Die Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920, hg. v. Kelsen, Hans/Froelich, Georg/Merkl, Adolf. Deuticke, Wien 1922, Neudruck mit einem Vorwort und einer Einleitung v. Walter, Robert. Verlag Österreich, Wien 2003, Neudruck 2010. 12, X, 535 S. Besprochen von Christoph Schmetterer.

 

Der Kommentar zur österreichischen Bundesverfassung von Kelsen, Froehlich und Merkl nimmt in der verfassungsrechtlichen Literatur einen besonderen Platz ein, weil er nicht nur der erste überhaupt war, sondern weil er außerdem von drei Personen verfasst wurde, die alle an der Entstehung der Bundesverfassung (insbesondere Hans Kelsen als deren „Architekt“) maßgeblich beteiligt waren. Insofern ist dieser Kommentar mit jenem Franz von Zeillers zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch vergleichbar. Das Werk von Kelsen, Froehlich und Merkl war während der gesamten Zwischenkriegszeit der einzige umfassende Kommentar zur Bundesverfassung und blieb das auch am Beginn der Nachkriegszeit.

 

Der Kommentar enthält nicht nur das Bundes-Verfassungsgesetz von 1920, sondern auch alle weiteren 1922 geltenden Verfassungsbestimmungen (Anhang I) sowie einen der Vorentwürfe zur Verfassung und den Bericht des Verfassungsausschusses über einen weiteren, darauf beruhenden Entwurf.

 

Bei den einzelnen Gesetzen ist durchwegs zuerst der gesamte Gesetzestext abgedruckt, auf den dann erst die Kommentierung folgt. Der Kommentar zum Bundes-Verfassungsgesetz beginnt mit einem vergleichsweise umfassenden Abschnitt über dessen Entstehung. Dieser Abschnitt ist nicht zuletzt deshalb von großem rechtshistorischem Interesse, weil Kelsen hier Vorgänge beschreibt, an denen er zum größten Teil unmittelbar beteiligt war. Außerdem sind dem eigentlichen Kommentar noch zwei jeweils kurze Abschnitte über die Bezeichnung der Verfassung (mit der berühmten Unterscheidung von Bundes-Verfassungsgesetz und Bundesverfassungsgesetz) und ihre Systematik vorangestellt.

 

Der Kommentar selbst enthält logischerweise praktisch keine Judikatur des Verfassungsgerichtshofes, dafür aber immer wieder Hinweise auf die Vorentwürfe und vor allem auf die Rechtslage in der Monarchie. Diese Hinweise auf die frühere Rechtslage waren für Juristen in den Zwanzigerjahren, die mit Rechtslage der Monarchie vertraut waren, sicher sehr praktisch; sie zeigen außerdem auch heute noch, wie groß die Kontinuität zwischen Monarchie und Republik zum Teil auch im Verfassungsrecht war.

 

Eine kurze, aber sehr lesenswerte Einführung von Rudolf Walter rundet das Werk ab, das für jede historische Beschäftigung mit der österreichischen Bundesverfassung unerlässlich ist. Das Register des Kommentares wurde vom nachmaligen Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes Ludwig Adamovich sen. erstellt.

 

Wien                                                                          Christoph Schmetterer