Archivgesetz (ArchG-ProfE). Entwurf eines Archivgesetzes des Bundes, hg. v. Schoch, Friedrich/Kloepfer, Michael/Garstka, Hansjürgen (= Beiträge zum Informationsrecht 21). Duncker & Humblot, Berlin 2007. 439 S. Besprochen von Peter Collin.

 

Eine Arbeit zum geltenden Recht in dieser Zeitschrift zu rezensieren, mag zunächst ungewöhnlich erscheinen. Die behandelte Rechtsmaterie jedoch bestimmt zu einem Gutteil die Arbeitsbedingungen des Rechtshistorikers, so dass archivrechtliche Reformüberlegungen durchaus auch auf rechtsgeschichtliches Interesse stoßen dürften. Diese Reformbemühungen zielen auf eine erhebliche Umarbeitung des Bundesarchivrechts (welches übrigens seit der Publikation des besprochenen Bandes keine Änderung erfahren hat), strahlen aber auch auf das Landesarchivrecht aus, da sich die Regelungsprobleme dort in gleicher Weise stellen.

 

Das Werk von Schoch, Klöpfer und Garstka ist vierteilig aufgebaut. Dem Text des Entwurfs für ein Bundesarchivgesetz schließt sich ein Einleitungsaufsatz mit grundlegenden Überlegungen an („Archivrecht in der Informationsgesellschaft“), dem folgt die Begründung der Entwurfsregelungen, am Schluss steht ein Dokumentationsteil, der bundes- und europarechtliche Bestimmungen mit archivrechtlicher Relevanz sowie die Landesarchivgesetze enthält.

 

Reformüberlegungen zum Archivrecht beziehen ihre Impulse vor allem aus zwei Kontexten. Zum einen entstehen aufgrund des technischen Fortschritts völlig neue Möglichkeiten der Übertragung, Speicherung und Erschließung von Archivgut – Stichwort: Digitalisierung des Archivwesens. Zum anderen ist auch das Archivrecht in das Fahrwasser einer Diskussion geraten, die sich unter dem Oberbegriff „Transparenz“ zusammenfassen lässt.

 

Das Digitalisierungsproblem ist vielschichtig. Zugespitzt gesagt, sind die Archivare mit einem neuen Archivverständnis konfrontiert, das die Information aus der einzelnen Akte herausgelöst sieht und nur noch Datenbestände kennt, die auf der Grundlage intelligenter Verschlagwortung identifiziert, vernetzt und neukombiniert werden können. Teilweise ignorieren derartige Visionen aber die damit verbundenen technischen, organisatorischen und rechtlichen Schwierigkeiten. Erstens besteht die Gefahr des Kontextverlustes: Bei Informationen ohne Akte geht das Wissen über den Entstehungszusammenhang verloren. Die Vernetzung der Datenbestände muss also sowohl Kontextualisierung als auch Dekontextualisierung gewährleisten. Zweitens ist die Überführung vom Papierzustand in die digitalisierte Form oder von einer digitalisierten Form in eine andere immer mit dem Risiko des Authentizitätsverlusts und - juristisch - des Beweiswerts verbunden.  Dem kann nur durch aufwändige Konversions- oder Emulationsverfahren begegnet werden, ganz ausgereift ist die Technik wohl noch nicht. Drittens schließlich stoßen uneingeschränkte Verknüpfungsmöglichkeiten bei neueren Aktenbeständen auf datenschutzrechtliche Probleme, die nur teilweise durch Anonymisierung behoben werden können. Zudem muss beachtet werden, dass verschiedene Akteurskonstellationen betroffen sind: Verwaltungsintern kommt es auf eine Aktenführung und Datenspeicherung an, die das Schriftgut „archivfähig“ aufbereitet. Betroffen sind weiter die Beziehungen zwischen abgabeverpflichteter Verwaltung und Archiv. Ferner ist die archivinterne Organisation zu regeln. Und schließlich sind neue Gestaltungsformen der Nutzung zu entwickeln.

 

Ein Archivgesetz kann nur einen Teil dieser Managementprobleme regulieren, wie auch die Verfasser feststellen (S. 55f.). Vor allem technische Regelungen müssen einer untergesetzlichen Normierung vorbehalten bleiben, z. T. hängt der Erfolg von Reformbemühungen von der Entwicklung der nur partiell – und dann nicht in einem Archivgesetz – reglementierbaren Verwaltungskultur ab. Der Gesetzentwurf enthält dann auch nur einige Rahmenregelungen zur digitalen Schriftgutverwaltung. Zu nennen sind vor allem § 9 Abs. 3, der die Verwaltungen bei der Übergabe elektronischer Datenträger zur Lieferung der für die Verarbeitung und Nutzung notwendigen Begleitinformationen verpflichtet, § 9 Abs. 5, der die Konvertierung öffentlicher Urkunden zum Zweck der Beweiskraft regelt, und § 10 Abs. 4, der die Archive zur Beachtung archivfachlicher Erfordernisse anhält, wenn sie Papierschriftgut in anderer Form archivieren wollen.

