Wojak, Irmtrud, Fritz Bauer 1903-1968. Eine Biographie (= Schriftenreihe des Fritz-Bauer-Instituts 23). Beck, München 2009. 638 S. Besprochen von Albrecht Götz von Olenhusen.
Fritz Bauer, der Frankfurter Generalstaatsanwalt, hat wie kaum ein anderer die Geschichte der Nachkriegsjustiz in ihrem Verhältnis zu den NS-Verbrechen entscheidend beeinflusst und geprägt. Seinem Einsatz ist es zu verdanken, dass der Auschwitzprozess in den sechziger Jahren seine vielfältige Wirkung als Dokumentation des Grauens, seine aufklärerische Funktion in der zeitgeschichtlichen und juristischen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und für die Klärung des Kernbereichs von Recht, an dem der Unrechtsstaat zu messen war, entfalten konnte. Die von der Historikerin Irmtrud Wojak vorgelegte, großangelegte und bedeutende Biografie (zugleich eine Habilitationsschrift, die auf einer Fülle historischer Quellen, aber auf keinem persönlichen Nachlass aufbauen kann) wird dem einzigartigen Lebenslauf des aus Deutschland vertriebenen jüdischen Juristen und Sozialisten im Kontext vor allem der Nachkriegsgeschichte in mehr als einer Hinsicht vollauf gerecht.
Der nach der Machtergreifung sofort ins Konzentrationslager eingesperrte junge Jurist konnte 1935 nach Dänemark und 1943 nach Schweden flüchten. Als er nach seiner Rückkehr nach Deutschland es sich zur Sysiphus-Aufgabe machte, die Deutschen „Gerichtstag halten“ zu lassen über sich selbst, geschah dies, wie die Verfasserin zeigt, zu einer Zeit, in der die Auseinandersetzung mit dem NS-Unrechtssystem innenpolitisch wenig opportun erschien und sich ein zutiefst von idealistischem und humanem Geist geprägter, unentwegt mahnender Zeitgenosse, und sei er auch alsbald in exponierter und einflussreicher Position, im Geflecht und Gestrüpp der deutschen „Vergangenheitspolitik“ mehr Gegner als Freunde oder Bundesgenossen schaffen musste. Wojak will das Exemplarische des von den Katastrophen des 20 Jahrhunderts, von Verfolgung und Widerstand geprägten Lebens und das streitbare historisch-politische Erbe zur Rechtfertigung einer solchen Biografie hervorheben. Doch die Wirkung und Bedeutung der Persönlichkeit Fritz Bauers reicht weit über diesen Ansatz, wie ihn die Biografie dann selbst für zeitgenössische Rechtsgeschichte und Rechtspolitik einlöst, hinaus. Die Verfasserin hat den Lebenslauf des als radikalen Humanisten und Aufklärers charakterisierten Mannes von den Anfängen bis zum Beginn des Dritten Reichs minutiös nachgezeichnet. Wir können auf diese Weise mehr als nur erahnen, welche Motivationen und Maßstäbe schon früh gesetzt wurden und späteres Handeln wesentlich bestimmten. Nach seiner Rückkehr aus der Emigration bestand für Bauer kein Zweifel daran, dass die Bewältigung der Vergangenheit nur durch die Anerkennung eines übergesetzlichen Rechts im Sinne der bekannten Radbruch’schen Formel möglich sein werde. Wenn er in Braunschweig, seiner ersten Stelle nach seiner Rückkehr, die Reichstagsbrandverordnung als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und damit für nichtig erklärte, so stieß das bei einem Bundesgerichtshof auf Widerstand, dessen damalige Haltung gegenüber der Staatskriminalität des NS-Regimes auf eine weitgehende Exkulpation von NS-Tätern hinauslief. Im Remer-Prozess konnte Bauer die Anerkennung des Widerstandsrechts vom 20. Juli 1944 erreichen. Bauer initiierte in seiner neuen Position in Hessen die weitreichenden Fahndungen nach Eichmann, Bormann und Mengele, bevor der Auschwitz-Prozess, die ungesühnte NS-Justiz und die Anklagen gegen die an der Euthanasie beteiligten Täter seine ganze Kraft in Anspruch nahmen. Die justizielle Bewältigung der NS-Vergangenheit war bekanntlich trotz des unermüdlichen Einsatzes Bauers Zeit seines Lebens von schweren Rückschlägen in Justiz und Rechtspolitik gekennzeichnet. Nur wenige Spitzenfunktionäre der „T 4“-Aktionen z. B. wurden, und dann auch nur wegen Beihilfe, verurteilt. Die Prozesse gegen Spitzen der Justiz waren erfolglos. Das vielfach als skandalös empfundene Rehse-Urteil des Bundesgerichtshofs sollte Bauer nicht mehr erleben. Dass Bauer angesichts der Vielzahl der Rückschläge und der Zeitumstände das Gefühl, zu scheitern, empfinden musste, dass es vielleicht zu seinem bestimmenden Lebensgefühl wurde, das in ihm den Gedanken zu einer erneuten Emigration reifen ließ und dass er sich in der Justiz schon „wie im Exil“ oder wie „im feindlichen Ausland“ fühlte, deutet daraufhin, dass sein immer wieder hervortretender Pessimismus eben vor allem externe, durchaus begründete Ursachen hatte. So gesehen ist diese Biographie - neben der historischen Sachlichkeit der Darstellung dieser einzigartigen leidenschaftlichen Persönlichkeit – auch eine deprimierende Geschichte einer letztlich in vieler Hinsicht gescheiterten Aufarbeitung der NS-Vergangenheit durch die deutschen Ermittlungs-, Verfolgungs- und Gerichtsinstanzen nach 1945 und damit letztlich auch eine höchst beklemmende Lektüre. Bauer – neben den unaufhörlichen Behinderungen, Anfeindungen, Morddrohungen einerseits auch immer wieder andererseits von bedeutenden Persönlichkeiten und einer Gruppe von Mitarbeitern unterstützt – blieb am Ende in seiner Arbeit so einsam wie in seinem Tod. Wenn eine solche Biografie, die trotz der vielen wichtigen Würdigungen, die Bauers Wirken in anderen historischen Werken in Teilbereichen bis heute bereits erfahren hat, gleichwohl zwingend notwendig war, dann auch deswegen , weil in der Person Fritz Bauers nicht nur der Ankläger einer Epoche, sondern eine ganze deutsche Nachkriegs-Epoche in ihren Widersprüchen, ihrem Scheitern und in ihren nur sehr begrenzten Hoffnungen auf Einsichten in die Lehren der Vergangenheit sich darstellt.
Freiburg im Breisgau Albrecht Götz von Olenhusen