Čechura,
Jaroslav, Kriminalita a každodennost v raném novověku.
Jižní Čechy 1650-1770 [Kriminalität und Alltag in der früheren
Neuzeit. Südböhmen 1650-1770]. Argo, Praha 2008. 367 S. Besprochen von
Petr Kreuz.
Das Studium der
Sozialgeschichte der Kriminalität, der Geschichte des Strafrechts und der
Strafjustiz im ausgehenden Mittelalter und in der Frühen Neuzeit erfreut sich
in der modernen tschechischen Historiographie einer relativ langen Tradition,
die wenigstens in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts zurückreicht. Die Aufmerksamkeit der Forscher im
Gebiet der Geschichte frühneuzeitlicher Kriminalität konzentrierte sich aber
bisher vor allem auf die städtische peinliche (Straf-)Gerichtsbarkeit und auf
die Quellen vorwiegend städtischer Herkunft, gegebenenfalls auf das Schriftgut
des Prager Appellationsgerichts. Erst in den letzten zwei Dezennien tauchten
bei uns Forscher auf, die begonnen haben, die Kriminalität auf den frühneuzeitlichen
Domänen und in den patrimonialen Städten auf der Grundlage des Schriftguts
patrimonialer Provenienz zu untersuchen (Pavel Himl, Pavel Matlas). Es ist kein
Zufall, dass diese Forscher bei der Bearbeitung des genannten Themas vorwiegend
das Schriftgut der ausgedehnten adeligen Dominien im Süden Böhmens nutzen, das
gegenwärtig vorwiegend im Staatlichen Regionalarchiv in Třeboň
(Wittingau) aufbewahrt wird.
Inzwischen ist der letzte Historiker, der sich
umfassend und systematisch mit dem Thema der Kriminalität in Südböhmen in der
frühen Neuzeit anhand des aus der Tätigkeit der patrimonialen Städte und
Patrimonien hervorgegangenen Schriftguts beschäftigte, der hervorragende Kenner
der Geschichte Böhmens in dieser Periode Jaroslav Čechura. Die Geschichte
der Kriminalität ist für den genannten Forscher kein neues Thema. Er streift es
am Rande schon in vielen früheren Publikationen, vor allem in seinen den
böhmischen Bauernaufständen des Jahres 1680 gewidmeten Arbeiten. Ein Produkt
seiner mehrjährigen Forschung stellt eine der Kriminalität in Südböhmen in den
Jahren 1650-1770 gewidmete Monographie dar.
Den Gegenstand und zugleich Ausgangspunkt von
Čechuras Forschung bildet die Kriminalität in der südböhmischen
patrimonialen Stadt Soběslav. Der Verfasser betont die einzigartige
Zusammensetzung und den ungewöhnlichen Umfang der Quellen zur Studium der
Kriminalität in der genannten Stadt und ihrer Umgebung. Es gelang ihm für die
Jahre 1650-1770 insgesamt 522 Kriminalfälle zu erfassen, die er einer
eingehenden Analyse unterzog. Unter den registrierten Straftaten überwogen
Delikte gegen die Ehre, gefolgt von Eigentumsdelikten und mit größerem Abstand
von Delikten auf dem Gebiet der Sexualität.
Hinsichtlich
der Methode bekennt sich Čechura einmal zur tschechischen
rechtshistorischen Schule (V. Vaněček, J. Kejř, K. Malý), zum anderen zur deutschen, sich an der Sozialgeschichte orientierenden historischen
Kriminologie, die seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts bis in die erste
Hälfte letztes Jahrzehnts am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen
gepflegt wurde. Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel, so tief wie möglich
in die Quellen einzudringen und sie auszuschöpfen, ferner das Bild der
damaligen Kriminalität wiedererstehen zu lassen und eine qualitative
Darstellung ihrer Schlüsselmomente zu bringen.
In den insgesamt zehn Kapiteln seiner Arbeit lenkt
Čechura allmählich die Aufmerksamkeit auf die Delikte gegen die Ehre, auf
die Eigentumsdelikte (insbesondere Diebstähle), ferner Sexualdelikte (unter ihnen
auf den Kindsmord/Infantizidium in der Form der Ermordung eines Neugeborenen)
sowie auf die Delikte gegen die Herrschaft (u. a. die Desertion), Delikte gegen
Leben und Gesundheit (, zu denen er auch Hexerei bzw. Zauberei zählte - sich
derart der in den 1950er Jahren vom deutschen Rechtshistoriker Friedrich
Merzbacher vertretenen Auffassung, unbewusst anschließend -). Sein Interesse
gilt auch den von den Heeresangehörigen verübten Straftaten, der Kriminalität
der Roma (Zigeuner) und der Juden, sowie der sozialen und gender-Zusammensetzung
der untersuchten Kriminalität. Čechura macht darauf aufmerksam, dass im
Rahmen der zu untersuchenden Kriminalität nur eine sehr kleine Zahl von
Halsverbrechen zu verzeichnen ist. Hinsichtlich der sozialen Zusammensetzung
der Täter bezeichnet er es als wesentlich, dass sich an der damaligen
Kriminalität in entscheidender Weise die Angehörigen der nichtansässigen
Landbevölkerung beteiligten, während der Anteil der Bürger und der Ansässigen
auf dem Lande sich als ziemlich klein erwies.
Die Monographie
wird mit einer umfangreichen Übersicht über die Quellen und das einschlägige
Schrifttum sowie durch ein Personennamenregister abgeschlossen.
Die Monographie
J. Čechuras über die Kriminalität im Süden Böhmens in den Jahren 1650-1770
stellt eine bedeutsame und wertvolle Bereicherung der bisherigen Erforschung
der Sozialgeschichte der Kriminalität in den frühneuzeitlichen Böhmischen
Ländern dar. Ihr wesentlicher Beitrag besteht in der Ausschöpfung von teilweise
von ihrem Inhalt und ihrer Herkunft her anderen Quellentypen im Vergleich mit
denen, die von der bisherigen tschechischen Forschung traditionell verwertet
worden sind. Für gelungen halte ich auch den Versuch des Verfassers, die zu
untersuchende Materie zu erfassen und zu bearbeiten anhand von methodischen
Verfahren der modernen, auf die Sozialgeschichte ausgerichteten historischen
Kriminologie. Wenn auch der Verfasser viele neue Interpretationen und Lösungen
darbietet, sind seine Darlegungen gut durchdacht und kompakt. Sein vorliegendes
Werk stellt zugleich auch einen bedeutsamen Beitrag zur Erkenntnis von Sozial-
und Rechtsgeschichte Böhmischer Länder in der Frühen Neuzeit dar.
Prag Petr
Kreuz