Strohm, Christoph, Calvinismus und Recht. Weltanschaulich-konfessionelle Aspekte im Werk reformierter Juristen in der frühen Neuzeit (= Spätmittelalter, Humanismus und Rezeption 42). Mohr (Siebeck), Tübingen 2008. XVII, 568 S. Besprochen von Steffen Schlinker.

 

Das Thema der Begegnung des Rechts mit religiösen Überzeugungen ist so aktuell wie lange nicht mehr. Unter dem Titel „Kulturelle Identität als Grund und Grenze des Rechts“ hat sich im Jahr 2006 die IVR-Tagung unter anderem auch dieser Problematik mit dem Bezug zur Gegenwart genähert. Der Heidelberger Kirchenhistoriker Christoph Strohm führt den Leser dagegen in die Vergangenheit, in die Zeit zwischen dem Augsburger Religionsfrieden (1555) und dem Dreißigjährigen Krieg, in der religiöse Auseinandersetzungen die europäische Politik in besonderem Maße bestimmten. In seinem klugen Buch über Calvinismus und Recht stellt Strohm die „Frage, ob und wenn ja, in welcher Weise sich die konfessionelle Orientierung auf das Werk gelehrter Juristen in der Frühen Neuzeit ausgewirkt hat.“ (S. 1). Angesichts der nicht konfliktfreien Begegnung mit Angehörigen anderer Zivilisationen will das Buch nicht nur einen Beitrag für das Verständnis der Vergangenheit leisten, sondern zugleich der Gegenwart dienen, weil die Besonderheit des westlich-säkularen Staatsverständnisses nur aus der historischen Erfahrung religiöser Konflikte verstanden und als Modell richtig gewürdigt werden kann (S. 1). Diese selbst gestellte Aufgabe, die kulturellen Entstehungsbedingungen der Entwicklung von Werten und Institutionen westlicher Zivilisation darzulegen, darf als voll erfüllt angesehen werden.

 

Strohm macht in der Einleitung darauf aufmerksam, dass in neueren Publikationen der religiöse Hintergrund der frühneuzeitlichen Juristen häufig vernachlässigt wird, so dass dessen prägende Funktion für das Verständnis eines Autors verloren gegangen sei. So erinnert Strohm an Georg Obrecht, der 1572 nach den Massakern an den französischen Protestanten während seines Studiums in Orleans in Lebensgefahr geriet und Hals über Kopf aus Frankreich fliehen musste. Dass Obrecht als einer der ersten Rechtslehrer Vorlesungen über das ius publicum gehalten hat, lässt sich – wie Strohm vermutet – mit dessen Erfahrungen in Frankreich erklären (S. 2). Die konfessionelle Orientierung und die daraus folgenden persönlichen Lebenserfahrungen der Juristen des 16. Jahrhunderts hebt Strohm daher überzeugend als wichtigen Faktor für die Entstehung und Entwicklung der Staatsrechtslehre hervor.

 

In den Mittelpunkt seiner Betrachtung stellt Strohm reformierte Juristen, deren Werke er einem Vergleich mit lutherischen und katholischen Rechtsgelehrten unterzieht. In Ergänzung zur historischen Forschung zum Prozess der Konfessionalisierung geht es Strohm nicht um die funktionale Bedeutung der Konfessionen bei der Entstehung frühmoderner Territorialstaaten, etwa im Sinne einer Säkularisierung, sondern um die inhaltliche Auswirkung der Konfession auf den Inhalt des Werks selbst (S. 5f.).

 

Die Arbeit gliedert sich in eine Einleitung (S. 1-24), einen ersten Teil zum Thema „Calvinismus und Jurisprudenz“ (S. 25-38), einen zweiten Teil über „Zentren reformierter Jurisprudenz im Reich“ mit einer profunden Analyse der Werke reformierter Juristen (S. 39-314), einen dritten Teil mit dem Titel „Der Anteil reformierter Juristen an der Entfaltung des ius publicum“ (S. 315-438), eine Darstellung der Ergebnisse (S. 439-460), ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 461-541) sowie ein Namens- und Sachregister (S. 543-568).

 

Die Einleitung zeichnet sorgfältig den Forschungsstand nach, bedenkt methodische Probleme und erläutert die Vorgehensweise. Im Einklang mit der bisherigen Forschung wird die Bedeutung des Prozesses der Konfessionalisierung für die Ausbildung des frühmodernen Territorialstaats hervorgehoben (S. 5), wenn auch auf lange Sicht für die Staatsbildung der Prozess der Säkularisierung im Sinne einer Verweltlichung vieler Lebensbereiche stärker und europaweit bedeutsamer gewesen sei als der Prozess der Konfessionalisierung (S. 7f.). Allerdings sieht Strohm in der Konfessionalisierung im Prozess der Ausbildung säkularer Herrschaft einen Beschleunigungseffekt. Die Staatswerdung in den deutschen Territorien vollzieht sich daher durch die Neutralisierung der Konfession in einem Vorgang der Verrechtlichung. So dient das weltliche Recht als Mittel der Eingrenzung religiös begründeter Konflikte mit ihren gegenseitigen unbedingten Wahrheits- und Ausschließlichkeitsansprüchen (S. 7).

 

In diesem Prozess der Verrechtlichung ist nach einer Beobachtung Strohms der Anteil der protestantischen Juristen auffällig hoch (S. 315ff.). Eine Antwort, warum das reformatorische Gedankengut calvinistischer Prägung für Juristen attraktiv war, gibt Strohm im Kapitel „Calvinismus und Jurisprudenz“. Er erläutert die enge Verbindung zwischen der Lehre Calvins und der humanistischen Rechtswissenschaft und führt damit zugleich in den geistesgeschichtlichen Zusammenhang für die nachfolgende Darstellung ein (S. 25-38). In der Tat waren viele herausragende Protagonisten des Calvinismus in der humanistischen Jurisprudenz ausgebildet worden. Der Ruf Ad fontes! hatte Theologen und Juristen gleichermaßen erreicht und führte zur Berücksichtigung der historischen Entstehungsbedingungen der jeweils für das Fach grundlegenden Texte in der Bibel und im Corpus Juris Civilis (S. 28f.). Das gemeinsame Ziel war sowohl die Zurückdrängung hoch- und spätmittelalterlicher Dogmatik als auch das bessere Verständnis der Texte im Lichte von Vernunft und Gerechtigkeit (S. 34). So stimmten der juristische Humanismus und die kirchliche Reformation in zentralen Punkten überein.

 

Der Calvinismus hatte zudem – anders als Luther - eine positive Haltung gegenüber der humanistischen Ethik. Das humanistische Erbe mit den ethischen und politischen Schriften Platons, Aristoteles’ und Ciceros, das die Gestaltung des Gemeinwesens auf ein gutes und glückliches Leben ausrichtete, konnte nach calvinistischer Auffassung im Mittelpunkt der rechtlichen Betrachtung stehen (S. 31). Neben den antiken Schriften hatte auch das biblische Gesetz im Calvinismus eine positive Funktion als Orientierungsmaßstab für die Ausgestaltung des Gemeinwesens (S. 223). Auch diese Überzeugung stand im Gegensatz zur lutherischen Auffassung, für die das Gesetz lediglich die Sündhaftigkeit des Menschen anzeigte. Die Vorstellung von der ethischen Dimension des Rechts sollte Auswirkungen auf die Reglementierung sozialen Lebens in der politischen Gemeinde zeitigen.

 

Der Bedeutung des Calvinismus für die Entwicklung des öffentlichen Rechts widmet sich der zweite Teil (S. 39-314), der den Schwerpunkt des Buches ausmacht. Hier untersucht Strohm kritisch die Werke dezidiert reformierter Juristen in den Zentren reformierter Jurisprudenz im Reich (Heidelberg, Basel, Herborn, Marburg). Jede Untersuchung beginnt mit einem Überblick über die Geschichte der Fakultät und zur Biographie. Strohm versäumt nicht, die enge Beziehung der Juristen mit der Politik hervorzuheben. Umfangreiche Exzerpte aus den Quellen finden sich den Fußnoten, welche die Ausführungen Strohms sinnvoll ergänzen und die zeitgenössischen Juristen selbst zum Sprechen bringen. Es gelingt Strohm zu zeigen, wie sich calvinistische Überzeugungen beispielsweise bei Hugo Donellus und Dionysius Gothofredus auf die juristische Argumentation auswirkten (S. 54, 161ff.). Dabei hebt er folgende Besonderheiten hervor: Die untersuchten Juristen sahen im Protestantismus calvinistischer Prägung die erwünschte Vereinigung von Vernunft und biblischer Religion (S. 54, 161f., 217f.). Sie waren erfüllt von der Überzeugung einer Übereinstimmung des Christentums in reformierter Gestalt mit den Idealen des Humanismus (S. 58f., 261, 405ff.). Sie waren geprägt durch die Erfahrung der Verfolgung aus Glaubensgründen und durch die Wahrnehmung eines Gegensatzes von wahrer biblischer Religion einerseits und einer durch Aberglauben und Machterhalt charakterisierten Papstkirche andererseits. Sie begründeten schließlich die alleinige Zuständigkeit des weltlichen Regiments für das äußere Leben und die Organisation menschlichen Zusammenlebens.

 

Bemerkenswerterweise kann Strohm feststellen, dass alle untersuchten Autoren trotz ihrer religiösen Überzeugung ausschließlich juristisch argumentierten. Bibeltexte spielen in der juristischen Argumentation eine eher untergeordnete Rolle. Theologische Kontroversen finden erst recht so gut wie gar keine Beachtung (Ausnahme: Johannes Althusius, S. 205ff.). Das gilt insbesondere für die unter Theologen heftig umstrittenen Themen wie die Prädestinationslehre und die Natur des Abendmahls (S. 162). Bestätigen kann Strohm den Befund Horst Dreitzels, dass ein Einfluss der reformatorischen Bundeslehre auf die Staatslehre bei Althusius nicht erkennbar ist (S. 259f.). Gleichwohl arbeiteten die untersuchten Autoren aus dem römischen Recht, den Schriften Ciceros und der Bibel Grundsätze heraus, die für die Gestaltung des Zusammenlebens der Menschen nach reformatorischer Auffassung unerlässlich waren (S. 86f., 102f., [Donellus], S. 154ff., [Gothofredus], S. 210f., 223f., [Althusius], S. 248f., [Hoenonius], auch S. 362ff.). Die besondere Erfahrung von Donellus als Glaubensflüchtling bildet den Hintergrund für seine Formulierung von subjektiven Rechten auf Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit und Achtung der Menschenwürde (S. 86f.). Dieser Aspekt ist natürlich für den Juristen von besonderem Interesse und hätte anhand der rechtshistorischen Literatur (Helmut Coing und Brian Tierney) intensiver betrachtet werden können. Insgesamt kann Strohm jedoch in beeindruckender Weise die Entfaltung des einheitlichen ius publicum nachzeichnen, das weltliche Machtansprüche der Kirche ebenso ausschloss wie die Unterscheidung von Klerikern und Laien (S. 182, 337ff.).

 

Damit ist der Übergang zum dritten Teil erreicht, in dem Strohm den Anteil reformierter Juristen an der Entfaltung des ius publicum in Deutschland untersucht (S. 315-438). In der Tat fallen die Anfänge des ius publicum um 1600 in die Zeit, in der auch der Protestantismus calvinistischer Prägung im Reich den Höhepunkt seiner Ausbreitung erlebte (S. 317). Hier kann Strohm die von Michael Stolleis herausgearbeitete Beobachtung bekräftigen, dass die Entstehung des ius publicum als Lehrfach und die Pflege des öffentlichen Rechts im 17. und bis in das 18. Jahrhundert hinein eine protestantische Domäne ist (S. 315ff.). Das Interesse der protestantischen Juristen an der Entwicklung und wissenschaftlichen Pflege des Reichsverfassungsrechts erklärt Strohm überzeugend mit dem humanistischen Interesse an mittelalterlichen Rechtsquellen, aber auch mit der Notwendigkeit, die Reformation rechtlich abzusichern (S. 315ff., 344ff.). So zeigt das ius publicum durch seine Verbindung des römischen Rechts mit der politischen Theorie und den Rechtstraditionen, die sich im mittelalterlichen Reich herausgebildet hatten, deutliche Kennzeichen humanistischer Wissenschaft.

