Die finanz- und steuerverfassungsrechtlichen Vorschriften der Paulskirchenverfassung. Eine Quellenausgabe, hg. v. Kempny, Simon (= Wissenschaftliche Schriften der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Reihe III, Band 2). Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat OHG, Münster 2010. 106 S. Besprochen von Marc von Knorring.
Eine moderne wissenschaftliche Edition der Paulskirchenverfassung liegt bislang nicht vor. Anliegen des Bearbeiters der zu besprechenden „Quellenausgabe“ ist es, hier zumindest für den Teilbereich der finanz- und steuerrechtlichen Vorschriften Abhilfe zu schaffen und dabei erstmals Ordnung in die teils verwirrende Vielfalt von Entwurfsfassungen zu bringen, was zweifellos Sinn macht und aus der Sicht einschlägig arbeitender (Rechts-) Historiker nur zu begrüßen ist. Die Rekonstruktion der Genese der einzelnen Bestimmungen darf dann auch als gelungen bezeichnet werden - problematisch ist allerdings die Form der Wiedergabe. Unverständlich bleibt zunächst, warum die Gliederung stur der Paragraphenzählung folgt, wo doch eine Gruppierung nach sachlichen Gesichtspunkten - wie sie die Einleitung auch in einem zusammenfassenden Überblick bietet - weit sinnvoller gewesen wäre. Je Paragraph werden dabei zunächst dessen endgültige Fassung, dann die einschlägigen Entwürfe (soweit in den Ausschüssen mit Mehrheit angenommen) wiedergegeben, beginnend mit dem ältesten, so dass am Ende eines jeden Abschnitts der Entwurf letzter Lesung, also die unmittelbare Vorstufe des endgültigen Wortlauts steht - ein umständliches und wenig übersichtliches Verfahren. Hier hätte der Herausgeber gut daran getan, die Abweichungen in den Vorstufen z. B. in einem Variantenapparat zu bündeln, anstatt die überlieferten Entwurfsfassungen auch bei nur minimalen Abweichungen und selbst bei völliger Übereinstimmung im Wortlaut nacheinander abzudrucken - zum Teil über mehrere Seiten hinweg -, was die Benutzung und damit den Erkenntnisgewinn im Vergleich deutlich erschwert. Immerhin wird im Fall der wörtlichen Übereinstimmung von Vorstufen unterschiedlicher Paragraphen der zugehörige Text nur einmal wiedergegeben und bei allen folgenden Gelegenheiten darauf rückverwiesen, was die Menge an Redundanzen etwas schmälert. Angemerkt werden im Übrigen vereinzelte Korrekturen, Ergänzungen usw. in der jeweiligen Textvorlage.
Als Vorlage für den Abdruck der endgültigen Fassung eines jeden Paragraphen diente die jeweilige Formulierung im „Reichsgesetzblatt“ vom 28. April 1849, deren Vergleich mit dem Wortlaut der Berliner und der Kasseler Urschrift der Verfassung aufgrund des Vorliegens einer modernen Edition „leicht möglich“ (19) sei - also offenbar nicht durchgeführt wurde. Als Vorlage für die Wiedergabe der Entwurfsfassungen, so die Einleitung weiter, dienten archivalische Quellen aus dem Bundesarchiv und dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (etwa aus dem Nachlass Droysen), Versionen in zeitgenössischen Druckausgaben (z. B. dem „Stenographischen Bericht“ von 1848/50) und Bearbeitungen in Editionen jüngeren Datums (etwa der „Protokolle des Volkswirtschaftlichen Ausschusses“ von 1992). Erläuterungen zu Umfang und Qualität der Vorarbeiten, zur Beschaffenheit der Quellen, ja zur Überlieferungslage generell wären hier dringend geboten gewesen, doch erfährt der Leser nicht mehr, als „daß die Quellenauswahl jeweils angegeben und damit nachvollziehbar ist“ (20) - begründet wird sie in keinem Fall. Selbst welche gedruckten und ungedruckten Quellen sowie Editionen überhaupt verwendet wurden, teilen lediglich das Abkürzungs- und das „Quellen- und Schrifttumsverzeichnis“ mit, und in welchem Ausmaß, muss der Leser sich gegebenenfalls selbst aus dem Anmerkungsapparat erarbeiten. Die einleitenden Bemerkungen zur Editionssituation beschränken sich jedenfalls auf eine Kritik der (Gesamt-) Ausgaben Bergsträssers von 1913 und Schollers von 1973, deren Textwiedergaben allerdings aus guten Gründen nicht als Vorlagen für die Edition herangezogen wurden.
Die Qualität der Einleitung ist auch ansonsten durchwachsen: Hilfreich sind ein knapper Überblick über den Gang der Verfassungsberatungen sowie ein Diagramm, das die Zusammenhänge zwischen Kommissions- bzw. Ausschusstätigkeit und der Abstimmung im Plenum veranschaulicht. Entbehrlich erscheinen dagegen die vergleichsweise breiten Ausführungen zur Wahl der Abkürzungen für die Zitation der Entwurfsfassungen und zur divergierenden Rechtschreibung der Vorlagen, in die sinnvoller Weise nicht eingegriffen wurde. Nur erwähnt, nicht kommentiert sei an dieser Stelle, dass das gesamte Buch, also nicht nur der editorische Teil, in Fraktur gedruckt ist: „Sämtliche Quellen sind in deutscher Schrift geschrieben beziehungsweise gesetzt. Dem wird Rechnung getragen“ (19). Bedauerlich ist schließlich, dass ohne Angabe von Gründen auf einen Sachkommentar verzichtet wurde: Allein Begriffe wie „Seeuferstaaten“ und „Schifffahrtsanstalten“ (30), „Matrikularbeiträge“ (65), „Concessionen“ (90) und „Wüsteneien“ (98) wären sicherlich eine kurze Erläuterung wert gewesen.
Alles in allem ist der Nutzen der vorliegenden Neuherausgabe der finanz- und steuerrechtlichen Bestimmungen der Paulskirchenverfassung durchaus nicht gering anzusetzen. Er wird jedoch durch auffällige konzeptionelle und handwerkliche Mängel geschmälert - „eine heutigen (editions-) wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Ausgabe“ (12) müsste anders aussehen.
Passau Marc von Knorring