Sutter, Christiane, Flämische Gerechtigkeitsbilder des 15. Jahrhunderts. Die Visualisierung spätmittelalterlicher Auffassungen von Recht und Moral. VDM Verlag Dr. Müller, Saarbrücken 2008. 131 S. 26 Abb. Besprochen von Clausdieter Schott.

 

Mit „Gerechtigkeitsbilder“ wird ein ikonografischer Darstellungstypus bezeichnet, mit welchem allegorisch oder szenisch ethische Vorstellungen von Gerechtigkeit und entsprechende moralische Anforderungen an die Rechtsprechung veranschaulicht werden sollen. Bevorzugter Bestimmungsort sind die Stätten des Gerichts insbesondere die Rathäuser. Als Motive überwiegen im Mittelalter zunächst biblische Themen wie das Urteil Salomos oder das Jüngste Gericht, seit der Renaissance erfreuen sich auch antike oder mittelalterliche Stoffe und Symbole zunehmender Beliebtheit.

 

Die vorliegende Arbeit konzentriert sich zeitlich auf das 15. Jahrhundert und geografisch auf das nördliche Gebiet des Herzogtums Burgund. Behandelt werden drei bekannte und oft schon beschriebene und interpretierte Rathausbilder: Rogier van der Weidens Darstellung der Trajans- und der Herkinbaldslegende im Brüsseler Rathaus, Dirk Bouts’ Gerechtigkeit Ottos III. für das Löwener Rathaus und Gerhard Davids Urteil des Kambyses im Rathaus von Brügge.

 

Die seit 1439 entstandenen Tafeln Rogier van der Weidens sind zwar nicht das erste, aber doch wohl das wirkungsvollste profane Gerechtigkeitsbild, das es zu europaweiter Berühmtheit brachte. Der Trajanlegende und der Herkinbalderzählung liegt das gemeinsame Motiv der unerbittlichen Gerechtigkeit zugrunde, die auch vor den eigenen Verwandten nicht Halt macht. In beiden Fällen findet die gnadenlose Justiz durch ein Wunder die Bestätigung des Himmels. Das monumentale Bildwerk ist nicht erhalten, da es 1695 bei der Beschießung der Stadt durch Marschall de Villeroy verbrannt ist. Das ikonografische Programm, nicht auch die künstlerische Komposition, ist jedoch im vermutlich um 1450 in Tournai hergestellten Trajan- und Herkinbaldteppich überliefert. Auftraggeber war der Bischof von Lausanne, der als Reichsfürst auch Inhaber der weltlichen Gerichtsbarkeit war. Der Wandteppich war  ursprünglich wohl Ausstattungsstück eines Gerichtssaals in Lausanne, gehörte sodann zum Domschatz, wurde 1536 bei der Eroberung der Waadt von den Bernern weggeführt und befindet sich seit 1881 im Historischen Museum Bern. Bemerkenswert ist an der Darstellung, dass der Gestalt des Kaisers Trajan Aussehen und Habitus des römisch-deutschen Kaisers Sigismund verliehen sind, gewiss eine Einladung zur Interpretation zeitgenössischer Gerechtigkeitsvorstellungen.

 

Für das 1459 vollendete Löwener Rathaus waren zwei Tafeln mit der Gerechtigkeitslegende Ottos III. vorgesehen. Der Stadtmaler Dirk Bouts konnte 1473 eine Tafel noch selbst fertig stellen, die zweite wurde nach seinem Tod von unbekannter Hand vollendet. Die Bildtafeln  befinden sich heute nach verschiedenen Zwischenstationen in den Musées royaux des Beaux- Arts in Brüssel. Der unhistorische, erstmals im 12. Jahrhundert bei Gottfried von Viterbo auftretende Darstellungsstoff ist eine Mischung aus dem Potipharbericht der alttestamentlichen Josephsgeschichte und der Vita der heiligen Kunigunde. Ein Unschuldiger wird durch das Urteil des Kaisers zum Tode verurteilt und hingerichtet, jedoch durch die Feuerprobe seiner Frau nachträglich gerechtfertigt. Der Kaiser lässt Gerechtigkeit walten und schont dabei seine eigene verleumderische Gemahlin, die Urheberin des Justizirrtums, nicht. Es handelt sich hier um ein im 15. Jahrhundert einmaliges und auch später wenig nachgeahmtes Bildmotiv, das wiederum die Idee einer schonungslosen Gerechtigkeit zum Ausdruck bringen soll.

 

Mit Gerard Davids 1498 gemaltem „Urteil des Kambyses“ befindet man sich wieder in einem bekannten Themenkreis, der freilich am Ende des 15. Jahrhunderts in der bildenden Kunst noch unvertraut war. Das Diptychon war ursprünglich für den Schöffensaal des Rathauses von Brügge bestimmt und hängt heute im Groeningemuseum der Stadt. Mit der bei Herodot erstmals berichteten Erzählung von der Schindung des korrupten Richters Sisamnes und dem Exempel für seinen Sohn und Nachfolger soll in drastischer Weise wiederum die Integrität der Rechtsprechung zelebriert werden. Kaiserliche Präsenz wird auch hier markiert, wenn auch etwas versteckt in Form einer Statue auf einem Kapitell über der Gerichtslaube.

 

Der Verdienst der Arbeit besteht darin, dass die kunst- und literarhistorischen Fakten sowie die jeweiligen Interpretationsversuche und -diskussionen zusammengetragen werden. Ermüdend sind jedoch die redundanten Ausführungen zum politischen Umfeld. Auch bringen die rechtshistorischen Auswertungen nichts wirklich Neues und lassen eher eine entsprechende Kompetenz vermissen. Wenn dann unter anderen Flüchtigkeiten der lateinische Kaisertitel verstümmelt zitiert erscheint (S. 70) oder wenn für die erste Auflage des „Handwörterbuchs zur deutschen Rechtsgeschichte“ nicht nur die falsche Jahreszahl, sondern auch Albrecht Cordes als Herausgeber genannt wird, so verstärkt sich der Eindruck einer oberflächlichen Arbeitsweise. Das im Untertitel gemachte Versprechen wird insgesamt jedenfalls nicht befriedigend eingelöst.

 

Zumikon/Zürich                                                                      Clausdieter Schott