Biliarsky, Ivan, Word and Power in Medieaval Bulgaria. Brill, Leiden 2011. 582 S. Besprochen von Hans Hattenhauer.

 

Der Verfasser, Mediävist an der Akademie der Wissenschaften in Sofia, gibt einen Einblick in die mittelalterliche Verfassungsgeschichte Bulgariens mit Hilfe einer gründlichen Analyse des insoweit erheblichen Wortmaterials jener Zeit. Zu den seit antiken Zeiten dort lebenden Thrakern waren seit dem 5./6. Jahrhundert Slawen auf die Balkanhalbinsel gekommen und bald danach im 5.-7. Jahrhundert, von der Wolga kommend, das Turkovolk der (Proto)bulgaren. Aus der Vereinigung dieser Völker war bis zum 7. Jahrhundert das Reich der Bulgaren entstanden, das im Jahre 681 seine faktische völkerrechtliche Anerkennung durch Byzanz erfuhr. Jedes dieser drei Völker hatte Elemente seiner Sprache und Kultur und damit auch seiner Verfassung eingebracht. Auch Byzanz machte seitdem seinen dominierenden Einfluss sprachlich wie rechtlich auf das bulgarische Reich geltend. Ein Versuch des Fürsten Boris I. Michael (852-889), sich dieser Übermacht durch Öffnung seines Reiches für die römische  Mission und das Ostfrankenreich zu entziehen, scheiterte schnell an dem Zwang Konstantinopels, dessen Vorherrschaft im Jahre 854 die Annahme des Christentums in Gestalt der orthodoxer Konfession durch die Bulgaren erzwang. So bot sich hier dank der Vielfalt seiner historischen Grundlagen die ideale Gelegenheit, sich den Anfängen der bulgarischen Verfassung mit Hilfe der Wortforschung zu nähern.

 

Der Verfasser betont mit Recht, dass man ein kulturelles Phänomen nicht hinreichend verstehen kann, wenn man nicht auch seine Sprache gründlich zur Kenntnis nimmt. Er hatte zudem guten Grund, sich der bulgarischen Verfassung und dank der Vielfalt seiner Quellen der bulgarischen Rechtskultur insgesamt auf diese Weise zu nähern. Dabei greift er bei der Erfassung des einschlägigen Wortmaterials besonders weit aus und berücksichtigt auch solche Wörter, die man auf den ersten Blick nicht für erheblich ansehen möchte. Dies trifft auch für die ausgewerteten Quellen zu. So werden neben Urkunden jeglicher Art beispielsweise auch Inskriptionen und Münzen verwertet und angesichts der Dürftigkeit unmittelbarer bulgarischer Rechtstexte jener Zeit trotz der damit verbundenen Risiken auch außerbulgarische Quellen erfasst. Für den mit den mittelalterlichen Rechtsquellen des Balkanraums nicht Vertrauten fällt dabei eine solide Bibliographie osteuropäischer Quellen ab. Dass bereits zur Entstehungszeit des bulgarischen Reiches das byzantinische Griechisch einen besonders starken Anteil am Entstehen der bulgarischen Rechtssprache hatte, kann angesichts der politischen wie kulturellen Überlegenheit Ostroms nicht überraschen, doch leisteten im Verlauf der bulgarischen Verfassungsgeschichte auch andere außerbulgarische Rechtskulturen ihren Beitrag, so etwa auch das Russische und vereinzelt sogar germanische Sprachen.

 

Nach einer kurzen Einleitung (S. 1-13) bietet der erste Hauptteil (S. 17-181) ein umfangreiches Wortverzeichnis. In seinem Streben nach Vollständigkeit bietet der Verfasser dabei eher zu viel als zu wenig. Jedes Wort wird nach seiner Herkunft und Bedeutung unter Anführung der Sekundärliteratur gründlich erläutert. So gewinnt man bereits bei flüchtigem Durchgehen des Glossars einen Eindruck von der Vielfalt, aus der die bulgarische Rechtskultur hervorging. In dem kurzen zweiten Kapitel (S. 183-203) geht es um „Law, Language and Identity“. Hier wird die unauflösliche Einheit von Recht und Religion archaischer Rechtskulturen betont und erläutert. Abgesehen von dem kurzen, gescheiterten Versuch des Fürsten Boris I. Michael gründe sich das bulgarische Recht auf die Lehre der orthodoxen Kirche, wie sie ihm durch Kyrill und Methodus vermittelt worden sei. Die Bedeutung der orthodoxen Lehre für Bugarien betont der Verfasser hier wie im Verlauf des ganzen Buches nachdrücklich. Im dritten Kapitel (S. 205-260) erörtert er das Wortfeld der obersten Staatsgewalt. Hier begegnet mit dem, vermutlich aus der Völkerwanderungszeit stammenden, Wort „knjaz/König“ (S. 209ff.) sogar statt des älteren bulgarischen „khan“ und des späteren, von den Slawen aus dem Lateinischen (Caesar) entlehnten „tsar“ ein Titel germanischer Wurzel. Der Verfasser hält dies zwar für bedeutungslos. Da dieser Titel aber von drei einander folgenden Herrschern, Fürst Boris I. Michael und zwei seiner Söhne, verwendet wurde, kann dies auch bedeuten, dass diese Wortwahl, wie in der Verfassungsgeschichte oft üblich, einen fundamentalen Verfassungswandel, hier also die Öffnung Bulgariens nach Rom, hatte andeuten sollen.

 

Im vierten Kapitel (S. 261-392) geht es um das Vokabular des Militär- und des Verwaltungswesens, im fünften (S. 393-499) um Abgaben und Fiskus und im sechsten (S. 501-516) um das Kirchenwesen. Eine Zusammenfassung (S. 517-521) schließt die Darstellung ab. Hier geht es idem Verfasser vor allem darum zu betonen, dass auch aus der Sicht der Rechtssprachgeschichte das alte bulgarische Recht einen zutiefst konservativen Charakter hatte, dies nicht nur, weil es, wie alle archaischen Rechte, älter war als der Staat, sondern weil es in seiner Einheit mit der Religion transzendental begründet war. Angesichts des Reichtums des hier vorgelegten Wortmaterials muss man es bedauern, dass sich der Verfasser nur mit der Rechtssprache der Verfassung beschäftigt und die praktische Rechtspflege unerörtert lässt, doch hatte er mit der Erforschung dieses Teils der bulgarischen Rechtssprache bereits genug zu tun. Ein lehrreiches Buch über das Recht einer uns noch immer fremden Welt.

 

Speyer                                                                                                           Hans Hattenhauer