Asche, Matthias, Von der reichen hansischen Bürgeruniversität zur armen mecklenburgischen Landeshochschule. Das regionale und soziale Besucherprofil der Universitäten Rostock und Bützow in der frühen Neuzeit (1500-1800), 2. Aufl. (= Contubernium Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 70). Steiner, Stuttgart 2010. XIX, 654 S. Besprochen von Filippo Ranieri.
Bei der vorliegenden Monographie handelt sich um die zweite, durchgesehene Auflage der von Anton Schindling betreuten Tübinger historischen Dissertation des Verfassers aus dem Jahre 1997. Der Verfasser, heute außerplanmäßiger Professor für Neuere Geschichte an der Universität Tübingen, ist ein bekannter Spezialist der deutschen Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte (Siehe von ihm zuletzt: Studentische Arkangesellschaften im 17. und 18. Jahrhundert. Landsmannschaftliche Studentenorden an deutschen Universitäten, Bensheimer Gespräche 2011, 14.-16. April 2011). Die erster Auflage der Dissertation war im Jahre 2000 in derselben Reihe (Contubernium - Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte; Bd. 52) erschienen. Dazu existiert bereits eine Vielzahl von positiven Rezensionen (Siehe etwa R. A. Müller, in: H.Soz.-u-Kult. 07.07.2000; G. Köbler, in dieser Zeitschrift, GA Bd. 126.2009, S. 586; W. Gerrit, in: Historische Zeitschrift Bd. 274.2002, S. 454-456; M. Maaser, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte Bd. 51.2001, S. 381-382; P. H. Wilson, in: English Historical Review Bd. 116.2001, S. 721-722). Der Forschungsstand hat sich seitdem beträchtlich verändert. Aus der inzwischen erschienenen umfangreichen Literatur zur Geschichte der Universität Rostock seien hier wenigsten die zwei wichtigen Monographien von Stephanie Irrgang, Peregrinatio academica. Wanderungen und Karrieren von Gelehrten der Universitäten Rostock, Greifswald, Trier und Mainz im 15. Jahrhundert (Beiträge zur Geschichte der Universität Greifswald Bd. 4), Stuttgart 2002 und von Marko Andrej Pluns, Die Universität Rostock 1418-1563. Eine Hochschule im Spannungsfeld zwischen Stadt, Landesherren und wendischen Hansestädten, Köln/Weimar/Wien 2007 erwähnt (dazu die Würdigung des Verfassers, S. 532 und S. 543). Alles dies rechtfertigte zweifellos den Entschluss von Verfasser und Verlag, das Werk in einer korrigierten und ergänzten Neuauflage herauszubringen. Allerdings ist die ursprüngliche Monographie in der Neuauflage, von etlichen allfälligen Korrekturen abgesehen, weitgehend unverändert geblieben. Auch Literatur und Quellenangaben (S. 489-527) sind unverändert übernommen worden. Unverändert sind anscheinend auch die zahlreichen tabellarischen Anhänge (S. 547-635), die das Werk abschließen. Ergänzt wurde die Neuauflage nur durch einen letzten neuen Abschnitt „Zum aktuellen Forschungsstand zur Geschichte der Universitäten Rostock und Bützow“ (S. 529-545). Darin bespricht der Verfasser die seit Fertigstellung der Dissertation veröffentlichte umfangreiche universitätshistorische Literatur zu Rostock und Bützow. Die Untersuchung des Verfassers ordnet sich um drei Schwerpunkte. Zum Ersten werden die Geschichte und die Strukturentwicklung der Universität Rostock analysiert und zwar seit ihrer Gründung im Jahre 1419 aufgrund des Zusammenwirkens der Herzoge von Mecklenburg mit dem hansestädtischen Patriziat (Kap. 1, Die Geschichte der Universitäten Rostock und Bützow, S. 25-150). Die Universität wandelte sich ab dem 16. Jahrhundert von einer Juristenausbildungsstätte zu einer Theologenuniversität mit regionalem Charakter. Die wichtigste Konklusion des Verfassers ist hier, dass die Universität sich zwar in ähnlicher Weise entwickelte wie die übrigen Universitäten in den damaligen deutschen Territorien, jedoch zugleich auch wesentlich unter den ständigen regionalen Konflikte zwischen den mecklenburgischen Herzogen und dem Rat der Stadt litt. Daraus erkläre sich der stetige Niedergang der Landes- und Provinzuniversität im 17. und 18. Jahrhundert. Diese Konflikte führten in der Tat zur fürstlichen Konkurrenzgründung einer herzoglichen Universität in Bützow zwischen den Jahren 1760 und 1789. Solche Konflikte bedingten zudem einen ständigen Niedergang der Universität, die ihre anfängliche überregionale Bedeutung einbüßte und