Brundage, James A., The Medieval Origins of the Legal Profession. Canonists, Civilians, and Courts. The University of Chicago Press, Chicago 2008. XVII, 607 S. Besprochen von Gunter Wesener.

 

James A. Brundage, Professor Emeritus für Geschichte und Recht an der Universität von Kansas, ein vorzüglicher Kenner des mittelalterlichen kanonischen Rechts, hat sich seit Jahrzehnten in zahlreichen Arbeiten mit der Ausbildung eines Juristenstandes im Mittelalter sowie mit dem Ethos desselben befasst[1].

 

Brundage (S. 2) versteht Rechtsberuf (legal profession) in einem sehr strengen Sinn. Ein juristischer Beruf müsse sowohl den Interessen Einzelner als auch den Interessen der Gemeinschaft dienen. Er verlange höhere Kenntnisse aufgrund eines längeren Studiums und bringe einen hohen Grad gesellschaftlichen Ansehens mit sich. Wenn Personen einen solchen Beruf ergreifen, verpflichten sie sich, ethische Normen in einem höheren Grade zu beachten und einzuhalten, als allgemein üblich.

 

Bei den römischen Juristen schon der klassischen Zeit sieht der Verfasser die Voraussetzungen für die Annahme eines Juristenstandes, einer legal profession, vollauf gegeben (S. 9ff.). Die Einhaltung der Standesvorschriften wurde von den Magistraten überwacht. In der späteren Kaiserzeit, der Zeit der Nachklassik, bestand auch für Advokaten eine feste, vom Staat kontrollierte Standesorganisation[2].

 

Im frühen Mittelalter (ca. 500-1050) kam es im Westen zu einer „eclipse of the Roman legal system and profession“, zu einem „law without lawyers“ (so der Verfasser. S. 46ff.).

 

Für das hohe Mittelalter sieht Brundage einen Juristenstand erst in der Mitte des 13. Jahrhunderts gegeben. Damit steht er in Widerspruch zur herrschenden Lehre, die, wie Johannes Fried[3] und Peter Weimar[4], die Entstehung des Juristenstandes bereits im 12. Jahrhundert annimmt. Schon im 12. Jahrhundert wurde das Richteramt mit dem Vordringen des gelehrten Prozessrechts zunehmend berufsmäßig ausgeübt[5].

 

Der Verfasser (S. 75ff.) erörtert „the Legal Revival of the Twelfth Century“, insbesondere in Bologna mit Pepo und Irnerius sowie den quattuor doctores, aber auch in Frankreich in Montpellier und Paris sowie in England mit Vacarius. Eingehend untersucht werden die Bedeutung Gratians und seiner Concordantia discordantium canonum (S. 96ff.) sowie die verschiedenen Dekretistenschulen (S. 106ff.).

 

Ein Abschnitt (S. 126ff.) ist den kirchlichen Gerichthöfen, dem zivilgerichtlichen Verfahren und der Professionalisierung des Rechts gewidmet (ca. 1140-1230). Die Ausbildung des römisch-kanonischen Prozessrechts[6] in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts erforderte in Streitfällen die Mitwirkung von rechtsgelehrten Advokaten und Prokuratoren (S. 151ff.).

 

Der Verfasser spricht (S. 164ff.) von „Pre-Professional Lawyers“ in den kirchlichen Gerichtshöfen des 12. Jahrhunderts. Zu Recht sieht er in der Komplexität des römisch-kanonischen Prozessrechts den Anstoß für die Ausbildung eines berufsmäßigen Juristenstandes. Das gelehrte Prozessrecht des Mittelalters wurde weitestgehend von Kanonisten geschaffen. Der wohl „bedeutendste und erfolgreichste Prozessualist des Mittelalters, der Bologneser Archidiakon Tankred“[7] (ca. 1185-1236), verfasste zwischen 1214 und 1216 einen Ordo iudiciarius, ein Handbuch des römisch-kanonischen Prozessrechts[8]. Um 1200 war die Prozessrechtswissenschaft schon voll ausgebildet. Seit dem 12. Jahrhundert wurden Zivilprozess und Strafprozess scharf unterschieden[9].

