Die Ingelheimer Haderbücher. Spätmittelalterliche Gerichtsprotokolle, Band 1 Das Oberingelheimer Haderbuch 1476-1485, hg. v. Marzi, Werner im Auftrag der Stiftung Ingelheimer Kulturbesitz, bearb. v. Grathoff, Stefan (Transkription) und Schäfer, Regina (Übertragung). Stadt Ingelheim am Rhein/Rheinhessische Druckwerkstätte, Alzey 2011. 89 S., 2-240 fol. (ca. 1060 S.) Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.

 

Im Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz wurde unter Leitung von Werner Marzi durch Stefan Grathoff (Transkription) und Regina Schäfer (Übertragung) der erste Band eines Editionsprojektes zu den Ingelheimer Haderbüchern erarbeitet. Dem gewichtigen Band (5,3 kg, Format: 295 x 276 mm, 65 mm stark) ist seine Förderung  durch die Stiftung Ingelheimer Kulturbesitz und eine ortsansässige Pharmaziefirma anzusehen. Dank der Forschungen von H. Loersch, A. Erler und G. Gudian sind die materiellrechtlichen Fragen um die Prozesse am Ingelheimer Oberhof schon ausführlich behandelt. Die durch Loersch 1870 auf dem Dachboden des Rathauses entdeckten 33 Protokollbände und weitere Bände in Folio, in denen Rechtshandlungen der Ortsgerichte in Nieder-Ingelheim, Ober-Ingelheim, Groß-Winternheim und Wackernheim aus den Jahren zwischen 1387 und 1534 ihren Niederschlag fanden, haben eine eigene Geschichte mit vielen Verlusten. Dennoch stellen sie mit den Bänden zum Ingelheimer Oberhof das größte Gerichtsarchiv dar, das in Deutschland aus dem Spätmittelalter erhalten ist. Anders als die Haderbücher des Fünfergerichts in Nürnberg, in denen die Verurteilten nebst ihrer Geldbußen registriert wurden, dokumentieren die Ingelheimer Bücher bereits vollzogene Prozesshandlungen und wirken damit als Beweisurkunden. Während sich im Jahre 2007 das Historische Seminar der Universität Köln unter Frau Professor Marita Blattmann mit der kodikologischen Bearbeitung der Handschriften, besonders mit dem Haderbuch Oberingelheim 1387-1391 befasste, hat sich die Arbeitsgruppe um W. Marzi der Transkription der Handschriften gewidmet. Vorträge einer Vorbereitungstagung im Jahre 2008 wurden 2010  vorgelegt (S. 1 Anm. 1). Nach der Vorlage des jetzt edierten Bandes sind weitere zwei Bände in der Vorbereitung einer Ausgabe. Die bei Editionen mittelalterlicher Texte üblichen Standards sind in dem vorliegenden Band nicht erkennbar. Welches Auswahlkriterium dazu führte, gerade dieses Haderbuch als ersten Band des Projekts zu edieren, wird an keiner Stelle erläutert. Gleiches gilt für die Auswahl der beiden nächsten Bände. Die Aussage, diese Bücher stünden in einem zeitlichen und personengeschichtlichen Bezug zum jetzt vorgelegten Band, ist ohne  nähere Hinweise zu den Bezügen nicht nachvollziehbar. Gerade bei einem so anspruchsvoll angelegten Projekt sollte der erste Band aus sich heraus die weitere Vorgehensweise des Editionsprojekts erkennen lassen und nicht durch einen Verweis auf einen (noch ?) nicht erschienenen  Begleitband zur Edition (S. 12) ersetzt werden. In diesen Zusammenhang gehört es auch, dass man erst aus einer Mehrzahl von Streubeiträgen wesentliche Angaben zu der Darstellung zusammensuchen muss. Ärgerlich ist dann ein zitierter Beitrag mit mangelhafter Quellenangabe (S. 24 Anm. 8 Krey), der erst jetzt erschienen ist. Welche der Bände sind insgesamt für eine Edition vorgesehen? Welcher Zeitrahmen ist zu Fertigstellung des Projekts angedacht? Welche Auswertungsschritte sollen sich der Edition anschließen? Eine umfassende kodikologische Beschreibung des edierten Textes fehlt, selbst die Größe der Handschrift ist der Einleitung nicht zu entnehmen. Den Abbildungen von Handschriftenseiten fehlt die Angabe, ob die Seiten vollständig abgebildet sind und welcher Verkleinerungsfaktor gewählt worden ist. Dies lässt die Frage der Art einer Zusammenarbeit zwischen der Kölner und der Mainzer Gruppe stellen. Außer der Nennung von rechtshistorischen Fachvertretern aus Frankfurt, Halle und Münster ist nicht zu sehen, in welchen Schritten eine Zusammenarbeit zwischen Historikern und Juristen geplant ist. Einen gewissen Bedarf lässt die Einleitung erkennen, die Kleines Kaiserrecht und Frankenspiegel als verschiedene Rechtsbücher (S. 12) begreift. Wenn die Verfasser der Einleitung und Übertragung sich bei der Deutung von Rechtsbegriffen und Rechtsformen auf Neuland (S. 26) vorwagen, so darf man auf nähere Belege für die getroffene Abweichung gespannt sein, die Rechtswortschaft (S. 24 Anm. 8) wird dabei sicher hilfreich sein. Sachliche Anmerkungen; die Probleme der Übertragung darstellen, sind nicht erkennbar. Fundstellen für die Nachprüfung der besonderen Begriffe, welche die Übertragung anders wertet (S. 24f.) fehlen leider. Zur Hebung der Benutzungsmöglichkeit sollte dringend  ein Druckformat gewählt werden, das auf einem handelsüblichen Schreibtisch Platz findet, auch wenn es zur Repräsentation nicht zu imposant ist. Eine fortlaufende Paginierung des Textes und der Übertragung würde eine Zitierung von Textstellen erleichtern, das Problem zeigt fol. 169v, und einem beschreibenden Bibliothekar die vorhandenen Seiten zuverlässig erkennen lassen. Bisher muss bei jedem einzelnen Zitat angegeben werden, ob gerade der Text oder die Übertragung zitiert wird. Soweit das Projekt fortgeführt wird, wäre zu wünschen, dass zukünftig Textband und Begleitband  gleichzeitig erscheinen.

 

Neu-Ulm                                                                                                          Ulrich-Dieter Oppitz