Von der Ordnung zur Norm. Statuten in
Mittelalter und Früher Neuzeit, hg. v. Drossbach, Gisela. Schöningh,
Paderborn 2010. 385 S., 11 Abb. Besprochen von Peter Oestmann.
Im Mittelalter hing der ganze Rechtshimmel
voller Privilegien. Das schöne Wort von Ulrich Stutz, geschrieben im
Besprechungsteil dieser Zeitschrift[1],
trifft ebenso auf Statuten zu. Kaum ein Begriff der mittelalterlichen und
frühneuzeitliche Rechtsquellenlehre war so schillernd, bezeichnete so
vielfältige Arten von Normen wie die zentrale, aber doch schwer zu packende
Kategorie Statut. Das Zedlersche Universallexikon von 1744 enthält zum Wortfeld
Statut nicht weniger als 447 Eintragungen. Mehrere Abgrenzungen sind für die
Rechtsgeschichte besonders wichtig: Wo verlief die Grenze vom Statut zum
gemeinen Recht? Wie unterschied man statutum
und consuetudo? Gab es einen
Unterschied von Statut und Gesetz oder Konstitution? Wann waren Statuten
beweisbedürftig, wann nicht? Die Antworten fallen je nach Untersuchungsraum und
Zeit verschieden aus, die hierzu vorhandene Literatur ist umfangreich. Der
vorliegende Sammelband, entstanden aus einer Tagung des Münchener Zentrums für
Mittelalter- und Renaissancestudien[2],
nähert sich den Statuten aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Die
grundlegenden rechtshistorischen Fragen aus der Rechtsquellen- und
-anwendungslehre stehen dabei eher im Hintergrund. Auch eine einheitliche
Definition von Statuten ist nicht das Ziel der 25 Beiträge. Statt dessen
versteht sich die Zusammenschau eher als Bestandsaufnahme. Die Buntheit des
mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Statutarrechts findet auf diese Weise
ihre Entsprechung. Von den Statuten mittelalterlicher Klöster und Orden über
Weistümer und Dorfordnungen, städtische Policeyordnungen, Universitätsstatuten,
jüdische Takkanot (Statuten) bis hin zu Armenhaus- und Bruderschaftsstatuten,
ja närrischen Statuten von karnevalesken Vereinigungen reicht der Rundblick,
der so verschiedene Länder wie Deutschland, Italien, Sardinien, England,
Frankreich, Burgund, das Deutschordensland Preußen und Mallorca umkreist. Die
Herausgeberin Gisela Drossbach ist um eine wenigstens grobe Ordnung nach
Sachbereichen bemüht und bildet acht Abschnitte: Prolog, kirchliche Institutionen,
Papsttum, landesherrliche Ordnungen, städtische Einrichtungen, Adel,
Bruderschaften, Resümee. Soweit der Obertitel die Annahme nahelegt, aus einer
bestehenden Ordnung hätten sich im Mittelalter statutarische Normen entwickelt,
bestätigen die Einzelstudien das nur teilweise. Zum einen gab es die
statutarische Normierung von Herkommen und Gewohnheit, zum anderen gezielte und
planmäßige Rechtssetzung. Mehrere Verfasser stellen ihren Abhandlungen je
eigene Definitionen von Statuten voran, um dann ihr Quellenmaterial daran zu
prüfen. Häufig geht es um selbstgesetzte Normen von Gemeinschaften, die kein
eigenes Gesetzgebungsrecht hatten, aber für ihre eigenen Mitglieder Regeln
aufstellen konnten, teilweise mit ausdrücklicher Zustimmung der Obrigkeit (9-10,
71, 95, 109). Plötzlich sind dann päpstliche Kanzleiregeln keine Statuten, weil
sie nicht im genossenschaftlichen Konsens, sondern obrigkeitlich erlassen
wurden (Andreas Meyer). Und aus demselben Grunde handelt es sich für Tilmann
Schmidt bei den normativen Quellen des Kirchenstaates um Konstitutionen und
nicht um Statuten „im begrifflich-rechtssystematischen Sinne“ (109). Aber die
Aufgabe, die Vergangenheit begrifflich zu systematisieren, beansprucht die
Rechtsgeschichte schon längst nicht mehr für sich. Das verleitet Felicitas
Schmieder zu der verwegenen Forderung, den Statutenbegriff ganz
abzuschaffen. Er werde nicht benötigt und verunklare mehr, als dass er kläre
(223). Doch hat die Rechtsgeschichte diesen Terminus nicht erfunden, auch wenn
es selbstverständlich Stadtrechte und Dorfordnungen gab, die sich anders
bezeichneten. Aber als Ordnungsbegriff war statutum
über Jahrhunderte in der gelehrten Literatur von grundlegender Bedeutung. Es
ist beruhigend, dass Hans-Georg Hermann diesem Ansinnen einen Riegel
vorschiebt und damit die selbstverordnete Begriffsnot verhindert (225). Denn
wenn die Zeitgenossen mit so viel Scharfsinn darüber nachdachten, was Statuten
waren und welche Bedeutung sie hatten, muss es zu den Aufgaben der
Rechtsgeschichte gehören, zu klären, was sie damit meinten.