 

Einem Abschnitt über die Entstehung der ältesten europäischen Universitäten Bologna, Paris, Oxford und Cambridge (S. 223ff.) folgt das Kapitel „Attaining Professional Status“ (S. 283ff.). Hier geht der Verfasser auf die formalen und bildungsmäßigen Voraussetzungen für die Zulassung als Advokat oder Prokurator bei kirchlichen Gerichten ein. Eine wesentliche Rolle spielte hierbei der römischrechtliche Kalumnieneid[10], der in adaptierter Form zu einem Zulassungseid wurde (S. 295ff.). Im Jahre 1231 schrieb Kaiser Friedrich II, einen entsprechenden Eid für Advokaten bei den königlichen und provinzialen Gerichten des Königreichs Sizilien vor. Bei Verletzung der im Eid festgelegen ethischen Obliegenheiten drohten dem Anwalt bzw. Prokurator disziplinäre Maßnahmen. Der Verfasser sieht erst Mitte des 13. Jahrhunderts mit Vorliegen dieser Voraussetzungen einen ausgebildeten Juristenstand gegeben[11].

 

In den folgenden Abschnitten werden die professionellen Juristen im Bereich der kirchlichen Gerichtsbarkeit, Advokaten und Prokuratoren, behandelt (S, 344ff.), ferner Richter und Notare (S. 371ff.) sowie die Praxis des kanonischen Rechts (S. 407ff.). Hierbei wird der Ablauf eines Verfahrens vom libellus über die litis contestatio[12] bis zum Urteil und zur Appellation anschaulich dargestellt (S. 430ff.)[13]. Auch der Summarprozess[14] wird kurz behandelt (S. 449ff.).

 

Im Schlusskapitel „Rewards and Hazards of the Legal Profession“ (S. 466ff.) wird die ambivalente Stellung des Juristenstandes hervorgehoben. Einerseits genoss er hohes soziales Ansehen und Autorität, andererseits galten Juristen vielfach als habgierig, hinterlistig und heuchlerisch.

 

Wenn man Brundage’s strikte Auffassung von einem professionellen Juristenstand teilt, wird man auch seiner Annahme, dass ein solcher erst im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts ausgebildet wurde (S. 488), folgen können. Geht man hingegen von einem weiteren Begriff des Juristenstandes aus, so kann man das Auftreten desselben bereits für das 12. Jahrhundert annehmen.

 

Das vorliegende Buch führt in instruktiver und anschaulicher Weise in das mittelalterliche Rechtswesen ein und bietet ein umfassendes Bild der Stellung und Tätigkeiten der doctores legum, iuris periti, Advokaten, Prokuratoren und Notare, vornehmlich vor kirchlichen Gerichtshöfen[15].

 

Eine überaus umfassende Bibliographie, getrennt nach Primärquellen (S. 493-515) und Sekundärliteratur (S. 515-578), ein Personen-, Orts- und Sachindex (S. 579-600) sowie ein Index der zitierten Stellen (S. 601-607) erschließen die Arbeit.

 

Graz                                                                                                   Gunter Wesener



[1] Siehe: The Profession and Practice of Medieval Canon Law (Aldershot 2004); The Ethics of Advocacy: Confidentiality and Conflict of Interest in Medieval Canon law, in: Grundlagen des Rechts. FS für P. Landau zum 65. Geburtstag (Paderborn – München 2000) 453ff.; The Ambidextrous Advocate: A Study in the History of Legal Ethics, in: „Ins Wasser geworfen und Ozeane durchquert“. FS für K. W. Nörr (Köln 2003) 39 ff. Weitere Beiträge in der Bibliographie im vorliegenden Band 521-523.

