Berg Heil! Alpenverein und Bergsteigen 1918-1945, hg. v. Deutschen
Alpenverein, vom Oesterreichischen Alpenverein und vom Alpenverein Südtirol.
Böhlau, Köln 2011. 635 S., zahlr. Abb. Besprochen von Martin Moll.
Dieser
voluminöse Band hat bei seiner Präsentation im Oktober 2011 ein beachtliches
Medienecho hervorgerufen, was nicht verwundert, setzt er doch die Reihe von
„Aufarbeitungen“ der eigenen NS-Vergangenheit fort, die im letzten Jahrzehnt
von diversen Behörden, großen Wirtschaftsunternehmen und Verbänden, häufig als
Folge massiven öffentlichen Drucks, initiiert und dem Publikum vorgelegt
wurden. Dabei kam in der Tat allerhand Unerfreuliches rund um „braune
Verstrickungen“ zum Vorschein – manches erstmals, anderes in erweiterter Form.
Auffällig ist, dass nach langen Jahren des Beschweigens und Vertuschens
neuerdings der gegenteilige Trend bemerkbar ist, wie beispielsweise die 2010
vorgelegte, einige Jahre davor vom damaligen Bundesaußenminister Joschka
Fischer in Auftrag gegebene Studie über das deutsche Auswärtige Amt in der
NS-Zeit beweist: In von der Fachwelt scharf kritisierter Überzeichnung der
Rolle des Amtes wird dieses gar als „Initiator“ des Holocaust präsentiert.
Nun haben
sich also auch die Alpenvereine des deutschsprachigen Raumes (mit der
verständlichen Ausnahme der Schweiz) ihrer braunen Vergangenheit gestellt. Da
angekündigte Sensationen selten eintreffen, sind die Resultate weit weniger
aufregend, als der um sie entfachte Medienrummel vorspiegelt. Dies liegt
freilich auch daran, dass den – bis in die 1980er Jahre wenig selbstkritischen
– Alpenvereinen von dritter Seite schon seit langem deren bis ins 19.
Jahrhundert zurückreichende, NS-affine völkische und antisemitische Ideologie
vorgeworfen wurde. Die vor einigen Jahren von den betroffenen Vereinen angestoßenen
Forschungen auf breiter Quellengrundlage rennen also offene Türen ein und
liefern – jetzt allerdings besser fundierte – Belege für die im Prinzip
bekannte, ideologische Nähe der Alpenvereine zum Nationalsozialismus. Um genau
diese Nähe, ja Konkordanz geht es in dem hier vorzustellenden Buch, denn andere
Varianten der „Verstrickung“ wie etwa die diversen Wirtschaftsbetrieben
vorgeworfenen „Arisierungen“ oder die Beschäftigung von Zwangsarbeitern kamen
hier nicht in Betracht.
Der Band
ist ein Gemeinschaftsunternehmen der Alpenvereine der Bundesrepublik
Deutschland, Österreichs und Südtirols; verfasst haben ihn insgesamt 13Autoren
beiderlei Geschlechts, die mit einer Ausnahme aus den beiden erstgenannten
Staaten stammen. Den Verfassern ist neben ihrer kritischen, jedoch nicht
hyper-kritischen Distanz zum Gegenstand hohe Sachkenntnis zu bescheinigen; sie
haben sämtliche in Frage kommenden Archive sowie die zum Teil an entlegenen
Orten erschienene, zeitgenössische wie moderne Fachliteratur ausgewertet. Was
sie vorzubringen haben, sind keine umstürzend neuen Erkenntnisse, wohl aber
eine deutliche Ausdifferenzierung bisherigen Wissens.
Bekannt
war, dass die in den 1860er Jahren gegründeten Alpenvereine des
deutschsprachigen Raums (die Schweiz immer ausgenommen) seit ihrem
Zusammenschluss zum Deutschen und Oesterreichischen Alpenverein 1873 und somit
praktisch von Beginn an ein deutschnationales, ja großdeutsches Unternehmen
waren. Dafür sprach damals freilich nicht nur die ideologische Verwandtschaft
und der Zeitgeist, sondern der banale Umstand, dass das ostalpine Arbeitsgebiet
des Vereins großteils auf dem Gebiet der Habsburgermonarchie lag. Nach dem
Ersten Weltkrieg wurde der grenzüberschreitende Dachverband, nunmehr explizit im
Zeichen des erhofften „Anschlusses“ Österreichs an das Reich, beibehalten,
während die Südtiroler ausschieden und allein aufgrund der nachfolgenden
Unterdrückung durch das faschistische Italien in der Zwischenkriegszeit nur
eine marginale Rolle spielten.
