Brommer, Peter,
Kurtrier am Ende des Alten Reichs. Edition und Kommentierung der kurtrierischen
Amtsbeschreibungen von (1772) 1783 bis ca. 1790, 2 Teile (= Quellen und
Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 124). Gesellschaft für
mittelrheinische Kirchengeschichte, Trier 2008. 1-868, 869-1472 S. Besprochen
von Steffen Schlinker.
In den letzten Jahrzehnten des Alten Reiches
haben geistliche Reichsfürsten – durchaus im Bewusstsein ihrer besonderen
verfassungsrechtlichen Situation – Schritte zur Modernisierung ihrer weltlichen
Herrschaftsgebiete eingeleitet. Zwar kennen gerade geistliche Herrschaften
schon im Mittelalter die schriftliche Aufzeichnung von Herrschaftsrechten und
Abgaben. Das vom Trierer Kurfürsten und Erzbischof Clemens Wenzeslaus im Jahr
1783 verfolgte Ziel ist aber erheblich umfassender als zuvor und zeigt das
Bemühen um eine wissenschaftlich exakte Erfassung des regierten Landes. Die
Amtsbeschreibungen sollten Angaben über die Grenzen, die innere Verfassung, die
Gerichtsbarkeiten, die fremden Gebietsenklaven sowie über Verträge mit
Auswärtigen enthalten. Ein beigefügter Fragenkatalog lässt erkennen, dass es
dem Kurfürsten nicht nur auf die rechtlichen Verhältnisse und seine
Gerichtsbarkeit ankam, sondern auch auf die möglichst vollständige Erfassung
des sozialen und wirtschaftlichen Ist-Zustands der Kurlande: Der Kurfürst
wünschte eine Beschreibung der geographischen und politischen Verhältnisse des
Amts und der einzelnen Ortschaften, ein Verzeichnis der steuerfreien adeligen
Höfe, Angaben über die geistliche Verfassung, den Charakter der Bewohner, den
Zustand der Straßen und Wege, die Entfernung zu schiffbaren Flüssen, die
Situation der Landwirtschaft, des Handwerks und des Gewerbes, die Produkte des
Amts, insbesondere das Vorkommen von Mineralwasser. Insofern stellt die
kurfürstliche Aufforderung zur Abfassung von Amtsbeschreibungen eine Art
„Landvermessung“ dar, wie sie der Kurfürst von Hannover in den Jahren zwischen
1764 und 1786 mit Militäringenieuren durchführte.
Die Edition der Amtsbeschreibungen ist daher
eine Fundgrube nicht nur für die Verfassungs-, Verwaltungs- und
Kirchengeschichte, sondern besonders auch für die Sozial- und
Wirtschaftsgeschichte. So lernt man die Infrastruktur des Amts Münstermaifeld kennen, macht sich mit dem
komplizierten Neben-, Mit und Nacheinander verschiedener Gerichtsbarkeiten
vertraut, liest von den Problemen, die sich aus dem jährlichen Wechsel des
Gerichts ergeben, und erhält eine farbige Beschreibung der unterschiedlichen
bäuerlichen Charaktere (S. 869ff.). Für das Amt Limburg wird berichtet, dass
sogar bei jedem Dorfgericht schon ein rechtsgelehrter Gerichtsschreiber aus den
Amtsadvokaten oder Stadtgerichtsschöffen angestellt ist (S. 387). Der Verfasser
der Trierer Amtsbeschreibung stellt Überlegungen zur Entstehung der
Landeshoheit an, die er auf die Grafschaft zurückführt (S. 1110). Rückblickend
begegnen die Konflikte um die Reichsstandschaft der Abtei St. Maximin (S. 1032ff.,
1113).
Zu welchen konkreten Zwecken die angeforderten
Berichte verwendet werden sollten, enthüllt der kurfürstliche Auftrag (S.
15-18) nicht ausdrücklich. Aus den Verbesserungsvorschlägen und Anregungen der
Amtleute und Amtsverwalter geht jedoch hervor, dass Maßnahmen der Regierung zur
Verbesserung der Lebensverhältnisse erwartet wurden. Die Vorschläge betreffen
etwa die Trockenlegung von Sümpfen (Metternich), mahnen eine Verbesserung der
Forstwirtschaft an (Boppard, S. 160, Pfalzel, S. 914), schlagen die Einrichtung
von Wollspinnereien vor, um Bettlern Lohn und Brot zu verschaffen (Limburg, S.
11, 398) und rufen zur Verbesserung der Feldwege und Landstraßen auf
(Montabaur, Saarburg, S. 12, 991).
Die Amtsbeschreibungen entstanden in den Jahren
zwischen 1783 und 1792. Lediglich für die Ämter Arenfels, Vallendar und Winden
sind offenbar nie Berichte eingegangen. Der Herausgeber hat für diese Ämter
daher der Vollständigkeit halber wenigstens kurze Hinweise zur
Bevölkerungsstatistik angefügt. Die Berichte zeigen – worauf der Herausgeber zu
Recht hinweist - „in hohem Maße“ das Bemühen um „sachlich exakte
Bestandsaufnahme“ (S. 8). So basieren die Berichte nicht nur auf eigener
Anschauung der Verfasser und den vor Ort verwahrten Akten und Urkunden. Die
Verfasser ziehen vielmehr umfangreich die gelehrte Literatur, gedruckte
Urkundensammlungen, Geschichtswerke und Chroniken heran oder verwerten Aussagen von Schöffen (S. 8).
Den Löwenanteil des Werkes nimmt die Edition
selbst ein. Die Einleitung zur Textgeschichte und Textqualität ist knapp, aber
ausreichend (S. 7-14). Die Erläuterung verweist jeweils auf Archivalien und die
landesgeschichtliche Sekundärliteratur. Die Amtsbeschreibungen fallen im Umfang
recht unterschiedlich aus: Während sich das Oberamt Bernkastel mit seinen 5
Unterämtern mit nur 30 Seiten begnügt, erstreckt sich der Bericht für das
Oberamt Mayen über 150 Seiten. Der fleißige Amtsverwalter von Montabaur hat
sogar zwei stattliche Bände verfasst, von denen allerdings hier nur der erste
Band mit immerhin über 200 Seiten zum Abdruck gelangt ist (S. 665-868). Der
zweite Teil, der die Beschreibung der einzelnen Ortschaften enthält, bleibt
vorerst ungedruckt. Sehr umfangreiche Orts-, Personen- und Sachregister runden
die Bände ab (S. 1369-1472).
Die Amtsbeschreibungen lassen das Bemühen um die
vernünftige und rationale Erfassung der überlieferten Sozialordnung erkennen.
Vermutlich sollten auf ihrer Grundlage Maßnahmen getroffen werden, um die
wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit zu steigern und die
Lebensverhältnisse im Kurstaat zu verbessern. Die Amtsbeschreibungen, deren
Edition Peter Brommer zu verdanken ist, bilden daher nicht nur eine
wichtige Quelle für die Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte,
sondern sind auch ein schönes Beispiel für die
Politik des späten 18. Jahrhunderts, die sich auf das bonum commune ausrichtete.
Würzburg Steffen
Schlinker