Apokalyptische Jahre. Die Tagebücher der Therese Lindenberg 1938 bis 1946, hg. v. Christa Hämmerle, Christa/Gerhalter, Li unter Mitarbeit von Brommer, Ingrid/Karner, Christine. Böhlau, Köln 2010. X, 389 S. Besprochen von Hans-Michael Empell.

 

Die in diesem Buch veröffentlichten Tagebuchaufzeichnungen Therese Lindenbergs (1892-1980) sind der an der Universität Wien eingerichteten  „Sammlung Frauennachlässe“ entnommen. Die Finanzierung der Arbeit wurde möglich durch eine ebenfalls an der Universität Wien geschaffene Forschungsplattform zur „Neuverortung der Frauen- und Geschlechtergeschichte im veränderten europäischen Kontext“, zu deren Aufgaben es gehört, Frauentagebücher aus dem 19. und 20. Jahrhundert zu erschließen.

 

Die gründliche und detaillierte Einführung einer der beiden Herausgeberinnen, Christa Hämmerle, mit dem Titel „Trost und Erinnerung. Kontexte und Funktionen des Tagebuchschreibens von Therese Lindenberg (März 1938 bis Juli 1946)“ lässt erkennen, dass die Tagebuchautorin aus armen Verhältnissen stammte (ihre Mutter war eine Magd), die sich schon früh für Kunst, vor allem Musik und Dichtung, begeisterte, aber auch für Philosophie und Politik interessierte, sich zeitweise in der Sozialdemokratie engagierte und kleinere Textbeiträge in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichen konnte, während ihr die Publikation von Roman- und Dramenmanuskripten versagt blieb. Ihr Schicksal nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich (1938) wurde durch ihre Ehe mit dem Juden Jakob Lindenberg (1875-1952) geprägt, den sie 1915 geheiratet hatte. Die Tagebuchschreiberin selbst hatte zwar einen jüdischen Vater, war aber unehelich geboren und wurde später von ihrem (nicht-jüdischen) Stiefvater als eigenes Kind rechtlich anerkannt, so dass ihre Abstammung offiziell geheim blieb. Gemäß den „Nürnberger Gesetzen“ befanden sich die Autorin und ihr Mann in einer „nicht privilegierten Mischehe“. Während ihre Tochter nach Manila emigrieren konnte, lebte sie mit ihrem Mann weiterhin in Wien und erfuhr die Verfolgungen und Diskriminierungen, der alle Juden und deren nicht-jüdische Ehepartner ausgesetzt waren. Allerdings blieb den in einer „Mischehe“ lebenden Juden die Deportation in ein Vernichtungslager meistens erspart.

 

Die Aufzeichnungen werden in zwei Versionen mitgeteilt. Zunächst wird eine 1975 erstellte, gekürzte, stärker dokumentierende Fassung wiedergegeben. Es folgen die Originalaufzeichnungen vom 4. 3. 1938 bis 25. 8. 1946, kurz nachdem Therese Lindenberg Nachricht davon erhielt, dass ihre Tochter und deren Familie in der Emigration überlebt hatten. Die Aufzeichnungen geben den beschwerlichen Alltag des Ehepaars unter der Geltung der Rassengesetze wieder, aber auch besondere Ereignisse, etwa die Einführung der den Ehemann treffenden Pflicht, den „Judenstern“ zu tragen, und die Verbringung des Paares in ein Wiener „Judenhaus“, von der Autorin „Mischehenghetto“ genannt, ferner die Bombardierungen der Stadt, schließlich die Befreiung durch die Alliierten. Den Aufzeichnungen lässt sich entnehmen, dass die Autorin Trost im christlichen Glauben und in der Natur suchte. Die  „Nürnberger Gesetze“ und weitere, einschlägige rechtliche Regelungen bedeuteten erhebliche und existenzielle Einschränkungen für das Leben der Autorin und vor allem auch ihres Mannes. Das zeigt, wie sehr das Recht im Guten wie im Bösen das gesamte Leben eines Menschen prägt, gerade wenn er einer Minderheit angehört. Es ist konsequent, dass nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Menschenrechte im Völkerrecht erstmals umfassend anerkannt wurden.

 

Abschließend ist die gute Ausstattung des Bandes hervorzuheben: Die Tagebuchaufzeichnungen werden durch drei Register erschlossen, ein Personen-, ein Orts- sowie ein Film-, Aufführungs- und Werksregister, die auch auf einer beigefügten CD-ROM enthalten sind. Eine Reihe von Fotos dient der Illustration. Den beiden Herausgeberinnen und ihren Mitarbeitern ist für diese sorgfältige Edition zu danken.

 

Heidelberg                                                                                         Hans-Michael Empell