Brinkhus, Jörn, Luftschutz und Versorgungspolitik. Regionen und Gemeinden im NS-Staat, 1942-1944/45. Verlag für Regionalgeschichte, Gütersloh 2011. 347 S., 5 sw. Abb. Besprochen von Werner Schubert.
Da die Versorgungspolitik ein stark reguliertes, der Luftschutz ein überreguliertes Politikfeld (S. 137) war, sind politik- und verwaltungsgeschichtliche Untersuchungen über diese Lebensbereiche auch für den Rechtshistoriker von Bedeutung. Allerdings stehen die rechtlichen Regelungen, deren Existenz vorausgesetzt wird, nicht im Vordergrund der Darstellung. Brinkhus geht es vielmehr um die Durchführung der rechtlichen Vorgaben der Berliner Zentrale durch die Regionen (Gaue, Regierungsbezirke, Minister der Landesregierungen) und die Gemeinden. Die Untersuchung setzt ein mit dem Jahreswechsel 1941/42, mit dem sich die „außenpolitische und strategische Lage grundlegend wandelte“ (S. 22). Dabei geht es um die Frage, wie die Unter- und Mittelinstanzen den „ihnen durch die Spitze des Herrschaftsgebildes zur Verfügung gestellten Kompetenzrahmen ausfüllen und wie und warum sie diesen erweitern konnten“ (S. 15). Die (beschränkte) Selbstorganisation beruhte nach Brinkhus auf der vertikalen Dekonzentration von Entscheidungsmacht, der horizontalen Subkoordination (Ergänzung der hierarchischen Entscheidungswege) und einem dezentralen Ressourcenmanagement (S. 16f.). Die Versorgungspolitik umfasste die Beschränkung des Konsums von Gebrauchsgütern und deren Rationierung, der Luftschutz den Schutz vor Bombenangriffen und die Versorgung der Bevölkerung mit Gebrauchsgütern. Für die untersuchten Politikfelder wurden jeweils eine preußische Region mit einer nichtpreußischen verglichen und dabei besonders die Stellung der Gauleiter und der Landesregierungen ins Auge gefasst (S. 21). Zu den untersuchten Städten gehören hinsichtlich der Versorgungspolitik Essen, Düsseldorf, Duisburg, Karlsruhe, Freiburg und Mannheim, hinsichtlich des zivilen Luftschutzes Köln/Bonn, Bremen, Osnabrück sowie Aachen und Wilhelmshaven. Die Vollzugsverwaltung wird zunächst für die Versorgung und den Luftschutz jeweils getrennt in jeweils für sich lesbaren Kapiteln behandelt (S. 25ff., 129ff.). Im dritten Teil „Auswertung“ geht es um folgende Fragen: „Welche Auswirkungen auf die Stimmung der Bevölkerung lassen sich auf beiden Politikfeldern nachweisen? Wie verbreitet waren die in beiden Politikfeldern anzutreffenden Phänomene? Welchen Stellenwert nahmen Gemeindeverwaltungen, Landesregierungen und Gauleitungen im NS-Staat ein? Wie lässt sich die NS-Herrschaft herrschafts- und machtsoziologisch interpretieren?“ (S. 23) Schließlich wurde noch danach gefragt, „ob, wie, und in welchem Umfang die Mittel- und Unterinstanzen zu einer Selbststabilisierung der NS-Polykratie beitrugen?“ (S. 23). Insgesamt ist nach Brinkhus die „stabilisierende Wirkung der Selbstorganisation der Mittel- und Unterbehörden nicht zu hoch zu veranschlagen“ (S. 322), wie sie auch andererseits nicht zu unterschätzen ist. Zur Durchsetzung der Verteilungsgerechtigkeit gehörte auch eine „drakonische Strafgerichtsbarkeit“ (S. 281), ein Aspekt, den Brinkhus nicht näher thematisiert.
In den beiden ersten Teilen des Werkes werden untersucht die Rationierungsbürokratie, die Entwicklung der Verbrauchsregelungen und deren Implementation, die Warenlenkung und Praxis der Rationierung sowie der Luftschutz als Querschnittsaufgabe, der bauliche Luftschutz, der Einsatz von Polizei, Partei und Selbstschutz, die Betreuung der Bombengeschädigten, Reparaturmaßnahmen und Wohnungsbau sowie bauwirtschaftliche Aktivitäten des Luftschutzes. Insgesamt stellen die methodensicheren Untersuchungen von Brinkhus eine gute Grundlage dar für weiterführende rechtshistorische Arbeiten über das Versorgungs- und Rationierungssystem sowie über das Luftschutzrecht der NS-Zeit (hierzu W. Schubert, Akademie für Deutsches Recht, Bd. XVIII, Frankfurt am Main 2009, S. XVIIIff., mit den Materialien des Ausschusses für Luftschutzrecht [Vorsitzender: Scheuner] mit Referaten u. a. von Ernst Forsthoff, Theodor Maunz und Rudolf Reinhardt), eine Rechtsmaterie, die auch nach 1945 eine nicht unerhebliche Rolle spielte (vgl. u. a. das Luftschutzgesetz von 1957).
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