sich zunehmend auf eine verarmte lokale Ausbildungsstätte des einheimischen lutherischen Klerus und Verwaltungspersonals reduzierte. Dies war allerdings nicht immer auch mit einem kulturellen Niedergang verbunden. Der Verfasser verdeutlicht dies mit einer Analyse der lutherischen Hochschulausbildung während der Jahre 1563 und 1648 (S. 83-92). Zum Zweiten will der Verfasser eine detaillierte prosopographische Analyse des Universitätspersonals präsentieren. Hier sieht er das Modell einer „Familienuniversität“, eng verbunden mit der damaligen mecklenburgischen ständischen Sozialverfassung, exemplarisch bestätigt (Kap. IV, Universitäten als Patronagegemeinschaften, S. 377-465). Die Analyse offenbart in der Tat, wie die Rekrutierung des Lehrpersonals sich seit Ende des 16. Jahrhunderts zunehmend auf das geschlossene Netzwerk der Familien der Universitätsangehörigen und des herzoglichen und städtischen Patriziats einengte. Dies bedeutete zugleich (Kap. V, Das Profil der Universitäten Rostock und Bützow, S. 467-487) ein wenig rezeptionsfreundliches Klima für die neuen Ideen des Pietismus und der Frühaufklärung. Zum Dritten sucht der Verfasser eine weitere Bestätigung des erwähnten Niedergangs in einer breiten historisch-quantitativen Auswertung der geographischen Herkunft und der beruflichen Karrieren der Rostocker Studenten (Kap. II, Die frequentielle Entwicklung der Universitäten, S. 151-233 und Kap. III, Universitäten als Kommunikationsgemeinschaften, S. 235-375). Dadurch soll das „regionale und soziale Besucherprofil der Universitäten Rostock und Bützow“ analysiert und interpretiert werden. Asche orientiert sich hier („Methodische Vorbemerkungen“, S. 19-23) am Vorbild von Rainer Chr. Schwinges, (Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches, Stuttgart 1986). Ausgewertet wurden vornehmlich die Universitätsmatrikel (Matrikel Edition von Adolf Hofmeister, 7 Bd. 1889-1922) in der Zeitspanne zwischen 1500 und 1800. Diese zeitliche Zäsur wird allerdings nicht ausreichend begründet. Im Ergebnis zeigt der Verfasser hier ein in den Jahrzehnten zunehmendes regionales und lokales Einzugsgebiet der Studentenschaft und ihrer beruflichen Verortung. Zentrales Resultat ist also, dass sich das Studium an der „Protestantischen Familienuniversität“ (und somit zugleich der soziale Aufstieg) auf das Rostocker Stadtbürgertum konzentrierte und mit einer Verkleinerung des Einzugsraumes vonstattenging. Vergleichende Hinweise zu andere Institutionen bestätigen in den Augen des Verfassers diese Feststellung. Zahlreiche Bilder, historische Karten und Tabellen zur frequentiellen Entwicklung, Fakultätsverteilung, Konjunktur- und Depressionsphasen, zum regionalen Herkunftsprofil sowie zur sozialen Rekrutierung der Studentenschaft (S. 547-635) fassen hier die Ergebnisse zusammen und verdeutlichen sie in prägnanter Weise. Neben der Universitätsmatrikel hat der Verfasser eine Vielzahl archivalischer Quellen, vornehmlich Rostocker Provenienz, herangezogen. Überraschenderweise wurden die zahlreichen gedruckten Rostocker Universitätsdissertationen und Promotionsschriften aus dem 17. und 18. Jahrhundert allerdings kaum beachtet und ausgewertet. Sie enthalten bekanntlich reichhaltige biographische Informationen, die die Datenbasis des Verfassers zweifellos hätten ergänzen können. So zitiert Asche aus dem Frankfurter Dissertationenprojekt des Rezensenten nur eine einzige ältere Publikation aus dem Jahre 1986, nicht jedoch das Biographische[s] Repertorium der Juristen im Alten Reich. 16.-18.Jahrhundert, A-E, hg. v. von Filippo Ranieri und Karl Härter (Ius Commune CD-ROM. Informationssysteme zur Rechtsgeschichte 1), Frankfurt (Main) (: Klostermann/Lars GmbH) 1997. Übersehen hat der Verfasser ebenso die kleine Studie des Rezensenten (zusammen mit Glöckner, Hans Peter, Hg.), Beiträge zur Geschichte der Juristischen Fakultät der Universität Rostock, Rostock (: Universitätsdruckerei) 1994, die gerade auf einer historisch-quantitativen Auswertung der Dissertationenschriften aus dem Frankfurter Projekt basiert. Alles im allem stellt die Monographie dennoch eine beeindruckende Leistung und eine unverzichtbare Lektüre bei allen künftigen historischen Studien zu Rostock und Mecklenburg dar.
Saarbrücken Filippo Ranieri