinem Beitrag über August Wilhelm Heffter (S. 179-204) vor allem dessen biographisch-historische Besonderheiten (u. a. als Parlamentarier, als Mitarbeiter der Gesetzrevision und als Förderer des „deutschen Schwurgerichts“) sowie sein monographisches Werk hervor. Jens Kersten kennzeichnet Friedrich Julius Stahl (S. 205-228) als „politischen Professor“, der als Konservativer ganz bewusst eine Vermittlerposition gesucht habe, und tritt Einordnungen entgegen, die das historische Verständnis Stahls bis heute verstellen. In Hans-Peter Haferkamps Beitrag über Georg Friedrich Puchta (S. 229-240) steht die Rechtsquellenlehre im Mittelpunkt. Christoph Schönberger arbeitet die Vorbildfunktion Englands für Gneist und dessen Leitidee der ehrenamtlichen Selbstverwaltung heraus (S. 241-260), die allerdings auf einem fragwürdigen Englandbild beruht. Der Beitrag Florian Jeßbergers über Albert Berner (S. 261-276) gilt dem Strafrechtstheoretiker, Kommunalpolitiker und Strafrechtslehrer Berner. J. Michael Rainer stellt in seinem Beitrag über Theodor Mommsen (S. 277-304) vor allem heraus, dass dieser sich „zeitlebens als Jurist“ gefühlt habe und dass seine Hauptwerke „im vollen Ausmaße der historischen Schule des römischen Rechts zuzurechnen sind“ (S. 294).

In dem kritisch gehaltenen Beitrag Johannes Liebrechts über Heinrich Brunner (S. 305-326) hätte man gerne noch mehr über die internationale Ausstrahlungskraft dieses Germanisten gelesen. Im Beitrag Karsten Schmidts über Levin Goldschmidt (seit 1875 in Berlin) steht die Berliner Zeit im Vordergrund (S. 327-342). In seinem Beitrag über Otto von Gierke geht es Jan Thiessen darum, einen wissenschaftsgeschichtlichen (und einen privaten) Blick auf eine zentrale Figur der deutschen Rechtswissenschaft zu gewinnen (S. 345), und zwar vornehmlich anhand der zahlreichen erhalten gebliebenen, bisher noch nicht geschlossen ausgewerteten Briefe Gierkes. Zur Sprache kommen insbesondere Selbstzeugnisse zur rechtshistorischen und juristischen Methode sowie zu seinem „Genossenschaftsrecht“ und dem „Deutschen Privatrecht“. Im Anhang gibt Thiessen einen Brief Gierkes an Paul Krüger vom 14. 12. 1887 über die damals verfügbaren Germanisten wieder. Bernhard Großfeld bringt in seinem Beitrag über Josef Kohler (S. 375-404) einen Überblick über auch heute noch wichtige Teile seines Werks (Rechtsethnologie, Fragebogen zum Kolonialrecht, Shakespearebewertung). Michael Hettinger hebt bei Wilhelm Kahl vor allem dessen Mitwirkung an der Strafrechtsreform der späten Kaiserzeit und der Weimarer Zeit hervor (S. 405-438). Francisco Muñoz Conde (Universität Sevilla) behandelt vor allem die Beiträge Franz von Liszts als Kriminalpolitiker, dessen Eintreten für die „Unschädlichmachung“ der sog. Unverbesserlichen (spezialpräventive Sicherungsstrafe, S. 443ff.), das im Hinblick auf die NS-Zeit „ein dunkles, bitteres Erbe der Lehren Franz von Liszts“ sei, „von dem er sich wohl niemals hätte träumen lassen“ (S. 453). Werner Heun würdigt insbesondere die Hauptwerke von Gerhard Anschütz (S. 455-476), dessen staatsrechtliche Grundpositionen und deren Verteidigung (in diesem Zusammenhang vor allem die Grundrechtskonzeption). Bei dem Beitrag Martin Hegers über James Goldschmidt (S. 477-498) geht es vor allem um dessen strafrechtliches und zivilprozessuales Werk. Bei Heinrich Triepel (S. 497-522) fragt Christian Tomuschat nach dessen politischer Einstellung und den Leitgedanken seines wissenschaftlichen Werks (u. a. bedingungslose Verteidigung insbesondere eines Rechtsstaats). In seinem Beitrag über Eduard Kohlrausch (S. 423-544) stellt Thomas Vormbaum fest, dass dieser „repräsentativ für das Verhalten der Strafrechtswissenschaft in der Zeit der NS-Herrschaft gewesen sein“ dürfte (S. 543), wobei sich die Frage stelle, wie Kohlrausch zu der „’Radikalisierung’ einer vorhandenen strafrechtlichen Tendenz durch den Nationalsozialismus“ (Materialisierung, Funktionalisierung, Ethisierung und Subjektivierung, S. 533) stand. Klaus J. Hopt kennzeichnet Arthur Nußbaum mit Recht als einen „der ganz großen deutschen, amerikanischen und internationalen Rechtsgelehrten mit einem methodisch innovativen Ansatz“ (S. 560). Der Beitrag Hopts konzentriert sich auf Nußbaum als Handels-, Bank-, Börsen- und Aktienrechtler. Bahnbrechend war insbesondere sein Kommentar zum Börsengesetz (1. Aufl. 1910). Nicht detailliert behandelt hat Hopt Nußbaums auch heute noch lesenswertes Werk das deutsche Hypothekenwesen (1913) und Nußbaums Werk über die Rechtstatsachenforschung (1914). Im Beitrag Gerhard Dannemanns über Martin Wolff (S. 561-582) kommen dessen Lehrerfolge und Lehrbücher nicht zu kurz. Bei Rudolf Smend geht Stefan Korioth insbesondere auf dessen Integrationslehre und die Smend-Rezeption nach 1945 ein (S. 583-604). Ole Lando (Kopenhagen) würdigt in erster Linie Ernst Rabels „Recht des Warenkaufs“ von 1936 (S. 605-626). Max Rheinstein (ab 1933 in den USA) hat sich, so Ulrich Drobnig, in den USA auf dem Gebiet des Conflict of Laws eine große Reputation erworben, die in Europa weniger bekannt sei (S. 634). Hermann Heller setzte sich als Gegenspieler von Carl Schmitt und Hans Kelsen für den materiellen, sozialen Rechtsstaat ein (Claudio Franzius, S. 643ff., 650ff.). Unvergessen ist Max Alsberg als Strafverteidiger, Wissenschaftler, Hochschullehrer und juristischer Essayist (S. 655ff., Alexander Ignor), dessen wissenschaftliches Werk bis heute noch keine umfassende Darstellung gefunden hat. Auch über Fritz Schulz fehlt bisher eine monographische Darstellung. Der Beitrag Martin Josef Schermaiers befasst sich mit dem Werdegang von Schulz und dem 1934 erschienenen Werk: „Prinzipien des römischen Rechts – Vorlesungen“ (1934), in dem Schulz in der Sache „ohne Konzessionen“ gegenüber dem Nationalsozialismus geblieben sei (zur „manchmal auffallend angepassten Terminologie“ S. 697). Archivalische Materialien wertet Christoph Müller für seinen Beitrag über Hugo Preuß aus (S. 701-732), der 1892 als Berliner Stadtverordneter mit dem preußischen Kultusminister Bosse in Konflikt geriet und dem vom Kultusministerium dreimal die Ernennung zum ao. Professor verwehrt wurde (1896, 1902/03 und 1910). Volker Neumann geht in seinem Beitrag über Carl Schmitt (S. 733-754) nach einem leider nur knappen Überblick über Schmitts Rezeption im Ausland vornehmlich auf seine Werke aus der späten Kaiserzeit und der Weimarer Zeit unter dem Stichwort Dezisionismus in Auseinandersetzung mit dem Werk Kelsens näher ein. Der letzte biographische Beitrag gilt Hans Peters (Klaus Joachim Grigoleit, S. 755ff.), dessen Bedeutung als Verwaltungsrechtler, Verteidiger der Weimarer Republik und als maßgebender Mitgestalter des Kreisauer Kreises herausgestellt wird.