 

Weitaus konkreter hingegen fallen die Vorschläge zur Durchsetzung des Transparenzprinzips aus. Die diesbezüglichen Reformüberlegungen sind auch für Rechtshistoriker mit zeitgeschichtlicher Perspektive von hohem Interesse. Im Mittelpunkt steht zunächst die Harmonisierung von Informationsfreiheitsrecht und Archivrecht. Das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) des Bundes sieht in § 1 grundsätzlich einen öffentlichen Zugang zu amtlichen Informationen vor (entsprechende Bestimmungen finden sich in den Informationsfreiheitsgesetzen der Länder). Das bisherige Archivrecht hingegen geht von dreißigjährigen Schutzfristen aus. Mittlerweile ist ein Kompromiss gefunden. Zumindest jenes Schriftgut, das vor der Archivierung einem Zugang nach dem IFG offenstand, soll nach § 5 Abs. 4 Satz 2 Bundesarchivgesetz (BArchG) ebenfalls frei zugänglich bleiben; im übrigen gelten die Regelschutzfristen weiter (§ 5 Abs. 1 BArchG). Hierbei wollen es die Autoren nicht belassen. Im Einklang mit vielen gleichlautenden Forderungen aus dem Schrifttum fordern sie den allgemeinen Wegfall der Sperrfristen. § 14 des Entwurfs statuiert daher einen allgemeinen freien Zugang, gerechtfertigten behördlichen Geheimhaltungsinteressen wird mit besonderen Versagungsgründen Rechnung getragen (§ 15 des Entwurfs). Allerdings gilt dies nur für Sachakten. Archivgut mit Personenbezug unterliegt einem besonderen Schutz. Nach geltendem Recht ist es grundsätzlich erst 30 Jahre nach dem Tod des Betroffenen zugänglich. Der Entwurf (§ 16) verkürzt diese Frist auf zehn Jahre, so wie dies auch in einigen Landesarchivgesetzen geregelt ist. Keinerlei Schutzfrist soll für Personen der Zeitgeschichte und Amtsträger gelten (siehe heute schon die Verkürzungsmöglichkeiten in § 5 Abs. 5 S. 4 BArchG) – ein Vorschlag, der von den Vertretern der Zeitgeschichte wahrscheinlich begrüßt, aber sicher auch Konflikte aufwerfen wird.

 

Insgesamt zielen die Reformüberlegungen darauf, die Stellung des staatlichen Archivs als Hüter des kulturellen Erbes zu stärken. Dies kommt vor allem in den Vorschlägen zur Erweiterung der Abgabepflicht zum Ausdruck. Sind nach dem geltenden Bundearchivrecht lediglich öffentlich-rechtliche Stellen zur Abgabe ihres Archivguts verpflichtet, erstreckt der Entwurf (§ 6 Abs. 1) den Abgabezwang auch auf private Verbände, in denen der Bund die absolute Mehrheit der Anteile bzw. Stimmen innehat. Vor allem aber soll die Möglichkeit eröffnet werden, privates Archivgut anzufordern, wenn dieses von „gesamtstaatlicher Bedeutung“ ist und ein „zwingendes öffentliches Bedürfnis“ besteht (§ 7 Abs. 1 des Entwurfs). Diese bisher nicht vorgesehene Befugnis zur zwangsweisen Anforderung würde das staatliche Zugriffsrecht erheblich ausweiten – allerdings auch nur dann praktisch relevant werden, wenn private Archive ihrerseits keinen öffentlichen Zugang ermöglichen.

 

Die für das Bundesarchivrecht vorgeschlagenen Änderungen wären in ähnlicher Weise von Belang für das Landesarchivrecht, das viele gemeinsame Grundzüge mit ersterem aufweist, sich allerdings in zahlreichen Detailregelungen von diesem unterscheidet. Das Werk von Kloepfer, Schoch und Garstka eröffnet dem Rechtshistoriker nicht nur einen umfassenden Blick auf das geltende Archivrecht, sondern macht ihn auch mit Veränderungsbedürfnissen und den damit verbundenen Kontroversen vertraut. Evident ist sein Wert für die Vertreter der juristischen Zeitgeschichte.

 

Frankfurt am Main                                                                  Peter Collin