 

Im einzelnen erörtert Strohm die wissenschaftliche Behandlung des Reichkammergerichtsprozesses (S. 321ff.), die Editionen alter mittelalterlicher Verfassungstexte (S. 322ff.) sowie die Untersuchungen der Herrschaftsrechte ausgehend vom Digesten- und Codextitel „De jurisdictione“ (S. 340ff.), die sich zu Gesamtdarstellungen des ius publicum weiterentwickelten. So versammelte Melchior Goldast von Haiminsfeld in seiner Edition zahlreiche hoch- und spätmittelalterliche Texte, die sich der Abwehr päpstlicher Machtansprüche widmeten (S. 328ff.). Vor allem sind hier aber die Namen Georg Obrecht, Hermann Vultejus, Matthias Stephani, Joachim Stephani, Tobias Paurmeister von Kochstedt, Arnold Engelbrecht, Dominicus Arumäus und Jacob Lampadius zu nennen (S. 347ff.). Diese teils lutherischen, teils calvinistischen Autoren unternahmen es, die Rechtsgrundlagen des mittelalterlichen Reichs in die gelehrten juristischen Arbeiten einzubeziehen, um so die Herrschaft des Kaisers, der Kurfürsten und der Reichsstände zu reflektieren und historisch zu begründen (S. 350ff.). Strohm gelingt es hier, die Vielfalt der Positionen sichtbar zu machen. So sind teils innerprotestantische Gegensätze erkennbar, teils sind keine Unterschiede zwischen lutherischen und calvinistischen Autoren zu bemerken (S. 337ff., 362f., 439, 449ff.). Eine bemerkenswerte Pluralität zeichnete sich im übrigen auch unter katholischen Autoren bis zum Tridentinum ab (S. 368ff.).

 

So kann Strohm als Ergebnis festhalten: Das spezifisch calvinistische Bekenntnis gewinnt in seinen theologischen Grundaussagen im Werk calvinistischer Juristen kaum einen Ausdruck. Vielmehr weisen die Juristen die Versuche der Theologen zurück, die reformatorischen Lehren kräftiger zu unterscheiden (S. 440f., 451). Kennzeichnend für die juristischen Arbeiten ist vielmehr die humanistische Ausrichtung und ihr entschiedenes Eintreten für die Freiheit der weltlichen Obrigkeit von kirchlichen Machansprüchen. Kirchliche Institutionen werden ausdrücklich auf geistliche Aufgaben beschränkt, die Aufgaben der weltlichen Obrigkeit dagegen auf die sittliche Lebensgestaltung und die rechte Gottesverehrung ausgedehnt (S. 441ff.). Eine Betonung des Widerstandsrechts findet sich nur bei Herborner Juristen (beispielsweise bei Althusius). Das erklärt sich aus dem Engagement des Nassauer Grafenhauses im niederländischen Freiheitskampf.

 

Die Arbeit Christoph Strohms, die Frucht eines Forschungsprojekts an der Johannes–a–Lasco–Bibliothek in Emden, schenkt jedem Leser eine Fülle wertvoller Einsichten und bildet eine wichtige Brücke zwischen der Kirchengeschichte und der Rechts- und Verfassungsgeschichte der frühen Neuzeit. Als Nachschlagewerk wird das Buch künftig unentbehrlich sein. Vor allem aber bietet Christoph Strohm Anregungen zum weiteren Nachdenken über das Verhältnis von Recht und Religion und über mögliche Lehren für die menschliche Organisation.

 

Würzburg/Hannover                                                               Steffen Schlinker