Eike von Repgow, Sachsenspiegel. Die Heidelberger Bilderhandschrift Cod. Pal. Germ. 164. Vollständige Faksimile-Ausgabe im Originalformat der Handschrift aus der Universitätsbibliothek Heidelberg. Kommentarband, hg. v. Kocher, Gernot/Munzel-Everling, Dietlinde (= Codices selecti Facsimile Vol. CXV, Commentarium Vol. CXV*). Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 2010. 212 S. Besprochen von Hiram Kümper.

 

Über die Bedeutung des Sachsenspiegels Eikes von Repgow und seiner vier berühmten Bilderhandschriften braucht in dieser Zeitschrift wohl kein einleitendes Wort verloren werden. Der Heidelberger Codex picturatus, der nun in einer neuen, dreibändigen Faksimileausgabe vorgelegt worden ist, ist die älteste dieser vier Bilderhandschriften; er stammt wohl noch aus dem späten 13. oder ganz frühen 14. Jahrhundert. Zugleich ist der Erhaltungszustand verglichen mit den anderen drei Bilderhandschriften der am meisten fragmentierte: lediglich dreißig Blatt haben sich, freilich in insgesamt vergleichsweise gutem Zustand, erhalten. Anzuzeigen sind Text- und Kommentarband dieser neuen Ausgabe; das Faksimile selbst lag nicht vor und kann daher nicht besprochen werden.

 

Zunächst darf gefragt werden: warum eigentlich eine neue Faksimileausgabe? Bereits seit 1970 liegt eine vor, die 1989 noch einmal neu eingeleitet nachgedruckt wurde. Dem Interessierten steht ferner das gut kommentierte Insel-Bändchen „Der Sachenspiegel in Bildern“ Walter Koschorrecks mit einer Auswahl von Reproduktionen, seit einiger Zeit ein kostenfreies Volldigitalisat im Internet und schließlich seit kurzem auch eine Ausgabe auf CD-ROM zur Verfügung. Man könnte also meinen, die Handschrift ist hinreichend zugänglich gemacht. Über den Faksimileband selbst vermag der Rezensent keine Aussagen zu treffen. Das alte Faksimile von 1970/89 freilich würde heutigen Anforderungen an eine solche Ausgabe nicht mehr in jeder Hinsicht entsprechen; insofern steht zu hoffen und wohl auch zu erwarten, dass diese Anforderungen (z. B. an die Nachbildung des Zustandes der einzelnen Blätter) von der Neuausgabe besser erfüllt werden. Zugleich wird man aber auch den weiteren Kontext dieses Editionsunternehmens in Betracht ziehen müssen: es steht nämlich im Kreise einer größeren Anstrengung der (zum Teil Neu-)Faksimilierung der Codices picturati, die mit der erstmaligen Herausgabe des Wolfenbütteler Codex 1993 begann und mit dem Erscheinen dieser Ausgabe insofern abgeschlossen ist, als nun alle vier Bilderhandschriften in modernen und gut kommentierten Faksmilieausgaben zugänglich sind.

 

Der Textband ist ein solides Stück Sachsenspiegelforschung. Karin Zimmermann von der Universitätsbibliothek Heidelberg kommt darin der handschriften­geschichtliche Beitrag zu; für den Textband hat sie darüber hinaus die kodikologische Einführung übernommen. Es finden sich Beiträge zu Datierung und Einordnung der Handschrift in größere Überlieferungs­zusammenhänge von ausgewiesenen Kennern der Materie, wie etwa Ulrich-Dieter Oppitz, Dietlinde Munzel-Everling oder Gernot Kocher. Die beiden letztgenannten, die zugleich als Herausgeber der Ausgabe fungieren, sind gleich mit einer ganzen Reihe von soliden Beiträgen vertreten, die vor allem rechtsikonographisch einige neue Erkenntnisse beizubringen haben. Daneben finden sich interessante neuere Betrachtungen zur Sprache (Eva-Maria Lill) und zur kunsthistorischen Einordnung des Heidelberger Codex picturatus (Margit Krenn). Karl-Friedrich Krieger bespricht das schon immer eher in zweiter Reihe behandelte Lehnrecht des Sachsenspiegels, Wolfgang Schild Fragen des Strafverfahrens. Obschon sich die Entstehung dieser Ausgabe naturgemäß über einen längeren Zeitraum hingezogen hat, bewegen sich dennoch fast alle Beiträge, selbst jene, die eher traditionelle, sattsam bearbeitete Themen aufgreifen (der Sache nach: auch müssen), auf sehr aktuellem Literaturstand; wobei diese aktuelle Literatur nicht nur, wie andernorts häufig üblich, lediglich bibliographisch angehängt, sondern durchaus auch kritisch besprochen wird. Das ist den Beiträgerinnen und Beiträgern ebenso wie den beiden Herausgebern nachdrücklich zu danken.

 

Der Textband enthält eine vollständige diplomatische Transkription samt einer neuen Übertragung in modernes Deutsch, ferner einen durchlaufenden Bildkommentar sowie ein sehr sorgfältiges, jeweils der Textseite beigefügtes Glossar von Fachtermini. Gerade letzteres dürfte den Text besonders für Nicht-Fachleute um einiges zugänglicher machen, weil die Erklärungen bewusst sehr niedrigschwellig ansetzen. Diese vorbildliche Aufarbeitung lässt eigentlich nur einen kleinen Wunsch offen: Querverweise innerhalb des Textes hätten geholfen, die einzelnen, zum Teil ja sehr verstreuten Materien gezielt zu erfassen. Auch ein Register, das diese Aufgabe hätte übernehmen können, fehlt. Andererseits liegen für einen solchen Zweck bereits eine größere Zahl an Textausgaben und Übertragungen, letztlich auch in der in mancher Hinsicht immer noch aktuellen, klassischen Ausgabe Carl Gustav Homeyers (Des Sachsenspiegels erster Theil oder das Sächsische Landrecht, 3. überarb. Aufl., Berlin 1861) vor, sodass dieser Mangel sich leicht verschmerzen lässt.

 

Bielefeld                                                                                             Hiram Kümper