Will, Martin, Die Entstehung der Verfassung des Landes Hessen von 1946 (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 63). Mohr (Siebeck), Tübingen 2009. 602 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Das Land Hessen hat zwar eine wechselvolle Geschichte hinter sich, nimmt aber dessenungeachtet in der gesamten deutschen Verfassungsgeschichte einen führenden Rang ein. Zwar geht Bayern Hessen in diesem Punkt durch seine Konstitution vom 1. Mai 1808 voraus, durch die - nach Virginia, Polen, Frankreich und anderen - erstmals eine ständeunabhängige Volksvertretung in einem deutschen Staat eingeführt wurde, doch folgen sowohl Nassau (1./2. 9. 1814) wie Hessen-Darmstadt (1820) und auch Kurhessen (1831) mit nicht allzu großem Abstand. Die 1946 für das neu gestaltete Hessen in Kraft gesetzte Verfassung ist sogar die älteste in Kraft stehende Verfassung Deutschlands überhaupt.

 

Ihre Entstehung ist Gegenstand der von Gerd Hardach angeregten und mit großem Interesse begleiteten, im Sommersemester 2008 vom Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften der Universität Marburg angenommenen Dissertation des 1967 geborenen Verfassers. Dieser erwarb nach dem Studium der Rechtswissenschaft, Geschichtswissenschaft und Sinologie 1997 in Cambridge den LL.M. und wurde 1999 zum Dr. iur. promoviert. Seit seiner 2007 erfolgten Habilitation ist er im Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Marburg als Privatdozent tätig.

 

In der kurzen und klaren Einleitung schildert der damit bestens ausgewiesene Verfasser den Forschungsstand, die Quellen und das Ziel seiner Untersuchung. Dabei kann er überzeugend darauf hinweisen, dass die Entstehung der hessischen Verfassung von 1946 bisher nicht umfassend erforscht ist. Ebenso bedeutsam ist seine Übersicht über die dafür an sich zur Verfügung stehenden, vielfach archivalischen Quellen, von denen ein Großteil der wichtigen Dokumente in der Dokumentensammlung die Entstehung der Hessischen Verfassung von 1946 veröffentlicht wurde.

 

Das erste seiner insgesamt fünf Kapitel befasst sich dann mit den Rahmenbedingungen. Sie bestehen vor allem in der amerikanischen Militärregierung, der territorialen Grenzziehung, der ersten Staatsregierung und dem Staatsgrundgesetz. Von wesentlicher Bedeutung sind aber auch die auf dieser Grundlage gebildeten Parteien und deren Abschneiden in den ersten Wahlen.

 

Das zweite Kapitel hat den vorbereitenden Verfassungsausschuss zum Gegenstand, wobei bereits am 4. Februar 1946 ein Zeitplan zur Verfassungsgebung geschaffen werden konnte. Die von General Clay geforderte kleine vorbereitende Verfassungskommission wurde vom Ministerpräsidenten, der selbst dem Verfassungsausschuss vorsaß, als vorbereitender Landesausschuss unter dem Gesichtspunkt der Expertise eingesetzt (Werner Hilpert, Hans Venedey, Georg August Zinn, Hugo Swart, Ludwig Bergsträsser, Fritz Hoch, Kurt Blaum, Walter Jellinek, Karl Vossler, Heinrich von Brentano, Leo Bauer und später Georg Weinhausen). Insbesondere die Beteiligung Walter Jellineks erwies sich dabei als besonders bedeutsam, weil nach den Ermittlungen des Verfassers ein eher neutraler, von Jellinek geprägter Vorentwurf die Grundlage der Verfassung wurde.

 

Im dritten Kapitel stellt der Verfasser die Verfassungsentwürfe und Verfassungskonzeptionen der politischen Parteien vor. Bei ihnen handelt es sich um die SPD, die CDU, die KPD und die LDP. Sorgfältig arbeitet er die Kernaussagen und die sich ergebenden Gemeinsamkeiten und Konfliktfelder heraus.

 

Entscheidende Bedeutung kommt danach der im vierten Kapitel behandelten verfassungberatenden Landesversammlung zu. Nach einem Zerwürfnis im Verfassungsausschuss der Landesversammlung setzen SPD und KPD infolge ihrer Mehrheit eine insgesamt sozialistische Prägung der Verfassung durch. Obwohl im Anschluss hieran noch ein Verfassungskompromiss zwischen SPD und CDU gelingt, ist dessen Bedeutung beschränkt, da auch die hessische CDU eine soziale Programmatik bevorzugt.

 

Dem Ergebnis stimmt die Militärregierung zu. Durch Volksentscheid am 1. 12. 1946 wird die Verfassung angenommen. In der Folge beeinflusst sie den Text des Grundgesetzes wesentlich, unterscheidet sich aber gleichwohl von ihm durch den sozialistisch geprägten Gesellschaftsentwurf.

 

Insgesamt schließt der Verfasser mit seiner gewichtigen Arbeit eine schmerzliche Lücke. Im Anhang bietet er den Text. Ein Verzeichnis der in Wiesbaden, Koblenz und Marburg lagernden archivalischen und der gedruckten Quellen, ein Verzeichnis der verwendeten Literatur und ein Register von Aberkennung von Rechten bis zweite Kammer runden die gelungene Untersuchung ab.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler