Zehetmayr,
Roman, Urkunde und Adel. Ein Beitrag zur Geschichte der
Schriftlichkeit im Südosten des Reichs vom 11. bis zum frühen 14. Jahrhundert
(= Veröffentlichungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung
53). Böhlau, Wien 2010, 388 S. Besprochen
von Thomas Vogtherr.
Immer
noch sind aus der Untersuchung hochmittelalterlicher Privaturkunden
Erkenntnisse über die Nutzung und Verbreitung der Schriftlichkeit zu gewinnen.
Wenn diese Untersuchungen, wie im vorliegenden Falle, sich überdies der
schwierigen Frage zuwenden, wie und warum sich im nichtfürstlichen Adel die
Siegelurkunde eigentlich durchgesetzt habe und welche Rolle dabei die Notare
spielten, werden gleich zwei Fragestellungen berührt, für die eine einfache
Antwort kaum zu geben ist. Zehetmayr hat sich dieser Fragen für das Gebiet der
Herzogtümer Österreich und Steier in den Grenzen des ausgehenden 13.
Jahrhunderts angenommen und hat näherhin die Urkundenüberlieferung der Herren
von Stubenberg, Pettau, Liechtenstein und Kuenring sowie der Grafen von Hardegg
behandelt, dazu auch einige weitere, kleinere und durchweg schlechter bezeugte
Niederadelsfamilien vergleichend hinzugezogen.
Die
Untersuchung behandelt das Thema in drei Schritten: Zunächst wird die Zeit der
hochmittelalterlichen Notitiae untersucht (S. 19-85), sodann die Phase des im
Einzelnen zu unterschiedlichen Zeiten erfolgenden ersten Auftretens von
Siegelurkunden bis etwa 1230 (S. 87-172) und endlich die Durchsetzung dieser
neuen Beurkundungsart bis in die ersten Jahrzehnte des 14. Jahrhunderts (S.
173-289). Hinzuweisen ist darauf, dass die Zwischenergebnisse der einzelnen
Untersuchungsschritte vorbildlich zusammengefasst werden, so dass die Lektüre
auch für diejenigen von Interesse ist, welche die eigentlich lokalen und
regionalen Verhältnisse nicht im Einzelnen nachvollziehen können oder wollen.
Die
allgemeinen Ergebnisse sind folgende: Schon vor dem Aufkommen erster
Siegelurkunden waren es einzelne Adelsfamilien gewohnt, Rechtsgeschäfte
schriftlich zu dokumentieren. Noch bedienten sie sich dazu nicht eigener
Adelsnotare, die vor 1150 nicht belegt sind (S. 47), und sie scheinen die
Notitiae auch nicht in größerem Umfang in ihren Archiven verwahrt zu haben. Das
änderte sich erst seit der Mitte des 12. Jahrhunderts, als zunehmend das
Bedürfnis allgemeiner Schriftlichkeit von Rechtsgeschäften in der Breite des
Adels entstand. Wichtige Neuerungen lassen sich nach Zehetmayr im
Untersuchungsgebiet auf die Zeit um 1230 datieren: Die Zahl der siegelführenden
Familien im nichtfürstlichen Adel nimmt deutlich zu, die Zahl der für sie und
bei ihnen arbeitenden Notare ebenfalls. Adlige werden zunehmend Empfänger
landesfürstlicher Urkunden, geraten so unter den Einfluss des landesherrlichen
Urkundenwesens und werden von den Klöstern mit der Erwartung konfrontiert,
Rechtsgeschäfte zu deren Gunsten auch zu besiegeln. Überdies scheint um dieselbe
Zeit die Rezeption des gelehrten Rechts auch in den Kreisen des niederen Adels
und seiner Notare sich weiter zu verbreiten.
Insgesamt
ergibt sich daraus eine bis in die 1270er Jahre langsame, danach deutliche
Zunahme adliger Siegelurkunden, die nun „beinahe selbstverständlich und
alltäglich“ werden (S. 263). Die Urkunden werden alltäglicher, damit einfacher
und standardisiert im Formular. Auf Arenga und Invocatio wird verzichtet, die
Volkssprache setzt sich durch, auf Zeugen wird nach 1300 zunehmend verzichtet.
Sicherungs- und Gewährleistungsklauseln zeigen, dass das Bedürfnis nach Absicherung
der Geschäfte gegen juristische Einsprüche ernstgenommen wird. Etwa 80 Notare
sind den untersuchten Adelsfamilien zuzuordnen. Über sie ist bei generell
dürftiger Quellenlage zu vermelden, dass sie eher über kürzere als längere
Zeiten in den Ämtern nachzuweisen sind, dass sie offenkundig in mehreren Fällen
aus dem Notariat auf Pfarreien wechselten, dass dagegen die
Urkundenausfertigung durch adlige Kapläne nur selten nachweisbar ist und dass
die ersten weltlichen Notare seit dem Ende des 13. Jahrhunderts im Amte waren.
Notare hatten unter den adligen Amtsträgern eine führende Rolle inne und
dürften neben dem Schreiben von Urkunden und Briefen wohl auch in der adligen
Verwaltung eingesetzt worden sein.
Diese
Ergebnisse werden von Zehetmayr ebenso umfassend belegt wie überzeugend
herausgearbeitet. Er stellt sich damit in die Tradition bedeutender Arbeiten
zur Entstehung des Urkundenwesens im österreichischen Raum, bringt es aber
fertig, sie durch seine Ergebnisse noch zu übertreffen. Es handelt sich um
nichts anderes als eine grundlegende und methodisch saubere, dabei leicht
nachzuvollziehende Arbeit auf einem hohen Standard. Die Benutzung der Arbeit
wird durch die üblichen Verzeichnisse erleichtert, besonders aber durch ein
Register der behandelten Urkunden (S. 347-355), das es erlaubt, die Bemerkungen
und – nicht selten! – hilfswissenschaftlich weiterführenden Kommentare
Zehetmayrs zu einzelnen Stücken rasch aufzufinden.
Osnabrück Thomas
Vogtherr