Willoweit, Dietmar, Deutsche Verfassungsgeschichte – Vom Frankenreich bis zur Wiedervereinigung Deutschlands. Ein Studienbuch (= Kurzlehrbücher für das juristische Studium). 6. Aufl., Beck, München 2009. XXXV, 486 S. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Ein Klassiker geht in sein drittes Jahrzehnt: Die „Deutsche Verfassungsgeschichte“ Dietmar Willoweits liegt seit 2009 in sechster Auflage und in einem leicht vergrößerten Format vor. Mehrfach verändert und erweitert, hat dieses seit 1990 publizierte Studienbuch des gebürtigen Ostpreußen und nunmehrigen Präsidenten der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, der zwanzig Jahre lang der Würzburger Rechtsgeschichte als Ordinarius die Richtung gewiesen hat, über mehrere Generationen Studierende der Rechtswissenschaft begleitet und instruiert.

 

Nach der Anführung des Inhaltsverzeichnisses und zweier weiterer Verzeichnisse - der Abkürzungen und der zitierten Zeitschriften, Reihen und Quellensammlungen – folgen eine einleitende Kurzdarstellung des Untersuchungsgegenstandes und ein Überblick über das aktuelle Schrifttum. Daran reihen sich in chronologischer Abfolge die jeweils weiter in Kapitel, Paragrafen, römisch bezifferte Abschnitte und arabisch gezählte Unterabschnitte unterteilten, insgesamt vier Hauptteile des Inhalts. Deren erster, „Vom Personenverband zur Reichsorganisation“, setzt in spätantik-frühmittelalterlicher Zeit mit dem Fortwirken römischer Verwaltungstraditionen und der Konstituierung des Reichs der Franken ein und führt herauf bis ins hohe Mittelalter und ans Ende der staufischen Herrschaft, wo die Fürstenprivilegien der Confoederatio cum principibus ecclesiasticis (1220) und des Statutum in favorem principum (1232) fundamentale Rechtsgewährungen bezeichnen, von denen Willoweit sagt, dass sie zwar „lange Zeit nur als Ausdruck kaiserlicher Ohnmacht angesehen“ worden wären, es jedoch „bis heute nicht gelungen“ sei, sie „aus dem Rechtsdenken ihrer Zeit heraus zu begreifen“ (S. 66). Der zweite Großabschnitt, „Reichsordnung und Staatsbildung“, erfasst den Zeitraum vom Interregnum bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches 1806, das sich bereits mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 abzeichnete, mit dem man nach Willoweit den Weg der „Respektierung wohlerworbener Rechte aller Reichsglieder“ verlassen und einen Prozess eingeleitet hatte, von dem „niemand absehen (konnte), wo er sein Ende finden und ob die nur noch dynastisch gedachte Legitimität in allen Fällen respektiert werden würde“ (S. 205). Der dritte Teil, „Der monarchische Verfassungsstaat“, führt über den Deutschen Bund und die Reichsgründung von 1871 bis zum Ende des Wilhelminischen Zeitalters. „Demokratie und Diktatur“ sind die Pole, um die der vierte und zugleich letzte, dem zwanzigsten Jahrhundert verschriebene Großkomplex kreist, der nicht weniger als die Weimarer Republik, den nationalsozialistischen Führerstaat, die Bundesrepublik und die Deutsche Demokratische Republik und schließlich die Wiedervereinigung zu einem einheitlichen deutschen Staat im Jahr 1990 zum Gegenstand hat.

 

Dies alles, für jeden der insgesamt 46 Paragrafen noch ergänzt um reichhaltige, im Kleindruck gehaltene Hinweise zu relevanten Quellentexten und entsprechender Literatur, auf knapp 400 Seiten darzustellen und dabei abseits der streng verfassungsrechtlichen Fragen auch Bereiche wie das Gerichtswesen oder gesellschaftspolitische Aspekte einzubinden, ist nicht einfach zu bewerkstelligen. Dennoch können dem durch eine mehr als 20 Seiten umfassende, die Verfassungsgeschichte, die politischen Ereignisse und die jeweils Herrschenden in synchroner wie diachroner Form darstellende Zeittafel, zehn geschichtliche Landkarten und umfangreiche Namens-, Orts- und Sachverzeichnisse aufgeschlossenen Werk keine wesentlichen Versäumnisse angelastet werden, was in Anbetracht der langen Einführungszeit aber keine besondere Überraschung darstellt.

 

Das gilt hingegen leider nicht für die Mängel in der Textverarbeitung, die in Zusammenhang mit einer zu empfehlenden Umstellung des Buches auf die aktuellen Normen der deutschen Orthographie beseitigt werden könnten und sollten. C. Löser (nach eigener Angabe Mitglied der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Greifswald, jedoch auf deren aktueller Website am 5. 3. 2010 unter dem Fakultätspersonal nicht aufscheinend) hat diese Fehler in einer mit dem Wikipedia-Eintrag zu Dietmar Willoweit verlinkten Besprechung des Buches ebenso akribisch aufgelistet wie er inhaltlich Kritik übt, Zusätze einmahnt und Verbesserungsvorschläge anbietet. Hauptstoßrichtung ist die verfassungsrechtliche Terminologie Willoweits, der Löser mangelnde Exaktheit vorwirft. So stößt er sich beispielsweise an der unpräzisen Anwendung der Großschreibung „Deutsches Reich“ (statt „deutsches Reich“), da eine solche erst mit der offiziellen Umbenennung des Norddeutschen Bundes als Eigenname für ein deutsches Völkerrechtssubjekt gerechtfertigt sei. Auch sei es nicht zulässig zu sagen, dass Kaiser Wilhelm II. ins Exil nach „Holland“ ging, da dies im internationalen Verkehr keine zulässige Bezeichnung für den damit gemeinten Staat sei. Gar als groben Fehler bezeichnet Löser die Feststellung Willoweits, dass sich die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches begriff, denn eine Rechtsnachfolge erfordere ein anderes Rechtssubjekt, wohingegen im gegenständlichen Fall eine Völkerrechtssubjektsidentität vorliege. Ähnliche kritische Überlegungen werden in Verbindung mit dem Zustimmungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland zur Europäischen Menschenrechtskonvention an die Verwendung des Begriffs der Supranationalität geknüpft.

 

Solche Mängelrügen mögen in der Sache berechtigt sein, vernachlässigen aber den Umstand, dass es sich bei Willoweits Zusammenstellung um ein – durchaus gelungenes und bewährtes – einführendes Kurzlehrbuch für Studierende, jedoch um keinen an Verfassungsexperten gerichteten Fachkommentar handelt. Unter diesem Aspekt erscheinen – ohne damit mangelnder Präzision das Wort reden zu wollen - die von Löser dem Verfasser vorgeworfenen „Sünden“ jedenfalls als lässlich.

 

Kapfenberg                                                     Werner Augustinovic