[2] Vgl. G. Dulckeit/F. Schwarz/W. Waldstein, Römische Rechtsgeschichte, 9. Aufl. (München 1995) §§ 34 u.39; F. Wieacker, Allgemeine Zustände und Rechtszustände gegen Ende des Weströmischen Reichs, Ius Romanum Medii Aevi , Pars I, 2 a, 36ff.; M. Kaser/K. Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 2. Aufl. (München 1996) 219, 563ff.; A. Steinwenter, Rhetorik und römischer Zivilprozeß, ZRG Rom. Abt. 65 (1947) 69ff., insbes. 105ff.

[3] Die Entstehung des Juristenstandes im 12. Jahrhundert. Zur sozialen Stellung und politischen Bedeutung gelehrter Juristen in Bologna und Modena (Köln-Wien 1974); vgl. N. Wandruszka, Die soziale Herkunft bologneser Juristen (12. bis 14. Jh.). Zur Bedeutung des Adels für die Anfänge der Universität, in: Europa und seine Regionen, 2000 Jahre Rechtsgeschichte (Köln-Weimar-Wien 2007) 157ff.; M. Stolleis, Juristenstand, HRG2 II Sp.1440ff.

[4] Rezension von Fried, Entstehung des Juristenstandes (o. Fn. 3) 429ff.

[5] Vgl. Fried, Entstehung des Juristenstandes (o. Fn. 3) 87ff.

[6] Siehe W. Litewski, Der römisch-kanonische Zivilprozeß nach den älteren ordines iudiciarii, 2 Bände (Krakau 1999); dazu G. Wesener, ZRG Germ. Abt. 121 (2004) 679ff. Vgl. P. Landau, Die Anfänge der Prozessrechtswissenschaft in der Kanonistik des 12. Jahrhunderts, in: Der Einfluss der Kanonistik auf die europäische Rechtskultur. Bd. 1: Zivil- und Zivilprozessrecht (Köln-Weimar-Wien 2009) 7ff.

[7] Landau, Die Anfänge der Prozessrechtswissenschaft (o. Fn. 6) 21. Zu Tankred H. Lange, Römisches Recht im Mittelalter, Bd. I: Die Glossatoren (München 1997) 293ff.; J. M. Viejo-Ximénez, Tancredo (Tancredus), in: R. Domingo (ed.), Juristas universales I (Madrid-Barcelona 2004) 428ff.

[8] Lange, Römisches Recht im Mittelalter I (o. Fn. 7) 295f.

[9] Landau, Die Anfänge der Prozessrechtswissenschaft (o. Fn. 6) 22.

[10] Dazu Litewski, Der römisch-kanonische Zivilprozeß I (o. Fn. 6) 335ff.

[11] Zur Entwicklung in Deutschland W. Trusen, Advocatus – zu den Anfängen der gelehrten Anwaltschaft in Deutschland und ihren rechtlichen Grundlagen, in: Um Recht und Freiheit. FS F. A. Frh. von der Heydte zum 70. Geburtstag (Berlin 1977) 1235 ff. [auch in Trusen, Gelehrtes Recht im Mittelalter und in der frühen Neuzeit (Goldbach 1997) 761*ff.].

[12] Dazu nun grundlegend St. Schlinker, Litis Contestatio. Eine Untersuchung über die Grundlagen des gelehrten Zivilprozesses in der Zeit vom 12. bis zum 19. Jahrhundert (Frankfurt am Main 2008); dazu Rezension von B. Schildt, ZRG Germ. Abt. 128 (2011) 519ff.

[13] Zum römisch-kanonischen Prozess siehe o. Fn. 6 u. 7.

[14] Dazu Ch. Lefebvre, Les origines romaines de la procédure sommaire aux XIIe et XIIIe siècles, in: Ephemerides iuris canonici 12 (1956) 149ff.; dazu Rezension von A. Steinwenter, ZRG Kan. Abt. 44 (1958) 392ff.

[15] Vgl. die eingehende Rezension von M. R. Munzinger (Virginia) im Forum historiae iuris.