 

Mit dem zweiten Teil der Festschrift richtet die Fakultät den Blick „aus der Gegenwart in die Zukunft“ (S. XII, S. 873-1422) im Bereich der Grundlagen, des Zivilrechts, des Strafrechts und des öffentlichen Rechts in insgesamt 25 Beiträgen. Von rechtshistorischem Interesse sind die Beiträge von Thomas Raiser über die Geschichte des rechtssoziologischen Denkens an der Berliner Fakultät, von Reinhard Singer über das Sozialmodell des BGB im Wandel, von Christoph G. Paulus über Joseph Kohlers Bedeutung für das internationale Insolvenzrecht, von Artur-Axel Wandtke über Kohlers Bedeutung für das Immaterialgüter- und Urheberpersönlichkeitsrecht und schließlich von Klaus Marxen in seinem „Plädoyer für eine zeithistorische Rechtsschule im Strafrecht“.

 

Die Festschrift macht insgesamt mit ihrer Zweiteilung einen sehr geschlossenen Eindruck. Es spricht für sie, dass man sich in ihr leicht festliest und insbesondere aus den Biographien über die Berliner Hochschullehrer, über die meist schon umfangreichere biographische Würdigungen vorliegen, zahlreiche neue Details erfahren kann. Vielleicht hätte im Ganzen noch stärker auf die internationale Verbindung der Berliner Hochschullehrer insbesondere in der Kaiserzeit eingegangen werden können (vgl. für Gierke Thiessen, S. 348f., 355).

 

Kiel

Werner Schubert