Brügmann, Cord, Flucht in den Zivilprozess - antisemitischer Wirtschaftsboykott vor den Zivilgerichten der Weimarer Republik (Tabellen) (= Reihe Dokumente, Texte, Materialien - Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin 72). Metropol Verlag, Berlin 2009. 173 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die von Wolfgang Benz betreute, 2008 am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin angenommene Dissertation des nach dem Studium von Rechtswissenschaft und Geschichte in München und Berlin als Rechtsanwalt und seit 2003 für einen juristischen Berufsverband tätigen Verfassers. Ziel der Untersuchung ist es, zu erkunden, ob und wenn ja, wie und mit welchem Erfolg der durch antisemitische Vorfälle gestörte Rechtsfriede zwischen Privaten mit Hilfe der Ziviljustiz wiederhergestellt wurde. Bei den Störfällen handelt es sich auf Grund der Quellenlage wie des Interesses des Verfassers fast ausschließlich um antisemitisch motivierten Wirtschaftsboykott.

 

Quellengrundlage der Arbeit sind vor allem die in den 1990er-Jahren wiedergefundenen Akten des Berliner Hauptbüros des Centralvereins (CV) deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Trotz unvollständiger Überlieferung konnte der Verfasser 147 Entscheidungen bzw. Hinweise auswerten. Davon betreffen 81 Entscheidungen antisemitisch motivierte Boykottaufrufe.

 

Der Verfasser gliedert seine schlanke Untersuchung in die drei Teile Einleitung, Hauptteil und Schluss und bietet einen Anhang über Gerichtsentscheidungen, Normen, Dokumente sowie einige Verzeichnisse, wobei er im Hauptteil Umfeld, Akteure und die juristische Abwehr des antisemitischen Wirtschaftsboykotts betrachtet. Im Ergebnis zeigen die zwischen 1925 (Amtsgericht Norden 7. Oktober 1925) und 1933 (Oberlandesgericht Rostock 9. Juli 1933, Entscheidungen des Reichsgerichts fehlen) gefällten Entscheidungen, dass der antisemitische Boykott wie der allgemeine Boykott als grundsätzlich statthaft angesehen wurde, dass aber die Antragsteller häufig ihr Ziel erreichten, angefochtene  Boykottaufrufe verbieten zu lassen, weshalb der Verfasser überzeugend von der Flucht in den Zivilprozess sprechen kann. Hieraus zieht der Verfasser den Schluss, dass das Zivilrecht nicht resistenter gegen undemokratische und antisemitische Einstellungen war als das Strafrecht und dass deutsche Juden dort, wo sie nicht Akteure im Diskurs um den Antisemitismus waren, keinen hinreichenden Schutz vor antisemitischem Boykott erlangen konnten.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler