Die Urkunden der lateinischen Könige von Jerusalem, hg. v. Mayer, Hans Eberhard. Altfranzösische Texte erstellt von Richard, Jean, 4 Bände (= MGH Diplomata regum Latinorum Hierosolymitanorum). Hahnsche Buchhandlung, Hannover 2010. X, 499, 501-1014, 1015-1516, 1517-1812 S., 12 Taf. Besprochen von Christof Paulus.

 

Die vorliegende vierbändige Edition ist die erste Gesamtausgabe der Urkunden der lateinischen Könige von Jerusalem und steht am Ende intensiver Forschungen seit dem Jahre 1964. Sie tritt damit an die Stelle der bisher gebräuchlichen Röhricht-Regesten von 1904, die ohnedies nur einen unvollständigen Ersatz zu einer kritischen Edition boten. Insgesamt berücksichtigt die 870 Nummern starke Ausgabe 29 Aussteller und einen Zeitraum von knapp 200 Jahren (1099–1291). Die Anordnung erfolgt chronologisch – beginnend bei Herzog Gottfried von Bouillon und endend mit König Heinrich II. von Jerusalem und Zypern – und integriert, entgegen den Monumenta-Gepflogenheiten, Deperdita, Spuria und Konsense in die jeweiligen königlichen Aussteller- bzw. Ausstellerinnenblöcke.

 

Eine Klageinstruktion Heinrichs II. gegen die Templer (D. 749), zu datieren auf das Jahrfünft zwischen 1286 und 1291, deren Pariser Originalrotulus verloren ist, beschließt die Reihe der Könige. Es folgen die nicht sicher zu datierenden Königsurkunden sowie ab D. 763 die Urkunden der Regenten des Königreichs Jerusalem wie etwa Graf Raimund III. von Tripolis oder Johann I. von Ibelin. Die Appendix I enthält die Krönungseide, die Anhänge II und III sammeln moderne Fälschungen sowie die königsgleichen urkundlichen Interventionen der europäischen Herrscher, darunter etwa die Belehnung der Genueser Konsuln und der Kommune mit Rechten und Besitzungen in citramarinis vel ultramarinis partibus durch Barbarossa aus dem Jahr 1162 (App. III/2).

 

Nicht aufgenommen in die Sammlung wurden königliche Briefe ohne rechtssetzenden Charakter, Gesetze, die Verträge mit islamischen Mächten oder Aufgebote. Die Mehrzahl der Diplomata betrifft „in klassischer Weise“ Schenkungen, Bestätigungen, Vergleiche oder Hofgerichtsurteile, doch finden sich seltene, zumal für die Rechtsgeschichte interessante Fälle wie Informationen zum Baurecht und Gerichtswesen (DD. 363, etwa 570), eine Befreiung von Rechenschaftsauslegung über Testamentsvollstreckung (D. 474), Eheverträge bzw. Ehebedingungen (DD. 645, 775) oder der Vertrag mit den Ritterorden aus dem Jahre 1258 (D. 807). Hauptempfänger der vom König zumeist in seiner Krondomäne ausgestellten Urkunden sind der Johanniterorden und der Deutsche Orden, die Jerusalemer Grabeskirche, das Marienkloster im Tal Josaphat oder die italienischen Handelsstädte Pisa, Genua und Venedig.

 

Nur 94 der 266 Volltexte sind im Original erhalten, einer davon (D. 268) über eine Berliner Photographie. Hier zeigt sich die vom Bearbeiter mehrfach beklagte „Trostlosigkeit der trümmerhaften Überlieferung“. Doch ergeben sich für die Herrschaftsgeschichte wichtige Befunde. So brach ab etwa 1225 auch die volkstümliche Überlieferung in die Dominanz des Lateinischen. Das Diplom der lateinischen Könige von Jerusalem erwuchs, so Hans Eberhard Mayer, vor allem aus der lothringischen Herzogsurkunde, wenngleich eine Typologie der Urkundenformen grundsätzlich schwierig ist. Eine Königskanzlei ist seit 1115 festzustellen, wobei die Mehrzahl der Kanzler, deren berühmtester wohl Wilhelm von Tyrus ist, aus Frankreich stammte. Um 1125 ist ein Entwicklungseinschnitt festzumachen, setzte doch nun „das Zeitalter wirklicher Königsurkunden ein“ (S. 34).

 

Mayer liefert in seiner eingehenden diplomatischen Einführung Listen der Kanzler, (Hilfs-)Notare, Diktatoren und Schreiber, diskutiert das so genannte gespaltene Datum, gibt Überblicke zu den nur selten erhaltenen Siegeln, zur Jahreszählung oder zum Ingrossat. Auf die starke Variierung der Urkundengrößen – Balduins II. D. 116 aus dem Jahre 1130 für das Marienkloster hat bei hochgeschlagener Plica die Maße 43x74 cm, D. 639 für den Deutschen Orden aus dem Jahre 1220 die Größe 21 x 26 cm – geht der Herausgeber, aufbauend auf jahrzehntelanger in die Kommentierung eingeflossener Forschung, ebenso ein wie auf die testes-Reihungen und die hochkomplexe Überlieferungsgeschichte. Insgesamt hat Mayer der stattlichen Anzahl der Deperdita zehn bisher unbekannte hinzufügen können. D. 708a (Ernennung Markgraf Bertholds IV. von Hohenburg zum Großseneschall des Königreichs Jerusalem durch Konrad IV. 1252/1254) ist ein Ineditum.

 

Mayers summum opus stellt die ohnedies äußerst rege Forschung zu den Kreuzfahrerstaaten auf eine neue, modernen Editionsleitsätzen folgende Grundlage. Zahlreich und in einer Besprechung kaum angemessen aufzuzeigen sind die Anknüpfungspunkte, die sich aus der Sammlung ergeben, von wirtschaftlichen Aspekten wie der Bitumen- und Salzgewinnung am Toten Meer (D. 138), dem Ägyptenhandel (etwa D. 268), dem Marktwesen (D. 423), dem Weinanbau bzw. den Weinabgaben (etwa DD. 349, 393) hin zur Zuckerverarbeitung (D. 474), dem Krönungszeremoniell (etwa D. 40), dem Pilgerwesen (etwa DD. 108, 477, 519, 521f.), den Beduinen im Königreich Jerusalem (D. 405), zum Falkenwesen (D. 734a) oder zu den Öffnungszeiten der Tore von Akkon (D. 799). Vielfältig sind die Hinweise zur Infrastruktur oder zur Geschichte der Ritterorden.

 

In seinem „Liber ad milites Templi de laude novae militiae“ charakterisierte Bernhard von Clairvaux das Heilige Land als Sammelbecken gottloser Verbrecher (sceleratos et impios, raptores et sacrilegos, homicidas, periuros atque adulteros). War diese Einschätzung des wortmächtigen Zisterziensers schon zuvor aus vielerlei Gründen mehr als fragwürdig, so vermag es diese grandiose Edition, deren Schätze durch einen eigenen Registerband zuverlässig zu erschließen sind, ein schillerndes Panorama des Königreichs Jerusalem auszubreiten. Für Friedrich II. sind die einschlägigen Urkunden nun hier zusammengetragen, bereits vor dem Erscheinen des Bandes der Urkunden der deutschen Könige und Kaiser (bisher bis 1220). Insgesamt ohne Zweifel eine der großen Forscherleistungen der letzten Jahre.

 

Seehausen am Staffelsee                                                         Christof Paulus