Die Stärke des Bandes liegt im Detailreichtum
der zumeist kurzen Beiträge, die im Rahmen einer Besprechung nicht einmal
erwähnt werden können. Bis auf eine Untersuchung von Lars Schneider über
den Buchdruck in Lyon und die beginnende Normierung des französischen
Medienmarktes, die etwas aus dem Rahmen fällt, lassen sich die anderen Autoren
auf die gemeinsamen Fragestellungen ein. Wenige Punkte müssen genügen. Kenneth
Pennington zeigt minutiös, wie in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts
die beginnende weltliche Gesetzgebung, Aufzeichnung des Decretum Gratiani und
die Rechtsschule von Bologna Hand in Hand gingen. Die Querbezüge und daraus
folgenden Datierungsvorschläge sind faszinierend und nur aufgrund der
jahrelangen Beschäftigung des Verfassers mit der Materie möglich. Ein
diskussionswürdiges Beispiel für Normentstehung präsentiert Christiane Birr
am Inhalt einer Holzordnung von 1542/50. Die Prämisse lautet, ungeschriebenes
Recht könne nur dann Befriedungswirkung entfalten, wenn seine Existenz und sein
Inhalt unstreitig seien (153). Hier wäre freilich ein Hinweis hilfreich
gewesen, dass das Oberhofwesen nicht zuletzt gerade die Aufgabe hatte, die
Rechtsunkenntnis von anfragenden Gerichten zu beheben. Die untersuchte Holzordnung
wurde 1542 mündlich vereinbart und 1550 nach einem Streitfall schriftlich
fixiert. Birr meint deshalb, die erstmalige Sanktion eines Ordnungsbruchs sei
ein „weiterer wesentlicher Schritt auf dem Weg zur Normentstehung“ (161). Das
kann in dieser Allgemeinheit nicht richtig sein und würde bedeuten, dass eine
Vorschrift, die befolgt wurde, genau deshalb keine Normqualität hatte. Gleich
im nächsten Satz ist dann auch passender von Normbekräftigung die Rede.
Rechtshistorisch sehr hilfreich sind Ausführungen von Thomas Frank über
spätmittelalterliche Bruderschaften in Italien und Deutschland. Dort geht es um
das Verhältnis von potestas statuendi
zur Jurisdiktionsgewalt sowie um verschiedene Überlieferungsformen
statutarischer Texte. Jedenfalls die Bruderschaften kannten eine feste Trennung
von statutum (genossenschaftliche
Rechtssetzung) und constitutio
(obrigkeitliche Anordnung) nicht.
Eine Zusammenfassung der vielfältigen Aspekte
ist nicht nur in einer Rezension schwer. Auch die Herausgeberin Drossbach beschränkt
sich auf die gedrängte Wiederholung der wesentlichen Diskussionspunkte. Davon
gibt es zehn, darunter Entstehungsarten der Quellen, Regelungsinhalt,
Verbreitung etc. Mehrere Beiträge behandeln Statuten ausdrücklich als
normativ-präskriptive Texte. Selbstverständlich kann man sich mit ihnen
beschäftigen, auch wenn sie in der Rechtswirklichkeit vielleicht gar nicht
befolgt wurden. Schon die Frage nach ihrer Beachtung ist möglicherweise „nicht
immer produktiv“ (325, 379). Bei den närrischen Statuten aus Frankreich ist
teilweise sogar unklar, ob es die einschlägigen Narrengesellschaften überhaupt
gab oder nicht. Aus Sicht der rechtshistorischen Germanistik ist man allerdings
erstaunt, wie Drossbach den Sachsenspiegel einordnet. „In Ermangelung der Statuten“
hätten Rechtshistoriker versucht, eine „Hilfskonstruktion“, nämlich den
Sachsenspiegel, als Rechtsbuch zu behandeln (381). Das ist unglücklich
formuliert und verdeckt zugleich den Befund, dass die einheimische Tradition
lange Jahrhunderte von einem Recht geprägt war, das vielleicht gar nicht
defizitär war, obwohl es keine Statuten kannte. Insgesamt bietet der Band
vielfältige Anregungen für weitergehende Vertiefungen. Dass die
Prozessrechtsgeschichte kaum vorkommt und allgemeine Ausführungen zum Partikularrecht
unterbleiben, markiert nur zwei von zahlreichen Anknüpfungspunkten. Die
Vielfalt der Quellen und Regelungsinhalte fordert geradezu dazu auf, sich
weiterhin Gedanken über Normsetzung und Verschriftlichung jenseits von
gelehrtem Recht und staatlicher Gesetzgebung zu machen.
Münster Peter
Oestmann