Unter
vergangenheitspolitischen Gesichtspunkten bildet der rund 120 Seiten lange
Beitrag „Der Verein“ von Martin Achrainer und Nicholas Mailänder das Kernstück
des Buches. Bestätigt wird hier (sporadisch auch in anderen Beiträgen), dass
der Alpenverein – auf seiner deutschnationalen Gesinnung vor 1918 aufbauend –
nach dem Ersten Weltkrieg den „Anschluss“ propagierte, sich selbst als
wichtiges Bindeglied zwischen den beiden „Brudervölkern“ verstand, den Verlust
Südtirols an Italien beklagte und je länger desto mehr dazu tendierte,
jüdischen Alpinisten die Mitgliedschaft zu verwehren bzw. die wenigen dezidiert
jüdische Sektionen aus dem Verein auszuschließen. Gerade an diesem Thema, das
seit langem einen der Hauptvorwürfe gegenüber dem Alpenverein darstellt, macht
der Band deutlich, dass erstens von einer raschen, flächendeckenden Einführung
des sogenannten Arierparagraphen keine Rede sein konnte, es neben etlichen
scharfmacherischen Stimmen auch deutliche Kritik, ja massive Ablehnung gab, und
dass zweitens die radikale Richtung insbesondere in Österreich beheimatet war.
Beachtung verdient ferner der Nachweis, dass der Alpenverein nach der
nationalsozialistischen Machtübernahme Anfang 1933 – trotz mancherlei
Anpassungstendenzen – nicht bloß institutionell unabhängig blieb, was allein
schon bemerkenswert ist.
Dies sind
nur die zentralen Ergebnisse der hier versammelten akribischen Forschungen, die
zwar nur ausnahmsweise Vergleiche mit Alpenvereinen im Ausland anstellen, den
hier im Mittelpunkt stehenden Verein jedoch vor dem Hintergrund seiner Zeit und
mit der ganzen Bandbreite seiner Aktivitäten vorstellen. Neben den quasi
politischen Abschnitten liest man daher auch die Kapitel über die Entwicklung
des Alpinismus insgesamt, über Spitzenbergsport, den Naturschutzgedanken, die
vor allem in Asien und Südamerika veranstalteten Hochgebirgsexpeditionen, das
wissenschaftliche Selbstverständnis des Vereins und seinen Beitrag zur alpinen
Wissenschaft sowie dessen Aktivitäten zur Vermittlung dieses Wissens mit großem
Gewinn. Was es über diese Themen zu sagen gibt, ist hier – wohl für lange Zeit
gültig – gesagt.
Der Band
ist ebenso reichhaltig wie ansprechend (teilweise farbig) illustriert. Jene
Leser, die ihre Kenntnisse noch vertiefen möchten, werden besonders dankbar
sein für die Kurzbiographien der wichtigsten Protagonisten der Alpinbewegung,
für Organigramme der Vereinsleitungen, die umfassende Bibliographie und ein
minutiöses Personen-, Orts- und Sachregister. Der mit rund 44 Euro erstaunlich
günstige Band belegt nachdrücklich, dass sich die drei herausgebenden Vereine
zwar ohne Wenn und Aber ihrer Vergangenheit stellen, aber doch darauf verweisen
dürfen, dass der nun rund zwei Jahrhunderte alte Alpinismus insgesamt und die
circa 150 Jahre alten Alpenvereine des deutschsprachigen Raumes im speziellen
nicht bloß als Vorgeschichte der NS-Zeit bzw. als Vordenker des
Nationalsozialismus verstanden werden können. Derartige differenzierte und
unaufgeregte Befunde wünscht man sich auch für alle jene Organisationen, deren
„Vergangenheitsbewältigung“ noch nicht abgeschlossen ist.
Graz Martin
Moll