Die Protokolle des österreichischen Ministerrates 1848-1867. 2. Abteilung Das Ministerium Schwarzenberg. Bd. 4 14. Oktober 1850 - 30. Mai 1851, bearb. und eingeleitet v. Kletečka, Thomas unter Mitarbeit v. Schmied-Kowarzik, Anatol. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2011. LVII, 576 S. Besprochen von Thomas Olechowski.

 

Fünf Jahre nach Erscheinen von Band II/3 (vgl. meine Rezension in ZRG GA 125 [2008] 814–817) erfahren die Protokollbände zur Geschichte des Ministeriums Schwarzenbergs eine Fortsetzung um die Protokolle der zwischen dem 14. Oktober 1850 und dem 30. Mai 1851 abgehaltenen Sitzungen. Zentrales innenpolitisches Thema ist der Reichsrat, worunter damals noch kein Parlament, sondern ein Beratungsgremium nach Art des (Älteren) Staatsrates (1760–1848), zu verstehen ist. Am 19. Oktober 1850 erhält der bereits 70-jährige Karl Friedrich Freiherr Kübeck von Kübau vom Kaiser den Auftrag, einen Entwurf zu unterbreiten, wie die in § 96 der oktroyierten Reichsverfassung 1849 verankerte Institution ins Leben gerufen werden könne. Formaljuristisch gesehen, ist dies ein weiterer Schritt zur Durchführung der bislang nur rudimentär ausgeführten Verfassung; politisch ist es genau das Gegenteil, nämlich eine weitere Vorbereitungshandlung zur völligen Abkehr vom Konstitutionalismus. Es ist die Absicht des Kaisers, sich neben dem Ministerrat ein zweites Beratungsgremium aufzubauen und somit das erste zu entmachten. Die Frage nach dem Machtverhältnis zwischen Reichsrat und Ministerrat ist daher ganz entscheidend und wird letztlich, im Reichsratsstatut vom 13. April 1851, im Sinne der Gleichrangigkeit gelöst. Diese Entwicklung wird vom Bearbeiter der Protokolle in einer ausführlichen Einleitung unter Zuhilfenahme zahlreicher weiterer Quellen (bes. von Kübecks Tagebuch) übersichtlich dargestellt und dabei übrigens auf ein rechtshistorisch besonders interessantes Detail hingewiesen (XV, vgl auch ÖMR II/1, 921): Bereits am 20. Dezember 1849 hatten Innenminister Bach und Finanzminister Krauß den Reichsrat zur Sprache gebracht und vorgeschlagen, dieses Organ künftig mit „kontentiosen Administrativangelegenheiten“ zu befassen (wohl nach Vorbild des französischen Conseil d’Etat), wozu es dann allerdings nicht kam – ein bislang unentdecktes Kapitel in der (Vor-)Geschichte der österreichischen Verwaltungsgerichtsbarkeit!

 

Zentrales außenpolitisches Thema ist die deutsche Frage. Als im November 1850 sowohl österreichische als auch preußische Truppen in Kurhessen einmarschieren und es sogar zu einem – kurzen – Schusswechsel kommt, ist die Kriegsgefahr akut. Die Beratungen, die Schwarzenberg mit dem preußischen Außenminister Otto von Manteuffel am 28. November in Olmütz führte, waren aus österreichischer Sicht ein fast vollständiger Erfolg: Die Erfurter Union war Geschichte, die Bundesversammlung wurde in ihrer alten Gestalt wiederhergestellt. Preußen verpflichtete sich sogar zur sofortigen Demobilisierung, dies wurde jedoch dort als „Demütigung“ empfunden „und stellte eine schwere Hypothek für das Verhältnis der beiden deutschen Großmächte für die Zukunft dar“ (XLI).

 

Zwischen diese beiden beherrschenden Themen eingebettet sind zahlreiche weitere rechtshistorisch bedeutsame Entwicklungen: So etwa erste „Reibungsschwierigkeiten“ der Strafgerichte mit der noch jungen Institution der Staatsanwaltschaft (269) oder Vereinfachungen im Grundbuchswesen, wo mit Verordnung vom 16. März 1851 das bis dahin neben dem Hauptbuch existierende Urkundenbuch beseitigt wird (278). Das „Dauerthema“ Ungarn kommt verhältnismäßig wenig zur Sprache; immerhin beschließt der Ministerrat am 7. Jänner 1851, ein „Kontumazialverfahren“ gegen den ins Ausland geflohenen Ludwig Kossuth zu betreiben, welches am 22. September 1851 zu einem (niemals vollstreckten) Todesurteil führen wird (177).

 

Die Qualität der Edition ist unverändert hoch geblieben; der Anmerkungsapparat scheint ganz leicht zurückgenommen worden zu sein, ist aber noch immer von beeindruckender Sachkenntnis und Sorgfalt gekennzeichnet. Man muss den Bearbeitern ja dankbar sein, dass sie die Gründlichkeit der Edition nicht so weit treiben, dass sie gar keine Forschungen mehr für andere (Rechts-)Historiker übrig lassen!

 

Wien                                                                                      Thomas Olechowski